Es mussten nun schon mehrere Wochen gewesen sein, die ich hier festsaß. Tagein, Tagaus starrte ich aus dem Fenster, und vergrub mich in meinen Gedanken. Denn die waren das Einzige, was mir noch geblieben war. Irgendwann sah ich das ständig gleiche Bild vor meinen Augen nicht mehr. Ich hatte sie zwar geöffnet, aber ich sah das was ich dachte. Ich versteckte mich hinter meiner Vorstellungskraft, verbarrikadierte ich hinter meinen Erinnerungen, vergrub mich unter meinem Denken. Das ging eben so lange gut, bis unser Gefängniswärter eines schönen Tages beschloss, dass es nicht mehr genug war, uns in Zellen zu haben, sondern, dass man uns offenbar auch außerhalb brauchte. Wofür auch immer.
Der Tag begann wie jeder andere seit Wochen. Die Vögel weckten mich mit der Dämmerung, und da ich nichts besseres zu tun hatte, sah ich mir an wie der Wald Stück für Stück heller wurde, als die Sonne aufging. Wie normalerweise war ich die erste, die wach war. Ich hatte mir angewöhnt immer zu lauschen, was die anderen taten, und war mittlerweile sogar in der Lage zu sagen, ab wann meine Zellennachbaren wach waren. Mit dem Blick vom Wald abgewandt, war Blondsträhnchen in der Zelle rechts von mir. Das Mädchen das gleich nach mir gebracht worden war hatte sich ein wahnsinnig nervtötendes Aufwachritual angwöhnt. Die ersten paar Tage, die sie heir gewsen war, war sie unverhältnismäßig still gewesen, hatte nie versucht mit mir zu sprechen, wahrscheinlich hatte sie ja nicht einmal gewusst, dass ich da war. Sie war so ruhig gewesen, dass ich mir regelrechte Sorgen gemacht hatte, und sogar ein, zweimal ein leises Alles in Ordnung? hinüber geflüsterschrien hatte. Beide Male hatte ich keine Antwort bekommen, also hatte ich aufgegeben und sie ihrem stoischen Schweigen überlassen. Und obwohl sie nicht sprach, nervte sie mich unglaublich. Jeden Tag, sobald sie aufgewacht war (zumindest vermutete ich das es so war) tapste sie in einer schier ungläubigen Kindermanier von einem Ende der Zelle zur anderen. Als wollte sie austesten ob der Raum immer noch genauso groß war wie am Tag davor. Dann, nachdem sie das Zimmer dreimal durchschritten hatte nahm sie einen Stein und begann gegen das Gitter vor ihrem Fenster zu klopfen, als könnte sie die drei massiven Eisenstangen mit einem kleinen Stein zum Brechen bringen. Tagtäglich zuerst das elende Getapse ihrer Füße und dann auch noch das penetrante aufklingen der Gitterstäbe ertragen zu müssen, machte mich wahnsinnig. Und nach ungefähr zwei Wochen war ich an dem Punkt angelangt, an dem ich sogar hoffte, sie würde gar nicht mehr aufwachen, auch wenn ich mich selbst für diesen Gedanken hasste.
Als das allmorgendliche Ritual meiner rechten Nachbarin beendet war, konnte ich das leise Rascheln des schweren Kittels meiner linken Zellennachbarin hören. Sie war auf eine andere Art still als die andere. Es war keine halb-verärgerte, halb-verängstigte Stille, mehr eine wartende. Aus irgendeiner seltsamen Intuition heraus mochte ich sie lieber als Blondstähnchen. Dabei wusste ich nicht einmal ob es überhaupt ein Mädchen war, das da im Nebenraum saß und wartete. Das einzige was die Wartende jeden Tag in der Früh machte, war aufstehen, sich kurz strecken und dann wieder für den restlichen Tag absolut nichts von sich hören lassen.
Verwundert stellte ich fest, dass ich mich seit mehreren Minuten nicht mehr bewegt hatte, da ich so in Gedanken versunken gewesen war. Das passierte mir in letzter Zeit häufiger. Ich vergaß regelrecht, dass ich lebte, dass ich einen Körper hatte, um den es sich von Zeit zu Zeit zu kümmern galt, vergaß, dass ich mehr war als nur ein Geist, der den Sonnenaufgang beobachtete und sich nichts mehr wünschte, als die Strahlen auf dem Gesicht spüren zu können, während ihm eine leichte Briese das Geisterhaar zauste. Doch leider sah es nicht so aus, als würde das jemals wieder der Fall sein. Ich seufzte tief, und suchte etwas womit ich mich ablenken könnte. Viel gab es nicht, also kaute ich ein bisschen auf meinen Fingernägeln herum, während ich versuchte die Blätter des Baumes vor meinem Fenster zu zählen.
Der jähe Knall einer Holztür riss mich aus meinem Zählfluss.
Scheiße, so weit war ich noch nie...das schaff ich ja nie wieder...
DU LIEST GERADE
Die Unendlichen
FantasyAva entdeckt durch Zufall, dass es noch Elfen gibt. Sie wird in eine merkwürdige Prüfung verstrickt, die den wahren Elfenkönig herausfinden soll, so wie es alle 100 Jahre wiederholt wird.