Kapitel 6

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Fünf Tage später bekam Albus ein Paket.
Das wurde aber auch Zeit, dachte er. Jetzt, wo er die Kelpiehaare hatte, wollte er so schnell wie möglich damit anfangen, den Trank zu brauen. Aber einige Zutaten fehlten noch. Er hatte unter anderem keine getrockneten Billywig-Stacheln mehr vorrätig gehabt und das Feuersalamanderblut war nicht mehr frisch genug gewesen. Am ärgerlichste aber war, dass das kroatische Klippenkraut bei ihm einfach nicht gedeihen wollte. Also hatte er es bestellen müssen, für einen Preis, der ihm den Atem geraubt hatte. Aber jetzt war es ja endlich da.

Albus öffnete das Paket und fuhr entsetzt zurück. Der Gestank war einfach bestialisch. Er würgte und stolperte nach draußen an die frische Luft. Er versuchte, zu atmen, hatte aber immer noch den Gestank in Nase und Lungen. Er würgte erneut, beugte sich krampfhaft vor und übergab sich.

„Herr?", fragte Lacci besorgt. Der Hauself war gerade auf dem Weg ins Gewächshaus gewesen, als er gesehen hatte, wie sein Herr aus dem Labor taumelte.
„Kroatisches Klippenkraut ... verdorben", röchelte Albus, versuchte ebenso mühsam wie erfolglos, den Würgreiz zu unterdrücken und übergab sich solange, bis nur noch Galle kam. Er atmete abgehackt ein und aus, spuckte immer wieder den Speichel aus, der sich in Mengen in seinem Mund ansammelte, und versuchte sich zu beruhigen.

Lacci war ins Haus gegangen und hatte einen Wermuttee gegen die Übelkeit aufgebrüht. Er brachte Albus einen Becher Tee und der junge Zauberer trank ihn in kleinen Schlucken. Nach und nach wurde ihm besser zumute. Über den Rand des Bechers sah er Lacci an. Der Elf bemerkte zufrieden, dass die Gesichtsfarbe wieder von kalkweiß zu rosig wechselte.
„Besser?", fragte er.
„Ja. Danke für den Tee."
Er gab Lacci den Becher zurück.
„Wir müssen das Labor über Nacht gründlich lüften", meinte er. „Und dieser Händler kriegt was von mir zu hören!"
„Spricht mein Herr denn kroatisch?", fragte Lacci. Albus stutzte.
„Nee. Aber eine Faust im Gesicht ist universalverständlich! Verdorbenes Klippenkraut schicken und dann noch so viel Geld dafür haben wollen?! Das kann er vergessen. Ich gehe nachher zu Gringotts. Die sollen sich darum kümmern, dass ich mein Geld zurück bekomme!", wetterte Albus.

Lacci fragte ungerührt:
„Soll Lacci den Rucksack schon mal packen?"
Albus sah ihn verständnislos an.
„Warum? Den brauch ich doch bei Gringotts nicht."
„Nein, aber in Kroatien. Lacci kennt seinen Herrn. Wird Herr selbst nach Kroatien reisen und Klippenkraut besorgen."

Albus kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Sein Elf kannte ihn wirklich gut.
„Na ja ... Wenn man sich aber auch nicht um alles selbst kümmert!"
Lacci wandte sich ab und ging zurück zum Haus. Dann blieb er auf einmal stehen, drehte sich zu Albus um und fragte:
„Herr, darf Lacci etwas fragen?"
„Klar, was denn?"
„Darf Lacci dann in den nächsten Wochen auch das Wort „Klippen" nicht mehr sagen?"

_ _ _

Um drei Uhr nachts war im Naturschutzpark Kap Kamenjak, auf der südlichen Seite der Halbinsel Istrien gelegen, zum Glück alles ruhig. Die Adrenalinjunkies und Touristen, die hierher kamen zum Klippenspringen und um dabei zuzuschauen, schliefen tief und fest.

Albus stand allein, nach mühsamen Aufstieg, auf der höchsten Klippe. Für Muggel war diese um die fünfzehn Meter hoch, aber Zauberer wussten und konnten sehen, dass es noch höher hinauf ging. Albus befand sich jetzt auf einer Höhe von vierzig Metern. Ganz vorsichtig beugte er den Oberkörper und sah nach unten. Weit unter sich konnte er das dunkle Wasser sehen. Bei Merlins Bart,ging das hier tief runter. Und überall waren Felsvorsprünge. Auf einem davon leuchtete es leicht rötlich.
Das Klippenkraut!

Vorsichtig kniete Albus sich hin. Der Boden hier war ziemlich bröckelig. Er zog seinen Zauberstab und murmelte:
„Lumos!"
Die Spitze des Zauberstabes leuchtete auf und verbreitete ein warmes Licht. Albus legte sich flach auf den Bauch und leuchtete die Klippe hinab.
Hm, das waren etwa acht Meter.
Albus war noch nie ein begeisterter Bergsteiger oder Kletterer gewesen. Aber was tat man nicht alles für die Wissenschaft! Aber bevor er es riskierte, da runter zu klettern, wollte er etwas anderes ausprobieren.
„Accio Klippenkraut!"

Nun, immerhin wusste er jetzt, das es soo nicht ging.

Langsam und vorsichtig schob er sich vom Rand der Klippe zurück. Er stand auf und ging zu seinem Rucksack, den er unter einem knorrigen Baum abgelegt hatte, öffnete ihn und holte eine Kletterausrüstung heraus.
So ein Ausdehnungszauber war schon eine tolle Sache! Die Idee hatte er von Hermine übernommen. Ihr Perlenhandtäschchen war ja schon legendär. Albus vermutete, dass sie selbst nicht so genau wusste, was da eigentlich alles drin war.

