Prolog

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"Y/N... werde stärker... bitte... vergiss nie, dass wir dich lie-"

Sie hat es nie geschafft ihre Gefühle mir gegenüber zu äußern. Nichtmal im letzten Moment...

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Ich bin nun Anfang zwanzig und äußerlich könnte man direkt denken, dass ich mein Leben lang in Inazuma gelebt habe oder dort geboren wurde.
Ich trage kaum etwas anderes als meine kurzen Kimonos, die ich meist mit meinen schwarzen Kniestrümpfen kombiniere.
Darin kann ich mich im Kampf einfach am besten bewegen, ohne dass mich meine Kleidung bei meinen Angriffen behindert.
Mein langes Haar liegt offen über meinen Schultern, da ich einfach nicht geschickt darin bin, komplizierte Frisuren daraus zu machen. Nie hat mir jemand so etwas beigebracht und ich habe auch nie wirklich das Bedürfnis verspürt, so etwas zu erlernen.

Tatsächlich kam ich nur durch Umwege nach Inazuma. Meine Eltern waren beide begnadete Abenteurer und scheinbar hatten sie so wenig zu tun, dass sie genug Zeit dafür hatten, mich zu bekommen. Meine Eltern sprachen immer wieder davon, was es für eine urkomische Geschichte war, dass meine Mutter mich am Straßenrand in der Nähe eines Hilichurl-Lagers zur Welt gebracht hatte. Absolut zum Totlachen. Noch heute bewegt sich kein einziger Muskel in meinem Gesicht, wenn ich an die unzählige Male denke, die meine Eltern stolz und in schallendem Gelächter getränkt diese Geschichte irgendwelchem Leuten auf unserer Reise erzählt hatten.

Wie lange ist es schon her? 5 Jahre? Wohl eher 6 oder 7?

Ich hatte mich nie zu irgendeiner Nation zugehörig gefühlt, da meine Eltern und ich unser Leben damit verbrachten durch die Länder zu ziehen, um unsagbare Schätze zu finden. Meinen Eltern ging jedesmal das Herz auf, wenn sie den ein oder anderen Mora gefunden hatten oder einfach ein nettes Plätzchen zum Schlafen ausfindig machen konnten.
Ich hasste alles an diesem Leben. Die Nächte waren arschkalt und unbequem, da wir nie mit einem Lagerfeuer einschlafen konnten, da meine Eltern mich immer davor gewarnt hatten, dass alle möglichen Feinde magisch von nächtlichen Feuern angezogen werden. Es war ein grausames Leben da draußen, weil hinter jeder Ecke der Tod warten konnte.

Und doch hast du ihren Wunsch erfüllt.

Ich kann mich nur noch schleierhaft an das letzte Abenteuer mit ihnen erinnern. Wir befanden uns auf dem Drachengrat und ich weiß noch, dass ich buchstäblich von der Kälte gefressen wurde. Wir wollten uns grade an einer kleinen Fackel wärmen, als sich hinter uns ein riesiger Frost-Lawachurl aufbäumte. Mein Vater hatte keine Chance, als das Monster Wut entbrannt auf den eisigen Boden schlug. Die daraus resultierende Bodenwelle verschluckte meinen Vater wortwörtlich. Meine Mutter zückte ihre Klinge, doch selbst mir wurde in diesem surrealen Moment bewusst, was für einen lächerlichen Anblick sie abgab. Ich weiß nicht mehr, was genau passierte, doch wenige Augenblicke später lag meine Mutter blutüberströmt und schwer atmend neben mir.
"Y/N... werde stärker... bitte.. vergiss nie, dass wir dich lie-", ihre letzten Worte, die viel mehr einem leisen Keuchen ähnelten wurden abrupt abgeschnitten, als die riesige Hand nach meiner Mutter griff und ihr den Gnadenstoß verpasste.
Ich blickte in den letzten Sekunden nicht mehr in Richtung meiner Eltern, sondern nahm meine Beine in die Hand und versuchte mit aller Macht diesen Ort hinter mir zu lassen.
Tränen, die augenblicklich gefrierten, liefen über meine eisblauen Lippen. Meine Finger spürte ich schon eine Ewigkeit nicht mehr. Ich rannte wie eine Verrückte, hörte allerdings nicht nur meine Schritte im Schnee knirschen, sondern auch die des riesigen Albtraums. Er verfolgt mich.
Ohne eine Waffe oder irgendetwas, was nützlich gewesen wäre, rannte ich durch die unebenen Landschaft. Mein panischer Atem und das knirschende Geräusch der Schritte waren die einzigen Töne, die meine Ohren wahrnahmen. Dieser Ort war so sehr von der Zivilisation abgeschnitten, dass es wahrhaftig einem Wunder geglichen hätte, wenn noch eine weitere Seele in dieser Gegend gewesen wäre.
Ich rannte weiter und spürte, dass meine Lunge kurz davor war zu kollabieren, als ich plötzlich das berauschende Gefühl der Erleichterung spürte. Meine Lungen brannten nicht mehr so sehr und auch meine Beine mussten nicht mehr rennen.
Mein Bewusstsein brauchte einige Sekunden bis es sich an die Situation gewöhnen könnte. Ich falle.
Ja, das tat ich. Durch die Massen an Schnee und der Panik in meinen Augen hatte ich nicht bemerkt, dass ich geradewegs auf eine Klippe zu steuerte und mein letzter Schritt in die Leere ging.
Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich zu meiner eigenen Überraschung nicht von spitzen Klippen oder Felsen aufgespießt wurde, sondern am Ende beinahe einen Herzinfarkt erlitt, als ich im eiskalten Wasser landete.
Sowohl meinem Körper als auch meinem Bewusstsein war alles zu viel geworden und danach wurden meine Gedanken schwarz.

Ich weiß nicht mehr, wohin ich trieb oder wie lange ich überhaupt im Wasser war.
Das einzige, woran ich mich noch erinnern kann ist, dass ich tatsächlich überlebt hatte und den Himmel sah, als ich meine schmerzenden Augen öffnete. Der Himmel sah in diesem Moment schöner aus, als ich es jemals wahrgenommen hatte. Getränkt von diesem weichgespülten Gedanken musste mich erst eine zunächst fremde Person zurück in die Realität befördern. Später stellte sich heraus, dass es Beidou war, die mich an einem ganz anderen Ort des Meeres aufgabelte und mit an Bord nahm. Sie erzählte mir damals, dass sie dachte, dass ich tot wäre, da meine Glieder so steif durch die Kälte waren, aber ihr fiel direkt auf, dass ich mich an etwas mit aller Kraft krallte.
Und dort hielt ich es. Mein göttliches Auge.
Langsam und beinahe hypnotisierend pulsierten in der Mitte der goldenen Fassung drei purpurne Blitze, die ich an diesem Tag noch stundenlang ungläubig beobachtete.
Beidou brachte mich damals nach Inazuma. Als Vollwaise ohne richtigen Geburtsort wurde ich damals vom strengen Regime aufgenommen und lernte mit der Zeit mich durch zu schlagen.

Ich hielt nie viel von meinen Eltern, aber trotzdem erfüllte ich meiner Mutter ihren letzten Wunsch. Ich wurde stärker. Vielleicht war ich sogar die Stärkste im ganzen Land, ich weiß es nicht.
Ich machte mir nie viel aus Erfolgen oder Ruhm. Ich tat einfach das, was ich gut konnte.
Es mag makaber für den einfachen Bürger klingen, aber das Töten und Stärker werden beruhigte meine Seele. Ich liebte es, wie ich blitzschnell mit meinem Katana ganze Gruppen an Monstern ausschalten konnte.
Für mich war das Kämpfen immer etwas Schönes.

Ich lernte vor einiger Zeit ein junges Mädchen aus gutem Hause kennen. Kamisato Ayaka, wenn ich mich nicht irre. Ich verstand mich gut mit ihr und sie war mir dankbar, dass ich dem Volk Inazumas häufig geholfen hatte und viele Menschenleben gerettet hatte.
Das war zwar primär nicht meine Absicht gewesen, aber ich brachte es nicht übers Herz, ihre naive Realität zu zerstören. Ich rettete niemanden. Ich war nur auf der Suche nach Gegnern, damit ich stärker werden konnte.
Als Dank führte sie mir einen traditionellen Fächertanz vor, auf den ich zunächst vehement verzichten wollte, aber das ließ das junge Fräulein nicht zu. Mit einer schon fast erschreckenden Dominanz, die ganz und gar nicht zu dieser zierlichen Gestalt passte, bestand sie damals darauf mir die kulturellen Vorzüge Inazumas näher zu bringen. Und am Ende bin ich ihr dankbar für ihre Beharrlichkeit.
Ihr eleganter und anmutiger Tanz erinnerte mich an mich selbst. Ich sah mich mit meinem Schwert auf dem Schlachtfeld.
Als ich das Fräulein in ihrer faszinierenden Trance sah und bemerkte, dass sie mich allmählich mit ihren feinen Bewegungen in den Bann zog, wurde mir etwas klar. Das Kämpfen war für mich eine Art von Kunst, die mich innerlich erfüllte, wie sonst nichts anderes in meinem Leben. Auch ich führte jede meiner Bewegungen mit einer akribischen Präzision aus. Kein Kampf war wie der andere. Jedes Mal kreierte ich eine neue Choreographie, die mein Herz mit Zufriedenheit füllte.



Ich seufzte leise.
Ich befand mich gerade auf einem großen Schiff meiner mehr oder weniger guten Bekannten Beidou. Sie war zwar eine absolute Schnapsdrossel, aber im tiefsten Innersten eine wirklich gute Seele.
Trotz all den schönen Jahren in Inazuma, wurde es für mich endlich Zeit nach Liyue zu reisen.

Ich war bereits einige Male in Liyue für Aufträge oder persönliche Interessen, aber nie einen längeren Zeitraum als einige Wochen.
Doch diesmal sollte es für länger sein. Alleine mit meinem Katana ausgerüstet und in meinem liebsten Kimono gekleidet, reiste ich also auf Beidous opulenten Schiff in Richtung Liyue.
Ich ließ mein Hab und Gut nicht aus irgendwelchen tiefsinnigen Gründen in Inazuma, sondern durch die einfache Tatsache, dass mir eine bemühte Freundin eine möblierte Unterkunft anbot und es für mich somit sinnlos erschien Gepäck mit zu bringen.
Ich freute mich darauf Xiangling und meine anderen Freunde aus Liyue bald wieder zusehen, als ich noch einmal einen tiefen Atemzug der salzigen Meeresluft nahm und raus aufs Meer blickte, während ich an die Reling gelehnt war.

(fem)Reader x Tartaglia 🍋🐳Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt