Kapitel 2

20 5 1
                                    

»Und wie ist die Neue so?«, beginnt Paul am Morgen an der Kaffeemaschine das Gespräch. »Ganz okay. Aber so neu ist sie ja gar nicht. Sie arbeitet seit zwei Jahren hier«, entgegne ich, während ich einen Schluck von meinem Kaffee trinke. Im selben Moment kommt Elina aus dem Büro, um sich auch eine Tasse Kaffee zu holen. Ich lächle ihr zu, als sie an uns vorbeigeht. 
»Sie sieht echt gut aus.« Paul kann sich diesen Kommentar mal wieder nicht verkneifen, nachdem sie zurück ins Büro verschwunden ist. »Hast du sie schon gefragt?«
Bei jeder halbwegs gutaussehenden Frau fragt er mich das. »Ich kenne sie noch kaum. Natürlich hab ich sie nicht gefragt und das habe ich auch nicht vor«, antworte ich genervt auf Pauls Kuppelversuche, »außerdem habe ich mich neulich im Zug vor ihr total blamiert. Also kann ich es sowieso vergessen.« »Das meinst du immer. Es war bestimmt halb so schlimm. Du musst deine Angst echt langsam mal in den Griff bekommen«, erwidert Paul. »Das weiß ich auch. Aber nicht so. Ich kann doch nicht einfach zu ihr hingehen und fragen, ob sie Lust hat, was zu unternehmen.« »Doch, du kannst.« Auf diesen Satz hin drehe ich mich zu Paul, um ihm mit meinem Blick zu zeigen, dass diese Aussage leichter gesagt als getan ist.

In der Mittagspause schlendere ich ein wenig durch die Gassen der Innenstadt. Es ist ziemlich voll. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt, nachdem die letzten Jahre nur vereinzelt Menschen auf den Straßen waren und in Gruppen schon gar nicht. Ich versuche, die Wege zu wählen, die am wenigsten besucht sind, was sich als äußerst schwierig herausstellt. Ich schaue mir die Schaufenster an und betrachte die verschiedenen Firmenschriftzüge über den Eingängen. Einige sind altbekannte, die schon immer hier waren, andere sind neu. Hinter jedem Neuen steckt allerdings die traurige Geschichte von Geschäften, die die letzten Jahre nicht überlebt haben. Dieser Gedanke löst gemischte Gefühle bei mir aus. Einerseits ist es schade um die Existenzen, die hier nicht mehr sind; andererseits stimmt es mich fröhlich, dass jedes Ende die Chance auf einen Neuanfang ist. 
Vor einer Backstube bleibe ich schließlich stehen und greife, bevor ich reingehe, aus Gewohnheit an mein Handgelenk. An jenes, welches jahrelang mit einer Maske geschmückt war. Es dauert allerdings nicht lange, bis mir einfällt, dass sie nicht mehr gebraucht wird. Jedoch ertappe ich mich in letzter Zeit häufig dabei, wie ich an mein Handgelenk fasse. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich mit diesem neuen Leben wieder vertraut bin.

An die vollen Bahnsteige habe ich mich noch immer nicht gewöhnt. Um mich herum sind überall Gespräche und Gelächter von Menschen zu hören. 17:20 Uhr. Der Zug ist pünktlich. Ich steige ein und suche mir einen freien Platz, den ich glücklicherweise auch finde. Ich setze mich hin und stöpsele die Kopfhörer ins Handy. Noch fünfzehn Minuten bis ich zuhause bin. Fünf Lieder meiner Playlist laufen in der Zwischenzeit.

Endlich zuhause. Raus aus der Jeans, rein in die Jogginghose und ab auf die Couch. Als ich den Fernseher eingeschaltet und es mir gerade gemütlich gemacht habe, klingelt es an der Tür. Wer kann das nur sein? Ich habe mich doch mit niemanden verabredet. An der Tür erwartet mich schließlich niemand Geringeres als Paul. Natürlich. Er sagt nie vorher Bescheid. Langsam glaube ich, dass er es mittlerweile mit Absicht macht. »Paul«, begrüße ich ihn, »ich hab dir doch schon so oft gesagt, dass du vorher Bescheid sagen sollst. Von mir aus auch nur eine Stunde vorher, weil du es bist.«

Nach einer halben Stunde klingelt es erneut an der Wohnungstür. Das wird wohl der Pizzabote sein für die Pizzen, die wir bestellt haben. Paul geht an die Tür und kommt kurze Zeit später mit zwei Pizzakartons zurück. »Hier ist deine«, reicht er mir die Salamipizza, während er die andere vor sich abstellt. Er nimmt immer Pizza Hawaii. Schon während unserer Studentenzeit habe ich nicht verstanden, wie man Ananas auf einer Pizza essen kann.
»Und, hast du schon darüber nachgedacht, wie du die Neue frägst?«, hakt Paul nach, nachdem er ein Stück seiner Pizza gegessen hat. »›Die Neue‹ heißt übrigens Elina und nein, ich hab noch nicht darüber nachgedacht«, antworte ich genervt von diesem Thema. »Aber du magst sie doch, stimmt's?«, bohrt er weiter nach. »Wir sind Kollegen, nicht mehr und nicht weniger. Können wir jetzt bitte den Film schauen und nicht mehr weiter über das Thema reden?«, bitte ich inständig.

Neustart ins LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt