3 - Retterinnen in der Not

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Die kommenden Tage ziehen sich wie Kaugummi in die Länge.

Granny behandelt mich wie eine Schwerstverletzte und sorgt deshalb dafür, dass ich mich nicht vom Sofa wegbewegen kann - abgesehen von dem Gang zur Toilette natürlich. Selbst meine Vorlesungen am College verbietet sie mir, weshalb ich den ganzen Tag vor dem Fernseher gefangen bin.

Obwohl ich mich also durchgängig im Wohnzimmer befinde, bekomme ich Rider so gut wie gar nicht zu Gesicht. Vermutlich weicht er mir mit Absicht aus, weil er keine Lust auf eine Standpauke hat.

Früher oder später wird er diese aber noch bekommen - darauf kann er sich verlassen!

Da die Gedanken an meinen Bruder Wut in meinem Inneren hochkochen lassen, verwerfe ich sie und wende mich stattdessen an meine Granny. „Ich gehe ins Fitnessstudio, okay?"

Zwar heilen geprellte Nackenwirbel und ein verstauchtes Handgelenk nicht innerhalb von zehn Tagen, aber länger halte ich es nicht ohne Bewegung aus.

Der Sport gehört zu mir, so wie ich die Luft zum Atmen brauche.

Es erfüllt mich jedes Mal aufs Neue mit innerem Frieden, wenn ich mich beim Sport auspowern und über meine eigenen Grenzen hinausgehen kann.

Nicht umsonst habe ich mich vor zwei Jahren dazu entschlossen, Sportwissenschaften zu studieren.

„Ach Schätzchen, bleib doch lieber bei mir zu Hause und trink mit mir einen leckeren Früchtetee", versucht mich Granny vom Gehen abzuhalten. „Sport kannst du noch für den Rest deines Lebens machen. Mich hast du aber höchstens nur noch ein paar Jahre."

Unverzüglich breitet sich ein flaues Gefühl in meinem Magen aus, wenn ich an Grannys künftigen Tod denke.

Das ist ein Thema, mit dem ich mich auf keinen Fall beschäftigen möchte, immerhin habe ich den Tod meiner Eltern noch nicht einmal richtig verarbeitet.

Wie soll ich mich dann mit dem Tod einer weiteren geliebten Person auseinandersetzen können?

Eine eisige Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus. Ich muss schleunigst auf andere Gedanken kommen, sonst zerfließe ich gleich in Tränen.

„Tut mir leid, Granny, aber ich werde noch verrückt, wenn ich mich nicht endlich wieder bewegen kann", lächele ich sie entschuldigend an. Hoffentlich sieht mein Lachen dabei nicht so falsch aus, wie es sich gerade anfühlt. „Den Tee können wir gerne trinken, wenn ich wiederkomme, okay?"

Granny seufzt. Überzeugt ist sie zwar nicht von meinem Vorhaben - das verrät mir die Besorgnis, die in ihren hellen Augen schimmert - aber wenigstens akzeptiert sie meine Entscheidung. „Pass auf dich auf, Helin, ja?"

Ich drücke Granny noch schnell einen Kuss auf die Schläfe, um sie zu beruhigen, ehe ich mich auf den Weg ins Fitnessstudio mache.

Meistens bin ich den kurzen Weg dorthin mit dem Auto gefahren, aber heute gehe ich notgedrungen zu Fuß.

Die warme Herbstluft, die mich freudig in Empfang nimmt, sobald ich einen Fuß vor die Haustür gesetzt habe, tut mir gut. Endlich fühle ich mich wieder lebendig und frei und nicht mehr an ein Sofa gefesselt.

Da die frische Luft und Bewegung nicht aus meinem Alltag wegzudenken sind, waren die letzten Tage besonders hart für mich. Die Schmerzen, die ich meinem Unfall zu verschulden habe, waren dabei eher nebensächlich.

Jedenfalls für mich. In Grannys Augen habe ich nämlich einem überfahrenen Menschen, der nur noch am seidenen Faden im Leben hängt, Konkurrenz geleistet.

Nach nur zehn Minuten Fußmarsch habe ich das Fitnessstudio erreicht, sodass ich in der Umkleidekabine meine Schuhe wechsele und meinen Zopf noch einmal festziehe.

Don't mess with a copWo Geschichten leben. Entdecke jetzt