Er legte die Ausrüstung an, wickelte das Seil ein paar Mal um den Baumstamm und befestigte es mit einem Karabinerhaken.
Er ging an den Rand der Klippe, drehte sich um, kniete sich hin und ließ sich langsam die Klippe herunter.

Die ersten Meter waren kein Problem, aber dann machte Albus den Fehler, nach unten zu sehen. Ihm wurde bewusst, dass er keinen Boden mehr unter den Füßen hatte und dass er, würde das Seil reißen, mehr als dreißig Meter in die Tiefe stürzen würde. Ihm wurde schwindelig und er begann zu schwitzen und zu zittern. Seine Hände wurden feucht und rutschten am Seil ab. Gerade noch rechtzeitig ertasteten seine Füße einen kleinen Vorsprung, auf dem er Halt fand. Er versuchte, sich zu beruhigen, aber sein Herz hämmerte so heftig, dass es ihm schon Schmerzen bereitete. Minuten lang verharrte er so. Endlich öffnete er die Augen, die er krampfhaft geschlossen gehalten hatte und atmete tief durch.

„Komm schon, du schaffst das! Nur noch ein paar Meter. Tu es für Snape!", redete er sich selbst Mut zu.
Noch vorsichtiger als bisher ließ er sich Stück für Stück an der Klippe herunter. Und dann hörte er plötzlich ein unheilbringendes Knacken und das Seil gab nach. Der alte Baum konnte auf dem ohnehin bröckeligen Boden das Gewicht nicht halten und drohte umzufallen. Er beugte sich Zentimeter für Zentimeter in Richtung Abgrund. Seine Wurzeln lösten sich immer mehr aus dem Boden.

„Neinneinneinneinnein! Bitte tu das nicht!", flehte Albus.
Der Baum fiel.

_ _ _

„ ... Und was ist dann passiert, Herr?", fragte Lacci, der Albus, der nur mit Unterhose bekleidet auf dem Rand der Badewanne saß, dabei half, seine diversen Abschürfungen mit Murtlapessenz zu behandeln.
„Na ja, da hing ich also an dieser blöden Klippe, der Baum rutschte immer näher auf den Abgrund zu und als ich meinen Zauberstab ziehen wollte, ist mir der doch glatt aus den Händen gerutscht und ins Wasser gefallen. Sah ziemlich übel aus für mich. Und dann war da plötzlich diese Schlingpflanze neben mir, die immer dicker wurde. Ich hab gar nicht nachgedacht, ich hab einfach nach ihr gegriffen und mich an ihr festgehalten. Hab mich vom Seil losgemacht, mich an der Schlingpflanze festgehalten und die ist dann irgendwie nach oben gezogen worden. Und ich mit ihr.
Als ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, hab ich mich umgesehen, aber da war niemand. Komisch."
„Und Euer Zauberstab, Herr?", fragte Lacci.
„Der ist kurz danach neben mir gelandet."
„Hm. Muss jemand Laccis Herrn geholfen haben", sagte der Elf.
Albus nickte.
„Ja, aber wer? Da war niemand zu sehen."

Lacci überlegte.
„Vielleicht der Vater von Laccis Herrn? Kann sich doch unsichtbar machen, oder irrt Lacci?"
Albus hob langsam den Kopf.
„Nein, Lacci irrt sich nicht", sagte er gedehnt.

_ _ _

Stinksauer stürmte Albus in sein Elternhaus.
„Albus!", rief Ginny erfreut, „Was machst du denn hier?"
„Wo ist er?", schrie Albus.
„Wen meinst du", fragte seine Mutter verwirrt.
„Dad, wen denn sonst? Also, wo ist er?"
„Dein Dad ist in Australien. Er nimmt an einer Konferenz teil, wo es um ..."
„Hat er den Tarnumhang dabei?", unterbrach Albus sie, den es wirklich nicht die Bohne interessierte um was für eine Konferenz es sich handelte.

Ginny hatte keine Ahnung, was mit ihrem Jungen los war. Warum war er bloß so aufgeregt? Und warum fragte er nach dem Tarnumhang?
„Nein", sagte sie, „der Tarnumhang ist hier."
„Zeig ihn mir!", befahl Albus.
Solch einen Ton war Ginny von ihren Kindern nun gar nicht gewohnt und sie dachte auch nicht daran, Albus diesen Tonfall durchgehen zu lassen.
„Jetzt hör mal zu, junger Mann ...", setzte sie an, aber weiter kam sie nicht. Albus war an ihr vorbei ins Elternschlafzimmer gerannt und riss den Kleiderschrank auf.
Da hing der Tarnumhang.

Als Ginny, die ihrem Sohn nach oben gefolgt war, ins Zimmer kam, drehte Albus sich zu ihr um.
„War Dad möglicherweise vor kurzem doch zuhause, ohne dass du es bemerkt hast?"
Ginny schüttelte den Kopf.
„Ganz unmöglich. Dein Dad quält sich seit fünf Stunden durch eine Sitzung zum Thema ..."
„Aber... wenn Dad es nicht war, wer war es dann?", murmelte Albus.
„Wer war was, Schätzchen?", wollte Ginny wissen, aber Albus antwortete ihr nicht.

Irgendjemand hatte ihm nun schon zum zweiten Mal das Leben gerettet und er hatte keine Ahnung, wer. Und ebenso wenig wusste er, warum. Aber eigentlich war es auch nicht sooo wichtig, sagte Albus sich und dachte an das Büschel kroatischen Klippenkrauts, das auf seinem Küchentisch lag.

Ein Kessel voller TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt