3

26 1 0
                                    

Gott mein Handgelenk juckt vielleicht
Ich wollte die andere Hand heben, um mich zu kratzen, doch ich konnte nicht. Verwundert wollte ich nachsehen warum. Doch auch meine Augen ließen sich nicht öffnen, sie fühlten sie feucht, fast schon verklebt an. Ich versuchte es nocheinmal. Diesmal war mein verzweifelter Versuch von Erfolg gekrönt, und meine Augen schlugen auf. Reflexartig machte ich sie jedoch sofort wieder zu.
Hell! Zu hell!
Langsam, ganz langsam öffnete ich meine Augen erneut, so, dass sie sich an die plötzliche Helligkeit gewöhnen konnten. Ich starrte auf eine Steindecke, eine feuchte, grünliche Höhlendecke. Kleine Stalaktiten, von denen stetig Wasser tropfte, hangen von der Mitte herab. Die gesamte Decke war mit einer dünnen Algenschicht überwachsen, was sie leicht grünstichig erscheinen ließ. Eine Zeit lang starrte ich wie hypnotisiert die kleinen Tropfen an, die in regelmäßigen Abständen von den Stalaktiten fielen. Mit den Augen folgte ich dem Wasser bis zum Boden, wo sich schon eine kleine Lacke gebildet hatte. Erst da wanderte mein Blick an mir herab. Ich lag auf einer Art Podest aus Stein. Meine kleine Erhöhung war aus demselben Stein, wie der Rest der Höhle, schien aber trotzdem neuer. Ich bemerkte, dass die Höhlenwand in ungefähr einem Meter Höhe dunkler und glatter wurde als darunter. Hatte jemand diesen Podest gerade erst aus dem Boden gehauen? Dazu hätte er den gesamten Boden entfernen müssen. Verwirrt versuchte ich mich zu erinnern, wie ich hergekommen war. Zuerst erinnerte ich mich an gar nichts mehr, und war kurz davor zu verzweifeln, dann fiel mir das komische Wesen unter Wasser wieder ein. Ich versuchte zu rekonstruieren, wie ich aus dem Wasser in diese Höhle gekommen war, doch alles an das ich mich erinnerte war Schmerz und Wasser und Blut.
Blut? Sekunde...wo sind die Verletzungen, die so geblutet haben?
Ich sah an mir herab so gut es ging, da ich den Kopf nicht hoch heben konnte, von Aufstehen ganz zu schweigen. Ich steckte immer noch in meinem Bikini, der in dem ich schwimmen gegangen war. Die Hose hatte zwar auf der rechten Seite ein Loch, und der BH vorne einen Riss, das war mir im Moment aber egal. Da ich nichts erkennen konnte, das mich in irgendeiner Form am Aufstehen hindern würde, hob ich versuchsweise das rechte Bein. Nichts passierte. Nicht einmal ein Muskel zuckte. Auch beim anderen Fuß: nichts. Dasselbe Lied bei beiden Armen. Das einzige was ich bewegen konnte waren meine Finger, meine Zehen und mein Kopf. Dann tat sich auf einmal etwas.
In meinem linken Sichtfeld bewegte sich etwas, und aus einem uralten Instinkt heraus schloss ich meine Augen sofort wieder. Mit geschlossenen Augen, aber weit geöffneten Ohren versuchte ich herauszuhören wer oder was da auf mich zu kam. Doch ich hörte nichts. Keine Schritte, kein Atmen und kein leises Rascheln von Kleidung. Nichts. War dort gar nichts und die Bewegung war nur eine Sinnestäuschung gewesen? Oder war es etwas, dass keine Geräusche machte? Ich musste es unbedingt wissen. Also öffnete ich mein linkes Auge einen winzigen Spalt breit. Zuerst sah ich nur Fels, doch nach etwa einer halben Minute bewegte sich etwas anderes in mein Sichtfeld. Erleichtert atmete ich aus. Erst da wurde mir bewusst, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten hatte und angespannt wie ein Brett dagelegen war. Langsam schloss ich mein Auge wieder. Es war nur das Wesen von vorhin. Es würde mir nichts tun. Oder? Nun wieder verunsichert öffnete ich mein Auge erneut einen Spalt, um das Wesen im Auge zu behalten, und es notfalls zu verjagen wenn es mir etwas tun wollte.
Und wie willst du das tun? spottete eine leise Stimme in meinem Hinterkopf.
Wirst du so lange warten bis es zu deinem Mund fliegt und es dann in die Flucht beißen?
Verärgert verscheuchte ich den Gedanken. Es würde mir nichts tun. Es sah doch so harmlos aus, fast schon drollig. Neugierig betrachtete ich die Kreatur. Der Rumpf hatte in etwa die Größe eines Chihuahuas, war aber wesentlich pummeliger, sodass die kleinen verkümmerten Beine und die dünnen, langen Arme gar nicht ins Gewicht fielen. Das Wesen schwebte einen guten Meter über dem Boden, und bewegte sich anscheinend nur so fort, da die beiden Beine zwar vorhanden, aber missgebildet und verkümmert waren. Vermutlich könnte es nicht einmal laufen, wenn es müsste. Der Kopf und der Rumpf waren zu einem verschmolzen, sodass es bei schnellem Hinsehen wirkte, als hätte es gar keinen Schädel. Der gesamte Rumpf bestand aus zusammengewachsenen Planken, Seegras und einem kaputtem Steuerrad, das aus der rechten Seite hervorstach und dem Wesen eine bizarre Ausbuchtung und einen grotesken Schatten schenkte. Zwischen den über und über mit Seegras bewucherten Planken befanden sich zwei kleine, mattschwarze Augen, die man leicht mit Miesmuscheln verwechseln konnte.
Misstrauisch folgte mein Blick die ganze Zeit den Händen der Kreatur, die mit geschickten Fingern meine Wunden abtasteten. Als der lange dünne Daumen auf mein linkes Handgelenk drückte konnte ich ein Zusammenzucken und lautes Lufteinsaugen nicht verhindern. Sofort schloss ich mein Auge wieder, getrieben von der irrationalen Angst, was es tun würde, wenn es merkte, dass ich wach war. Doch das Wesen würdigte meine Reaktion nicht einmal mit dem Zurückzucken seiner Hand. Stattdessen tasteten seine langen, holzigen Finger weiter nach Verletzungen. Dann hörte es so aprupt auf, wie es angefangen hatte. Ich traute mich nicht nocheinmal die Augen aufzumachen, also konnte ich nur raten, was gerade vor sich ging. Und das ging schlecht, da das Wesen keinerlei Geräusche machte. Also lag ich im Dunkeln und überlegte, ob meine Eltern sich schon Sorgen machten. Auf einmal fuhr ein aggressiver Schmerz durch mein Handgelenk. Ich schrie leise.
Scheiße! Tut das weh! Darf nicht schreien.
Ohne Rücksicht darauf ob die Kreatur mich sah oder nicht öffnete ich meine Augen. Zuerst bemerkte ich gar nichts, denn der Nebel war so hell. Dann erst viel mir der Nebel, der schon fast wie weißer Rauch aussah, auf. Ich versuchte meinen Arm zu schütteln, um den Rauch zu verflüchtigen, natürlich ohne Erfolg.
Verätzte mich der Nebel? Verbrannte er mich? Was hatte das Wesen vor?
Doch trotz langsam entstehender Panik siegte das logische Denken. Ich betrachtete die kleinen Nebelschwaden erneut, aber diesmal genauer, und stellte fest, dass sie sich nur dort befanden, wo ich eine Verletzung hatte. Bei den oberflächlichen Wunden kitzelte der Nebel nur, bei der gravierenderen Verletzungen tat er weh. Dem Ausmaß des Schmerzes nach, mit dem die Heilung meines Handgelenks verbunden war, nahm ich an, dass es gebrochen war.
Da es jetzt sowieso schon egal war, ob es mich sah oder nicht, blickte ich mich auf der Suche nach dem Wesen vorsichtig um. Es war fort.
Ich lag da, starrte gelangweilt an die Höhlendecke und wartete darauf, dass meine Heilung zu Ende war, als ich die Stimmen hörte. Augenblicklich schloss ich meine Augen wieder. Ich überlegte, ob eine der Stimmen die des Wesens sein könnte. Ich verwarf die Idee jedoch sofort wieder, da es nur zwei Personen waren, die sprachen. Die eine Stimme war die einer Frau, die andere die tiefe Stimme eines älteren Mannes. Vorsichtig öffnete ich meine Augen einen Spalt weit. Ich konnte nicht genug sehen, also schloss ich sie wieder, bis die Personen nah genug waren, dass ich meinen Kopf nicht drehen musste, um sie sehen zu können. Natürlich hörte ich trotzdem zu.
"Sie sind also sicher, dass es keinen Platz mehr gibt?"
Das war die Frau.
"Absolut, euer Gnaden."
Diesmal war es die Stimme des Mannes. Die beiden schienen sich zu nähern. Ich vernahm ein genervtes Schnauben von der Frau.
"Kontrollieren sie es nocheinmal. Ich bin mir sicher, dass sie es sein soll!"
Ich konnte das ergebene Nicken des Mannes förmlich hören. Darauf folgte eine so lange Stille, dass ich versucht war meine Augen zu öffnen. Ich einigte mich mir meiner eigenen Vernuft darauf, die Augen nur einen kleinen Spalt zu öffnen. Glücklicherweise reichte das.
Die Schatten der beiden Personen fielen rechts von mir auf die Höhlenwand. So konnte ich erkennen, dass die Frau größer war als der Mann, der kleiner, klobiger und auch etwas schwerfällig wirkte. Verwundert zuckte ich mit den Augenbrauen. Der Mann schien eine Rüstung anzuhaben, und bei längerem Hinsehen konnte man auch erkennen, dass die Frau ein bodenlanges Kleid trug. Wo war ich denn hier gelandet? Im Mittelalter?
Trotz meiner Verwirrung beobachtete ich weiter unbeirrt das Paar. Der Mann schien sich den Kopf zu halten, als würde er sehr angestrengt über etwas wichtiges nachdenken.
"Und?"
Der scharfe Tonfall der Frau ließ mich und den Mann zusammenzucken.
"Jetzt wo ich darüber nachdenke, euer Gnaden, fällt mir auf, dass die gewählten Zwillinge sich vielleicht zu ähnlich sind, um einen davon als passende Wahl zu erkennen."
Der Schatten der Frau stellte sich sofort erfreut gerader hin.
"Also heißt das, dass ich recht hatte und sie teilnehmen wird?"
"Ja, euer Gnaden."
"Gut."
Abrupt warf die Frau sich ihre langen Locken über die Schultern, und drehte sich weg.
"Lassen wir sie noch zu Ende heilen. Wir holen sie heute nacht. Bringt sie in der Zwischenzeit zu ihrer Familie zurück, sie sollen nicht merken, dass irgendetwas passiert ist."
Die letzten Worte konnte ich schon fast nicht mehr verstehen, da die Frau sie im Weggehen sagte. Ich beobachtete noch sorgfältig, wie der Schatten des Mannes dem der Frau so schnell wie möglich folgte, was ihm sichtlich zu schaffen machte, da die Frau recht rasch voran schritt. Ich betrachtete sie so konzentriert, dass ich nicht bemerkte, dass ich seit geraumer Zeit von dem merkwürdigen Plankenwesen beobachtet wurde. Ich zuckte zusammen, als ich es bemerkte. In plötzlicher Furcht vor dem was das Wesen mit mir machen könnte, verspannte sich mein gesamter Körper. Doch das Wesen starrte mir nur in die Augen. Ganz lange, als wollte es mich beruhigen. Seltsamerweise funktionierte es, und ich wurde wirklich ruhiger, bis ich schließlich vollkommen entspannt auf dem Steintisch lag. Erst dann holte es die Blätter mit dem Betäubungssaft heraus, und betäubte mich. Aber es war immer noch so sanft wie ein Windhauch auf der Haut.

Die UnendlichenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt