Kapitel 4

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Die Flammen unter dem Kessel loderten hell auf. Albus überprüfte die Temperatur, drosselte das Feuer um die Hälfte, wartete fünf Minuten und maß erneut. Er nickte zufrieden. Sein Blick ging zur Uhr. Nach exakt zwölf Sekunden fügte er dem Zaubertrank eine Prise geschabte Baldrianwurzel hinzu. Er rührte dreimal nach links, acht mal nach rechts und dann noch eine halbe Runde nach links. Dann löschte er das Feuer.
So, fertig. Jetzt musste der Trank nur noch abkühlen. Albus warf einen Blick auf die rubinrote Flüssigkeit im Kessel. Ohne sich selbst loben zu wollen, aber das hatte er perfekt hinbekommen. Snape höchstpersönlich hätte es nicht besser machen können.

Er ging zu einer kleinen Ablage, griff nach einem Notizbuch, das dort lag, schlug die erste freie Seite auf und kritzelte einige Bemerkungen hinein.
„4. November
Trank zur Verbesserung der Herzfunktion fertig gestellt. Ergebnis perfekt. Habe die von Professor Snape angegebenen Änderungen am Grundrezept vorgenommen. Geht tatsächlich schneller in der Zubereitung und verbessert Farbe und Reinheit. Morgen Test an Labormäusen um die Wirksamkeit zu überprüfen."

Albus arbeitet nicht gerne mit Versuchstieren, aber ab und zu hatte er keine andere Wahl. An Bäumen konnte er manche Tränke nun mal nicht testen. Die Wissenschaft war manchmal grausam. Aber das war die Welt der Magie ohnehin. Oder hatte McGonagall jemals eine Maus danach gefragt, ob sie in eine Vase verwandelt werden wollte?!

Er richtete sich ächzend auf und dehnte und streckte die Schultern. So langsam sollte er Feierabend machen. Das Abendessen hatte er mal wieder verpasst. Wenn er in seine Arbeit vertieft war, verlor er jegliches Zeitgefühl. Lacci, der seinen Herrn in dieser Hinsicht mittlerweile kannte, stellte ihm dann einen Teller mit Sandwiches hin, aber selbst die ließ Albus oft unberührt. Er verärgerte und kränkte den Hauself, der sich immerhin so viel Mühe gemacht hatte, immer wieder damit. Albus tat das ja selbst leid, denn Lacci war für ihn mittlerweile unersetzlich geworden. Der Elf kümmerte sich aufopferungsvoll um die Pflanzen im Gewächshaus sowie um die Kräuter- und Gemüsebeete. Und trotz der vielen Arbeit, die das machte, nahm er sich noch die Zeit, Albus Sandwiches zu schmieren, die dann oft vertrockneten und weggeschmissen wurden.

Ich muss mir mal was ausdenken, um ihm eine Freude zu machen, dachte Albus. Da der Elf mit den Pflanzen schon genug zu tun hatte, hatte Albus bereits den Hausputz übernommen. Was bedeutete, dass er einmal die Woche einen „Ratzeputz"-Zauber aussprach. Wenn er es nicht wieder mal vergaß. Ihm waren seine Tränke nun mal wichtiger als staubfreie Möbel und ein fleckenloser Boden.
Zumindest galt das für das Wohnhaus. In seinem Labor herrschten makellose Sauberkeit und Ordnung. Im Haus sah es hingegen oft aus wie sau. Albus kapierte das nicht, er war doch kaum im Haus. Allmählich verstand er seine Mutter, die ständig über die Hausarbeit geschimpft und sich beschwert hatte, dass die Arbeit nie weniger wurde. Wie hatte sie es nur hinbekommen, das Haus mit drei Kindern sauber und ordentlich zu halten? Er schaffte das schon nicht, obwohl er, abgesehen von Lacci, allein wohnte. Sein Respekt vor ihr wuchs.

Er band sich die lederne Schürze ab, hängte sie an den Haken, warf noch einen letzten prüfenden Blick in den Kessel und verließ das Labor. Er schloss sorgfältig die Tür ab und ging rüber zum Wohnhaus. Dort warf er sich aufs Sofa, legte die Füße auf den Tisch - und hörte ein missbilligendes Grummeln von Lacci. Albus nahm seufzend die Füße runter und setzte sich ordentlich hin. Manchmal war dieser Elf so pingelig! Albus hatte ihm schon öfters verboten, ihn zu erziehen, aber es half nichts. Auf alle anderen Anweisungen seines Herrn hörte der Elf, nur auf diese nicht. Albus ließ das Gefühl nicht los, dass seine Mutter da ein bisschen die Finger im Spiel hatte ...

„Laccis Herr hat schon wieder seit dem Frühstück nichts gegessen. Soll Lacci seinem Herrn noch etwas kochen?" Albus überlegte.
„Ja, du kannst mir ein paar Rühreier mit Speck machen. Dir natürlich auch."
„Wie Laccis Herr wünscht."
Der Elf verschwand in die Küche und bald zog der Duft von gebratenen Zwiebeln und Speck durchs Haus. Albus Magen knurrte.
Ich muss wirklich besser auf mich achten. Es nützt keinem was, wenn ich vor Hunger zusammenklappe, dachte er.
Kurz darauf stellte der Elf einen voll gefüllten Teller auf den Esstisch und blieb abwartend daneben stehen. Albus verdrehte die Augen. Das war auch so was! Der Elf bestand hartnäckig darauf, dass am Esstisch gegessen wurde - und nur dort! Sobald er Albus dabei erwischte, dass dieser sich auf dem Sofa verköstigte, oder, schlimmer noch, im Bett, baute er sich vor ihm auf, starrte ihn an und hielt so lange die Luft an, bis er blau anlief. Erpressung war das, fand Albus, ganz gemeine Erpressung, jawohl!

_ _ _

Am nächsten Nachmittag hockte Albus an seinem Schreibtisch und arbeitete den schriftlichen Bericht fürs Ministerium aus. Die dortige Forschungsabteilung würde diesen gründlich überprüfen und dann den verbesserten Trank in den Handel bringen. Oder auch nicht. Manchmal tat sich das Ministerium sehr schwer damit, Änderungen vorzunehmen...
Albus vermutete, dass sein Vater, obwohl er mit jener Abteilung nichts zu tun hatte, sich regelmäßig die Berichte seines Sohnes vorlegen ließ. Eigentlich musste die Abteilung so was streng für sich behalten, aber da es sich ja immerhin um Harry Potter handelte, wurde immer gerne ein Auge zugedrückt. Albus ärgerte sich darüber, konnte aber nichts dagegen machen. Aber sobald er erfahren würde, dass sein Dad versuchte, ihn in irgendeiner Art und Weise zu boykottieren, dann würde der Kessel qualmen! Denn das würde Albus nicht hinnehmen. Notfalls würde er sogar die ausländische Presse informieren. Aber bisher hielt Harry merlinseidank die Füße still. Vielleicht war er ja heimlich stolz auf seinen Sohn. Obwohl, genau betrachtet, müsste er da eher stolz auf Professor Snape sein, denn bislang erprobte Albus lediglich dessen Verbesserungsvorschläge, die er in die Bücher gekritzelt hatte, anstatt eigenständige Kreationen zu entwickeln. Das würde später kommen.

Er beendete den Bericht, in dem er auch dieses mal darauf hingewiesen hatte, dass sämtliche Änderungen von Professor Snape entwickelt worden waren und er sie lediglich nachgebraut und getestet hatte.
Er steckte die Pergamentrollen in einen Umschlag, klebte ihn zu und ging ins Gewächshaus. Dort war Lacci gerade mit dem Gießen der fangzähnigen Geranien beschäftigt.
„Wenn du damit fertig bist, musst du mal wieder ins Ministerium. Um die ätzenden Narzissen kümmere ich mich selbst."
Albus schickte grundsätzlich Lacci mit den Berichten ins Ministerium, um zu vermeiden, dass er dort mit seinem Vater zusammenstieß.
„Ist gut, Herr. Und wenn der Herr auch noch die abessinischen Schrumpelfeigen ernten würde?! Die sind reif."
„Mach ich."
Manchmal fragte Albus sich, wer hier eigentlich der Hausherr war ... Andererseits war Lacci wirklich ein Spezialist im Versorgen der magischen Pflanzen.

Nachdem er mit der Arbeit im Gewächshaus fertig war, ging Albus in seine Bibliothek. Er nahm eines der Bücher aus einem Regal und setzte sich damit in den Sessel am Kamin.
Snape hatte seinerzeit nicht nur herkömmliche Tränke verbessert, sondern auch ganz neue erfunden. Die Rezepte hatte er sorgfältig aufgeschrieben. Albus war beim Durchblättern eines seiner privaten Rezeptbücher auf einen sehr interessanten Trank gestoßen. Laut Snape sollte es durch diesen möglich sein, die galoppierende Leberfäule zu heilen, eine sehr tückische magische Erkrankung, gegen die es bisher kein Heilmittel gab. Zum Glück war diese Krankheit sehr selten, aber dennoch, fand Albus, sollte es ein Mittel dagegen geben. Wenn es ihm gelänge, den Trank zu brauen und er wirklich helfen würde, dann wäre das ein großer Durchbruch in der Medizin.

Albus vertiefte sich in die Liste der Zutaten. Die meisten hatte er vorrätig, andere konnte er problemlos bestellen, aber da war eine Zutat, die ihm Kopfzerbrechen bereitete.
Mähnenhaare eines Kelpie ...

Kelpies waren Wassergeister in der Gestalt eines Pferdes. Sie lebten in tiefen freifließenden Gewässern und boten Wanderern, die ans andere Ufer wollten, an, sie hinüberzutragen. Fiel tatsächlich jemand auf dieses angebliche Hilfsangebot herein, und setzte sich auf den Rücken des Kelpie, so zog dieser jenen Unglücklichen in der Mitte des Flusses in die Tiefe, tötete und fraß ihn. Keine schönen Aussichten, fand Albus. Trotzdem, wenn er den Trank brauen wollte, dann musste er versuchen, einen Kelpie zu bändigen und ihm einige Mähnenhaare auszureißen.

„Tja, dann muss ich wohl nach Schottland", seufzte Albus und erstellte im Kopf bereits eine Liste der Dinge, die er mitnehmen musste.

Ein Kessel voller TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt