Antworten

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Schweigend folge ich ihm, falle aber bald zurück, weil seine Schrittlänge einfach größer ist als meine. Wir biegen in ein Geflecht aus verwinkelten Gassen ein, wobei er an jeder Ecke prüfend einen Blick über die Schulter wirft, um sich zu vergewissern, dass ich ihm noch folge. Ich fixiere stur seinen Rücken, ohne aufzusehen. Bald aber macht die immer noch präsente Wut einem Gefühl platzt, dass ich noch nie in Zusammenhang mit Chris verspürt habe: Unwohlsein gepaart mit Skepsis. Schließlich habe ich ihn zehn Jahre nicht gesehen und Menschen verändern sich. Ich muss mir eingestehen, dass ich diesen Mann vor mir vermutlich nicht mehr kenne und nicht abschätzen kann, zu was er fähig ist. Ich meine, ist es nicht seltsam, dass er mich an so einen verlassenen Ort bringt, der einem Labyrinth gleicht und sich alle paar Sekunden nach mir umsieht. Auch wenn mir mein Kopf sagt, dass diese Zurückhaltung berechtigt ist, will mein Herz die Antworten um jeden Preis haben. Deshalb schiebe ich meine Zweifel beiseite, stelle meine Gedanken auf Durchzug und laufe verbissen weiter.

Vor einem recht herunter gekommenen Gebäude bleibt er stehen. Während er aufschließt mustere ich die bröckelige Fassade, die einige Risse aufweist. Sie lässt aber nicht darauf schließen, wie sehr dieses Hochhaus beschädigt ist. Auf einigen Balkonen stehen verwahrloste Garnituren, eingeschlossen von verrosteten Geländern. Meine Zweifel kehren zurück. Wäre das hier nicht der perfekte Ort, um jemanden sonst was an zu tun? Die anfängliche Wut ist verraucht. Stattdessen frage ich mich, wie ich so leichtsinnig hatte sein können. 

"Kommst du?" Chris Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ungeduldig wartet er im Treppenhaus auf meine Reaktion. Unschlüssig verharre ich. Ich weiß nicht, ob es mir die Antworten wert sind, mich selbst in Gefahr zu bringen...Wenn es dafür nicht schon zu spät ist, flüstert mir eine leise Stimme zu. "Willst du nun deine Antworten oder nicht?" Eine ganz einfache Frage, eigentlich. Ich mustere ihn. Obwohl er ungeduldig wirkt, hat er nichts feindseliges oder aggressives an sich. Auch vorhin schon auf der Straße hätte er mich einfach ignorieren können, aber er war geblieben. Mein Herz entscheidet für mich, lässt mich zu ihm treten. Er wendet sich wieder ab und steigt die Treppenstufen empor. Gedankenversunken folge ich. Habe ich mich gerade richtig entscheiden oder soll ich doch lieber die Flucht ergreifen, solange ich es noch kann? Erst als ich im Eingangsbereich einer Wohnung stehe, kann ich mich von meinen Gedanken losreißen. Chris weist mich an, meine Schuhe aus zu ziehen, während er mir gleichzeitig ein Paar Hausschuhe reicht. Anschließend folge ich ihm in ein Wohnzimmer, in dem nur wenige Möbel stehen, in einer Ecke dafür drei Umzugskartons. Ob er einzieht oder seine Sachen gepackt hat kann ich nicht sagen. Ich tippe aber auf ersteres. "Setzt dich ruhig" er deutet auf die Couchecke am Fenster. Er selbst tritt in den Küchenbereich und gießt seinen kalten Kaffee in den Ausguss des Spülbeckens. "Wenn wir reden, brauch ich einen heißen Kaffee, willst du auch einen?" Ich bejahe und lasse mich auf meinem zugewiesenen Platz nieder. Er scheint nichts zwielichtiges geplant zu haben. Deutlich beruhigt lehne ich mich zurück.

Fünf Minuten später sitzt er mir mit einer Tasse in den Händen gegenüber. Mein Kaffee steht dampfend auf dem kleinen Bestelltisch vor uns. Daneben liegt mein Croissant auf einem Teller, den Chris mir mitgebracht hat. "Also schön" über den Rand seiner Tassen blickt er mir entgegen, "Was willst du wissen?"

Ich warte einen Moment, bis der tosende Sturm in meinem Innern abebbt, den diese Frage auslöst. "Warum bist du wortlos verschwunden?" Das leichte Beben in meiner Stimme kann ich nicht unterdrücken. Mir gelingt es nicht ganz mein Pokerface zu wahren, im Gegensatz zu ihm, dem das Ganze hier nicht so nahe zu gehen scheint. Forschend sieht er mir abwechselnd in beide Augen. In dem Augenblick, in dem ich entscheide, dass es mir zu blöd wird, seufzt er einmal tief auf und beginnt zu erzählen.

"Alles begann mit meinem Vater, der eine hohe Position in der Politik inne hatte. Er war ein Mann mit Prinzipien, der sich nicht von anderen lenken und beeinflussen ließ. Dem entsprechend war er für manche ein Dorn im Auge. Als er sich dann für eine Politik einsetzte, die die Mächtigen unseres Landes um ihr Geld und ihre Macht bringen konnte, wurde er zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung für diese Leute." Dabei meint er Groß Britannien. Denn seine Familie stammt ursprünglich von dort, bis sie nach Deutschland ausgewandert waren. Eine der wenigen Details, die ich über seine Familie weis. "Sie haben Menschen angeheuert, die ihn und seine Familie töten sollten, damit sie sich keine Sorgen mehr um uns machen sollten. Dann nach seinem Tod hätte sein Amt ein anderes Familienmitglied, meine Mutter, besetzt und sie hätte sich niemals kaufen lassen. Stattdessen sollte es wie ein Unfall aussehen, bei dem meine Eltern, meine Geschwister und ich unglücklicher Weise zu Tode gekommen waren. Also mussten wir fliehen." Unverkennbare Verbitterung liegt in seiner Stimme und längst ist sein Blick durch mich hindurch in weite Ferne gerichtet. Wow, das ist ein harter Brocken, der schon erahnen lässt, was er mir gleich offenbaren wird. Denn er hat von seinem Vater in der Vergangenheitsform erzählt und seine Geschwister zuvor nie vor mir erwähnt. Jetzt ist auch klar, warum sie nach Deutschland gekommen waren. "Ihr Plan ging auf...teilweise zumindest. Mein Vater und meine Schwester starben. Nur meine Mutter, mein Bruder und ich überlebten schwer verletzt." Sein Blick verdüstert sich, gezeichnet von den Erinnerungen der Vergangenheit. 

Dancing in the SunlightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt