„Bist du soweit? Wir müssen los."
Harry war, ohne anzuklopfen, in Albus Zimmer gekommen. Gereizt wegen dieser Unhöflichkeit und weil er sowieso keine Lust hatte, mit seinem Vater ins Ministerium zu gehen, knurrte er:
„Ja doch, gleich, hetz mich nicht so. Das Ministerium wird auch in zehn Minuten noch stehen."
Er band seine Krawatte, verhedderte sich aber. Harry trat auf ihn zu und wollte ihm helfen. Albus wandte sich unwillig ab.
„Lass mich, ich kann das alleine!"
Das „Entschuldige bitte!" klang nur mühsam beherrscht. Harry nahm sich ständig vor, geduldiger und verständnisvoller seinem jüngeren Sohn gegenüber zu sein, aber der Junge hatte irgendetwas an sich, das Harry immer wieder auf die Palme brachte. Wie konnte es sein, dass er sich mit James so großartig verstand, mit Albus aber ständig aneinander geriet? Vielleicht waren sie sich tief im Innern einfach zu ähnlich - oder zu verschieden - um sich gut miteinander vertragen zu können. Aber heute wollte Harry sich seine gute Laune nicht verderben lassen.
Albus Ausbildung zum Auror würde zwar erst in zwei Monaten beginnen, aber Harry wollte ihn schon im Vorfeld mit seiner zukünftigen Arbeit vertraut machen.
In den vergangenen sieben Jahren hatte er Albus meist nur während der Ferien gesehen und da hatte der Junge sich oft genug abgekapselt und in seinem Zimmer verschanzt. In Zukunft würden sie mehr Zeit miteinander verbringen und Harry hoffte, dass die gemeinsame Arbeit ihn und seinen Sohn näher zusammenbringen würde. Dass Albus Pläne in eine ganz andere Richtung gingen, ahnte er nicht einmal.
_ _ _
Mit mürrischem Gesichtsausdruck lief Albus hinter Harry durch die Gänge des Ministeriums. Sooft sie jemandem begegneten, begrüßte Harry den entsprechenden Kollegen geradezu überschwänglich. Er platze fast vor Freude und Stolz darüber, heute mit Albus hier zu sein. Albus hingegen fand das Verhalten seines Vaters einfach nur peinlich! Und Harry schien das nicht mal zu bemerken. Albus hätte sich am liebsten auf der Stelle umgedreht und das Gebäude verlassen. Er hatte sich selten so fremdgeschämt. Mit hochrotem Kopf und leiser Stimme grüßte er die Männer und Frauen, die ihnen begegneten. Die hielten das für Schüchternheit, lächelten gönnerhaft, klopften ihm aufmunternd die Schulter und gaben blöde Sprüche von sich.
„Keine Sorge, junger Mann, ich beiße nicht. Außer, du willst es."
„Na, jetzt beginnt bald der Ernst des Lebens, was?!"
„Das wird schon, hast ja nen super Mentor hier."
„Na, da kann das Böse aber einpacken, wenn wir erstmal zwei Potters hier haben!"
Und genau das brachte Albus so richtig in Harnisch. Schon wieder war er was besonderes, weil er der Sohn von Harry Potter war. Als ob das eine Leistung wäre! Alles, was dazu nötig gewesen war, war, dass sein Vater und seine Mutter Sex gehabt hatten. Er wollte aber aufgrund eigener Leistungen gemessen werden, nicht am Sexualtrieb seiner Eltern!
Während sie an offenen Bürotüren vorbei gingen, drangen immer wieder einzelne Gesprächsfetzen an sein Ohr.
„Hast du das neue Rundschreiben schon bekommen?"
„... einfach verschwunden, kannst du dir das vorstellen?"
„Der illegale Handel mit Feenkraut hat in den letzten drei Monaten ..."
„... bedaure, aber ich hab noch zwei Stapel Pergament aufzuarbeiten."
Albus schaute im Vorbeigehen in die Büros und sah Hexen und Zauberer bei der Arbeit. Memos flogen durch die Luft, Federn kritzelten auf Pergament, alle machten einen gehetzten Eindruck und überall stapelten sich Berge von Papieren, die auf ihre Bearbeitung warteten. Nein, das war definitiv nichts für ihn! So wollte er nicht leben.
„So, und das hier ist mein Büro!", sagte Harry stolz.
Albus betrat den Raum, sah sich um und dachte ein einziges Wort: „Drachenkacke!"
Im Gegensatz zu den anderen Büros herrschte hier peinlichste Ordnung. Der Schreibtisch war leer bis auf zwei Akten, ein Tintenfass und mehrere Federn, in einer Ecke stand ein Besen griffbereit und mehrere Grünpflanzen versuchten, dem Ganzen einen etwas gemütlicheren Eindruck zu vermitteln.
„Komm, setz dich." Harry deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und nahm selbst dahinter Platz. Er blätterte kurz in den Akten, nahm eine Feder und kritzelte ein paar Bemerkungen hinein. Er warf sie in die Luft und sie verschwanden.
„Nicht übel, was?! Hat Hermine sich ausgedacht, um die armen Hauselfen zu entlasten."
„Und was halten die davon?" Das klang ziemlich bissig.
Harry warf ihm einen erstaunten Blick zu, beschloss aber, die Frage zu ignorieren. Er deutete auf den Besen.
„Das allerneueste Modell! Hermine sorgt dafür, dass wir immer die besten Arbeitsmittel bekommen."
„Toll!" Mehr Sarkasmus in einer Stimme ging nicht.
Harry bemühte sich, ruhig zu bleiben und lächelte.
„Weißt du, das wird ganz toll, wenn du dich erstmal eingewöhnt hast. Sobald du deinen ersten Außeneinsatz hattest, wirst du schon sehen, dass ..."
Weiter kam er nicht, denn Albus hatte jetzt endgültig genug.
„Dad, vergiss es, ich werde hier nicht arbeiten."
„Oh, keine Sorge, später bekommst du natürlich dein eigenes Büro", versicherte Harry im Irrglauben, Albus wolle nur nicht mit seinem Vater im selben Büro arbeiten.
„Das ist ja toll, aber ich werde hier trotzdem nicht arbeiten. Ich will nicht Auror werden, ich will nicht im Ministerium arbeiten und schon gar nicht will ich in irgendeiner Art und Weise mit dir zusammen arbeiten!"
So, jetzt war es raus. Albus fühlte sich erleichtert. Für Harry hingegen brach gerade eine Welt zusammen.
„Du willst nicht Auror werden? Ja, aber, deine Noten ..."
„Ich habe nicht nur tolle Noten in Verteidigung und Zauberkunst, sondern auch in Pflanzenkunde und Zaubertränke, wie du dich vielleicht erinnerst."
„Was willst du damit sagen?" Harry sah Albus misstrauisch an. Der holte tief Luft, bevor er seinem Vater antwortete.
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„Du willst was werden?!" James lachte sich kaputt, als Albus seiner Mutter und ihm erklärte, warum er ohne Harry aus dem Ministerium zurück gekommen war und dass Harry später wahrscheinlich sehr schlechte Laune haben würde.
„Ich weiß gar nicht, was es da zu lachen gibt! Wenn es nicht immer wieder Menschen gegeben hätte, die Neues ausprobieren, würden wir heute noch mit Tierfellen bekleidet in Höhlen sitzen und Mammuts verkloppen." Albus ärgerte sich über die Ignoranz und das Unverständnis seines Bruders, wie so oft.
Bevor die Situation zwischen den Brüdern eskalieren konnte, schaltete Ginny sich ein.
„James, hör auf, deinen Bruder auszulachen!
Albus, hast du dir das auch gut überlegt? Das ist eine sehr gefährliche Aufgabe."
„Ach, aber Auror sein ist das nicht?!", fragte Albus und die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Ginny seufzte.
„Ich bin mir nicht sicher, ob du wirklich so genau weißt, worauf du dich da einlässt. Du bist noch so jung, du kannst doch noch gar nicht wissen, ob das wirklich das Richtige für dich ist. Probier es doch wenigstens mal im Ministerium. Vielleicht gefällt es dir ja doch."
„Nein, Mutter, das werde ich nicht. Hör endlich auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln. Find dich damit ab, dass ich erwachsen bin und meinen eigenen Weg gehe. Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich will schon mal anfangen, meine Sachen zu packen."
„Packen? Aber ... warum denn?"
Jetzt seufzte Albus.
„Hast du etwa geglaubt, ich würde meine Forschungen von hier aus betreiben?! Ich werd mir so schnell wie möglich was eigenes suchen, möglichst auf dem Land. Ich dachte an Yorkshire."
„Und wovon willst du das bezahlen? Von mir bekommst du nämlich keinen einzigen Knut!"
Unbemerkt hatte Harry das Haus betreten und stand mit verschränkten Armen und wütendem Gesichtsausdruck ans Sideboard gelehnt da und starrte Albus mit eiskaltem Blick an.

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Ein Kessel voller Träume
FanfictionAlbus Severus weiß, dass sein Vater sich nichts mehr wünscht, als dass sein jüngster Sohn Auror wird. Aber Albus hat ganz andere berufliche Vorstellungen. Wird er sich gegen seinen Vater durchsetzen können? Und was wird der Preis dafür sein? ( ab 16...