Zuerst musste ich meine Augen zusammenkneifen, so hell war es. Doch schnell hatte ich mich an das gleißende Licht gewöhnt, das durch ein riesiges Kirchenfenster an der uns gegenüberliegenden Wand fiel. Das Fenster war in hellen Blau und Orangetönen gehalten, was den gesamten Raum heller erscheinen lies, als er eigentlich war. Erst nach längerem Hinsehen fiel mir auf, dass die hellen Flecken auf dem blauen Grund Vögel waren, wunderschöne, filigrane aus einem Glasstück angefertigte Tauben, Möwen und Adler, die sich durch einen hellblauen Glashimmel schwangen. Meine Augen saugten den Raum geradezu auf. Erneut zwang mich jedoch der drängende Druck auf meine aufgescheuerten Handgelenke, mich auf die schlicht wirkenden Steinbänke zuzubewegen, die in der vorderen Hälfte des Saales aus dem Boden wuchsen. Doch nicht einmal hier hatte sich der Architekt die liebevollen Details gespart, denn gehalten wurde die Sitzfläche von kleinen, doch sehr kräftig scheinenden Bäumen, deren Äste in der Mitte der Bank zusammenliefen. Wiederstrebend und zugleich fasziniert von der wunderschönen Arbeit folgte ich Ruby im Gänsemarsch nach, und lies mich in einer aufmüpfigen Haltung auf eine der Bänke fallen. Links von mir lies sich Blondsträhnchen so gefasst wie elegant auf der Bank nieder, rechts saß Ruby auf der Kante. Ich warf einen Blick nach rechts. Da saßen wir alle, neun Jugendliche unterschiedlichen Alters, die scheinbar nichts gemeinsam hatten, wie aufgefädelt, und warteten auf, ja was eigentlich? Mittlerweile hatte unser Gefägniswärter das Seil aufgetrennt, und sich hinter uns neben die goldene Flügeltür gestellt, links und rechts flankiert von jeweils zwei Soldaten, deren Gesichter von Helmen verdeckt waren. Erneut konnte ich meinen Blick nicht von etwas lassen, denn jeder der vier Helme war über und über von zart eingemeißelten Blüten und Blättern bedeckt. Fasziniert kniff ich die Augen zusammen, und drehte mich beinahe komplett um, sodass ich Strähnchen fast umgerissen hätte. "Kannst du dich nicht normal hinsetzen? Wie jeder andere auch? Ist das so schwer?", biss sie mich an. Ich zuckte zusammen mit so einer energischen Rektion hatte ich nicht gerechnet. Um ehrlich zu sein hatte ich mit gar keiner Reaktion gerechnet, ich war zu sehr vom Harnisch der zweiten Wache fasziniert gewesen, um an irgendetwas anderes zu denken. Wie konnte man so detailliert gravieren? "Schon gut, schon gut...", noch in Gedanken versunken drehte ich mich wieder nach vorne, vergaß aber nicht meine Augen zu verdrehen, was der kleinen Ruby ein Grinsen entlockte. Auf einmal ertönte ein lauter Knall. Die gesamte Reihe Jugendlicher sprang förmlich in die Höhe. Gleichzeitig wandten wir alle den Kopf nach links, denn von dort war das Geräusch gekommen. Angespannt, und bereit jederzeit davonsprinten zu können, erwartete ich den Schlachter oder weiß Gott was. Wer aber tatsächlich dort stand war so skurril und unerwartet, dass es mir kurz den Atem verschlug. Es war die Frau vom Strand. Ich konnte mich zwar nur mehr verschwommen an sie erinnern, war mir nun aber wieder ganz sicher, da ich sie in Natura vor mir hatte. Und sie war auch die Frau auf all den Bildern im Gang! Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich ärgerte mich über mich selbst, dass ich sie nicht sofort erkannt hatte, als ich die Bilder gesehen hatte. Nun ein bisschen entspannter, da ich die Person schon kannte, die uns interessiert musterte, versuchte ich herauszufinden ob irgendjemand anderes aus unser Reihe diese Frau schon jemals gesehen hatte. Doch in niemandes Augen blitzte Erkenntnis oder Erinnerung auf. Es gab jeden Gesichtsausdruck von verwirrt bis wütend, doch ich sah kein einziges erwartungsvolles Gesicht. Nur der eine, der Junge mit der Brille, wirkte zumindest interessiert. Die Frau musterte uns kurz und schritt dann in den vorderen Teil des Saales unter das riesige Fenster. Dort setzte sie sich auf einen Thron, den ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Nun fragte ich mich wie ich ihn hatte übersehen können. Der edle Stuhl wuchs regelrecht aus dem Boden empor; das durchscheinend rote Gestein aus dem er gemeißelt war, war mit dem Podest auf dem er stand vollkommen verschmolzen. Das Kleid der rothaarigen Frau glitt wie ein blau-grünlicher Wasserfall daran zu Boden und ihre Haare spielten durch die Lücken in der Lehne. Es war ein Bild von dem man sich nie wieder abwenden wollte. Es war unglaublich still im Saal, während ihre intelligenten Augen uns von oben herab musterten. "Kinder!" Ebenso plötzlich wie sie die Halle betreten hatte, begann sie zu sprechen. Sie setzte merkbar zu einem längeren Satz an, als sie einen unserer Reihe fokussierte und genervt aufhörte. Verwirrt drehten alle die Köpfe, um zu sehen wer denn gemeint sein könnte. Ich musste nur nach links blicken; Blondsträhnchens schuldbewusster Blick verriet sie sofort. Wahrscheinlich hatte sie bei dem Wort 'Kinder' eine Schnute gezogen. Wie konnte man nur so lächerlich pedantisch sein? Die Rothaarige seuftze genervt, als würde ihr all das schon ziemlich auf den Keks gehen. "Jugendliche! Ich bin Poena und ich bin eine Elfe." Ich grinste verhalten; ich wusste es! Durch die Bank gab es jede mögliche Reaktion, von Augenverdrehen bis zu runtergeklappten Kinnladen. Der magere Junge fiel sogar rücklings von der Bank. "Ich weiß das kommt jetzt sehr überraschend, aber es gab uns schon immer und es wird uns hoffentlich immer geben. Zum Glück haben wir es bis jetzt mehr oder weniger gut geschafft, uns bedeckt zu halten, da man uns für Märchen, Mythen und Geschichten hält. Nichtsdestoweniger existieren wir wirklich, und brauchen trotzdem die Hilfe der menschlichen Rasse, um in Frieden und Zivilisation zu leben." Genervt seuftze sie an dieser Stelle, als verfluche sie in Gedanken die Person die dafür verantwortlich war, dass sie das hier durchziehen musste. Bis jetzt hatte sie in die Luft über uns geblickt, doch nun wandte sie ihren leeren Blick uns zu. "Ich werde euch nicht jetzt sofort in jede Kleinigkeit unserer Welt einweihen, je weniger ihr wisst, desto leichter wird das löschen der Gedächtnisse derjenigen, die unserer strengen Auswahl nicht gerecht werden. Tut mir leid, für die Neugierigen unter euch." Sie wirkte eher so als würde es ihr Freude bereiten, dass sie nicht alles erklären musste. "Diese Wahl wird ermitteln wer von euch geeignet ist uns zu regieren." Bei dem Wort 'uns' machte sie eine ausladende Armbewegung, als könnte sie alle Elfen dieser Welt mit einer Geste umfassen, und beschützen. "Ihr..." Der Rest ihrer Ansprache wurde von meinen Mitantretenden unterbrchen, die sich offenbar aus ihrer Schockstarre erholt hatten. "Aber, wieso?" - "Warum?" - "Ist das gefährlich?" - "Wieso, braucht ihr Menschen?", schallte durch den Saal. Alle fingen gleichzeitig an zu sprechen, nur Ruby, der Junge mit der Brille und ich blieben still. Ich war vollkommen fasziniert von der ganzen Situation, und konnte meinen Blick nicht von der wunderschönen Elfe lassen, die vollkommen ruhig darauf wartete, dass die Aufregung sich legte. Nur ihre ineinander verschränkten Finger, die einander kneteten und umklammerten, verrieten ihre innere Unruhe. Ihr abschätziger Blick streifte über die panische Ansammlung Jugendlicher, und blieb schließlich auf Ruby und mir ruhen. Vielleicht bildete ich es mir ja ein, aber ein klein wenig Freundlichkeit und Hoffnung schienen durch ihren Blick zu huschen. "Ruhe!" Der Ruf hallte klar und laut durch die Halle, und brachte augenblicklich jeden einzelnen zum Schweigen. Wie ein lebendiges Feuer stand sie auf dem Podest und funkelte uns an; ihre Haare wehten hinter ihr hoch und verliehen ihr ein nahezu gespenstisches Aussehen. "Seid still und setzt euch!" Ohne Widerworte gehorchte jeder einzelne. "Ich weiß ihr seid alle verwirrt uns ängstlich aber wenn ihr mich erklären lasst, kann ich euch das vielleicht nehmen." In Erwartung von Widerspruch blickte sie uns herausfordernd an; doch sie wurde enttäuscht, da ausnahmsweise alle still waren. "Also...", sie senkte den Kopf und sprach nun mehr zum Boden als zu uns. "Um zu ermitteln wer von euch elf fähig ist von jetzt auf gleich ein ganzes Volk zu regieren, mit all den Pflichten und Ehren die damit Hand in Hand gehen, werdet ihr fünf Prüfungen durchlaufen, die eure Fähigkeit zum Monarchentum erproben. Die Erste habt ihr bereits hinter euch." Verwirrte Blicke wurden augetauscht, sich langsam öffnende Münder verlangten nach einer Erklärung. "Ihr wurdet nicht zu unserem persönlichen Gaudium drei Monate im Kerker bei Brot und Wasser gehalten. Nein, das diente zur Ermittlung eurer Stärke und eures Durchhaltevermögens. Wie ihr vermutlich gemerkt habt, hat diese Aufgabe dafür gesorgt, dass ihr nun zwei Kandidaten weniger seid. Ein zartes Mädchen namens May-Lin, schaffte nur zwei Tage in der Zelle bevor sie aufgrund ihrer Klaustrophobie aus der Wahl entlassen wurde. Natürlich nicht bevor ihr Gedächtnis vollkommen überarbeitet war. Der zweite, der ausschied, kollabierte auf dem Weg in diesen Saal, vermutlich vor Nervosität und Schwäche." All dies trug sie ohne jegliche Emotionsregung vor, sie schien sich vollkommen in sich zurückgezogen zu haben; als würde sie ihren kompletten Vortrag von einem unsichtbaren Blatt vor ihrem geistigen Auge ablesen. "In der zweiten Aufgabe werden wir eure tiefsten, ehrlichsten und größten Ängste herausfinden und ihr müsst dann euer Bestes geben, um sie zu überkommen. Wer die ersten beiden Aufgaben bewältigt, der wird in die Lehre geschickt, um alles zu lernen, was ein Elfenkönig wissen muss, um eure Lernfähigkeit zu testen. Nach diesem Lernprozess werden diejenigen von euch, die noch zur Debatte stehen, befragt werden, wie sie die Erinnerungen der übrigen löschen würden, da wir hierbei verschiedene Methoden anwenden können. Das soll uns bestimmen lassen wieviel natürliche Weisheit und Weitsicht ihr besitzt. Zu guter Letzt werdet ihr an die Grenzen des Elfenhauptstaates geschickt und müsst von dort in die Hauptstadt reisen, was wiederum eure Ausdauer testet. Sollte niemand von euch es durch diese Prozedur schaffen, müssen wir das ganze mit elf neuen Kandidaten wiederholen. Noch Fragen?" Erst jetzt blickte sie uns wieder an. Der komplette Saal schien gleichzeitig Luft zu holen und aus einer unbewussten Starre zu erwachen; sogar die Soldaten, die immer noch neben dem goldenen Tor standen, schienen sich erst jetzt wieder bewegen zu können. Ich blinzelte zweimal, um wieder meiner Gedanken Herr zu werden und bemerkte, dass der kleine Junge, der Ruby so ähnlich sah, sie verängstigt anschaute, sie jedoch stur auf einen Punkt hinter dem Thron starrte. Leicht genervt und auch ein bisschen verwirrt, da niemand Fragen stellte, entwirrte Poena ihre Hände und verschränkte sie hinter ihrem Rücken.
"Nun gut, dann werdet ihr nun auf eure Zimmer geschickt. Jeder von euch bekommt ein eigenes Zimmer, da es jetzt keinen Grund mehr gibt euch in den Zellen zu halten. Morgen werdet ihr zu angemessener Uhrzeit geweckt werden und zur nächsten Aufgabe voranschreiten. Gibt es irgendjemanden, der freiwillig seine Position aufgibt?" Völlige Stille. "Also dann, Gute Nacht." Mit einem leichten Wink ihres Kopfes entließ sie uns. Sofort wurden wir von den bis jetzt völlig regungslosen Soldaten eingekesselt; der Größte von ihnen wies uns mit einem Handwink die Richtung. Immer noch verwirrt stolperte der unkoordinierte Haufen kleiner Menschen, zwischen den schlanken, eleganten Elfen, die beinahe über den Boden zu gleiten schienen, aus dem Saal. Mit einem hilflosen Blick, der nach mehr Antworten auf Fragen, die ich nicht hatte, bettelte drehte ich mich noch einmal um, nur, um zwischen den sich schließenden goldenen Flügeltüren, das flammenrote Haar Poenas verschwinden zu sehen.Die Soldaten eskortierten uns durch eine weitere bronzene Tür, die nicht ganz so groß, und nicht ganz so reich verziert war, wie die andere, und die Stiegen dahinter hinauf. Andächtig legte ich meine Hand auf das Treppengeländer, um mich zu vergewissern, dass es auch wirklich aus Metall bestand. Denn der gesamte Aufgang wirkte, als wäre er aus verfestigtem Wasser. Nicht wie Eis, sondern, als wäre Wasser mitten in einer Welle erstarrt und hätte zufällig Treppen geformt. Das durch die wandhohen Fenster einfallende Sonnenlicht brach sich an allen Ecken und Enden und verlieh dem Ganzen einen spielerischen Glanz. Mit offenem Mund lief ich der Gruppe hinterher und bemerkte die beiden Soldaten hinter mir nicht einmal, die über mich kicherten wie kleine Mädchen. Am Ende der Treppe wäre ich fast gestolpert, und auf die Nase geflogen, da ich vergaß die letzten Stufen zu nehmen, so überwältigt war ich von der Schönheit des Ganges in dem unsere Zimmer liegen sollten. Der Boden schien sich mit jeder Sekunde zu verändern, je nachdem wie das Licht hereinfiel, wirkte er entweder wie ein Sandboden, kaltes Metall oder warmes Holz; es war unmöglich zu sagen woraus der Untergrund wirklich gemacht war. Aus demselben Material bestanden auch Wände und Decke, was dem gesamten Gang eine leicht transzendente Note verlieh. Die Fenster schienen völlig natürliche Einbuchtungen in der fließenden Struktur der Wand zu sein; insgesamt schien dieser Gang schon für immer so bestanden zu haben, wie er jetzt aussah. Verträumt wandte ich den Blick zur Decke und musste mir die Hand vor die Augen halten, da das Licht noch stärker von oben reflektiert wurde. Auch hier schien alles sich langsam zu bewegen, als wäre man unter Wasser und würde an die Oberfläche schauen. "Komm" Ich zuckte zusammen, mit der plötzlichen Ansprache hatte ich nicht gerechnet. Ich drehte meinen Kopf, und fand mich Zentimeter vom Gesicht eines der Soldaten. Er blinzelte mich freundlich an. "Hier entlang, die anderen sind schon weiter gegangen. Ich bringe dich in dein Zimmer." Ich nuschelte irgendetwas unverständliches, und huschte kleinlaut hinter ihm her. Am Ende des Ganges hielt er mir eine recht schlichte Holztür auf, die ich zuvor gar nicht bemerkt hatte. "Hier hinein.", er wies zu seiner Linken. Missträuisch trat ich ein, nur, um wieder mit offenem Mund in der Tür stehen zu bleiben. Der Raum war perfekt. Der warme, dunkle Holzboden schien sich förmlich an meine Füße zu schmiegen, und das warme Spätnachmittagssonnenlicht wärmte mir Haare und Gesicht. Durch die beiden hohen Fenster, von denen eines auf einen kleinen Balkon führte, der von filigranen Goldfäden gehalten wurde, war der ganze Raum in Licht getaucht. Das riesige Himmelbett mit der weißen, wunderbar weich wirkenden Bettwäsche bemmerkte ich zuerst gar nicht, da mein Blick, wie von selbst an die hintere Wand des Zimmers gezogen wurde, der aus einer Bücherwand bestand. Durchströmt von meiner Bücherliebe hüpfte ich förmlich durchs Zimmer und zog willkürlich ein paar Bände aus dem Regal, mit denen ich mich auf den Balkon verzog. Völlig in Gedanken versunken, dachte ich erst ein paar Minuten später wieder an die Wache, die mich hergebracht hatte, entschuldigend steckte ich meinen Kopf durch die Balkontür und sah, dass er immer noch da stand, und mich die ganze Zeit über beobachtet hatte. Ohne das kleine Schmunzeln von seinem Gesicht zu nehmen sagte er "Abendessen wird in einer Stunde auf die Zimmer gebracht, bis dahin können Sie tun und lassen was sie wollen." Mit einem letzten amüsierten Blick auf mich und die Bücher schloss er die Tür leise hinter sich, und lies mich alleine zurück.
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Die Unendlichen
FantasyAva entdeckt durch Zufall, dass es noch Elfen gibt. Sie wird in eine merkwürdige Prüfung verstrickt, die den wahren Elfenkönig herausfinden soll, so wie es alle 100 Jahre wiederholt wird.