Trigger warning!!!
Keine 10 Minuten später, hastete ich auf Station. Als ich Schritte hinter mir hörte, drehte ich mich um und erblickte Cate. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht hauchte ich ihr ein "Bis später." zu. Sie nickte nur und schlug den Weg zum Zimmer ihrer Mutter ein. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Also lief ich, ganz anders als sonst, mit echter Fröhlichkeit ins Übergabezimmer rein. Das fiel natürlich auch meinen Kolleginnen auf. Sie schauten mich nur verwundert an, sagten aber nichts weiter. Die Station war ein einziges Chaos, doch selbst das konnte meine Laune nicht trüben. Ich wurde, wie es der Zufall so will, in den Bereich von June eingeteilt. Hoffentlich konnte ich meine Emotionen gut überspielen.
Nach der Übergabe, fing ich an die Infusionen vorzubereiten und dachte währenddessen über den gestrigen Abend nach. Noch immer wusste ich nicht, was genau passiert war. Ich vertrug wirklich keinen Alkohol mehr. Die zwei oder drei Gläser Wein, waren anscheinend schon zu viel. Dabei hasste ich es, die Kontrolle zu verlieren. Doch komischerweise, machte mir das in Cates Anwesenheit nichts aus. Bei ihr fühlte ich mich sicher und geborgen. So hab ich mich noch nie gefühlt. Auch nicht bei meiner Ex- Freundin. Doch konnte ich Cate wirklich vertrauen? Klar, der Morgen war unbeschreiblich schön. Doch nur wegen einem schönen Morgen, konnte ich ihr nicht vollständig vertrauen oder? Meine Gedanken spielten komplett verrückt. Der eine Teil möchte, dass ich Cate vertraue und mich auf sie einlasse. Der Andere wollte, dass ich ihr nicht vertraue, da sie mich wieder so verletzen wird wie jeder Andere in meinem Leben.
Ich hatte jetzt schon lang genug mit den Infusionen getrödelt und fing an diese Zimmer für Zimmer anzuhängen. Das letzte Zimmer, war das von June. Ich blieb kurz vor dem Zimmer stehen und atmete tief durch. Du schaffst das, du bist professionell und machst einfach deinen Job. Ich klopfte vorsichtig an und betrat dann das Zimmer. Es war ein drei- Bettzimmer. June lag an der Tür und ein bisschen um die Ecke, lag noch eine andere Patientin. Sie war 93 und kam nach einem schlimmen Sturz zu uns. Die ältere Dame, brach sich den Schenkelhals und die rechte Hand. Das bedeutete, dass man sie in allen Tätigkeiten unterstützen musste. Aber Eins nach dem Anderen. "Guten Mittag, June. Schön sie wiederzusehen. Ich hab noch eine Infusion für sie. Wie geht es ihnen denn heute?" June lächelte mich liebevoll an. "Hallo meine Liebe. Mir geht es ganz gut, aber wie geht es ihnen? Sie wirken ein bisschen verändert. So glücklich und zufrieden. Ja, sie strahlen ja schon fast. Möchten sie mir etwas erzählen?" sagte June und zwinkerte mir zu. Beschämt schaute ich Cate an, die auf einem Stuhl neben dem Bett ihrer Mutter saß und mich erwartend ansah. "Ich hatte nur einen schönen Morgen, June. Mehr erzähle ich ihnen bei Gelegenheit." sagte ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht. "Wenn sie noch etwas brauchen, melden sie sich einfach. In Ordnung?" June nickte mir zu und wand sich dann wieder an ihre Tochter, deren Blicke ich die ganze Zeit auf mir spüren konnte. Als ich mich an die andere Patientin wenden wollte, fiel mir auf, dass sie nicht mehr atmet. Okay, Ruhe bewahren. Ich schaute in der Patientenkurve, ob sie reanimiert werden wollte, im Falle eines Herzstillstandes. Da sie schon sehr alt war, hoffte ich, dass sie die Reanimation abgelehnt hatte. Doch Fehlanzeige. Sie wollte wiederbelebt werden. "Cate, June. Ich muss sie bitten das Zimmer zu verlassen." verwirrt schauten mich die Beiden an. "JETZT!" sagte ich laut und bestimmend. Cate half ihrer Mutter beim aufstehen und sie verließen schnell das Zimmer. Ohne lange darüber nachzudenken, betätigte ich den Herzalarm und fing an die Patientin zu reanimieren. Zwei Minuten später, stürmte auch schon das Reanimationsteam in das Zimmer und löste mich ab. Mir stiegen Tränen in die Augen. Warum machte ich das jetzt plötzlich so fertig? Sie war eine nette Patientin, doch ich konnte das immer gut von mir fernhalten. Nach 30 Minuten vergeblicher Reanimation, beendeten wir den Vorgang und der Arzt stellte den Tod fest. Das Reanimationsteam, sowie der Arzt verabschiedeten sich und nun war ich mit der Patientin allein im Zimmer. Sie hatte Angehörige am Bodensee, doch diese entschieden sich, sich im Bestattungsinstitut zu verabschieden. Innerhalb von 10 Minuten, hatte ich die Patientin fertig für die Pathologie gemacht. Ich wusste, dass meine Kolleginnen viel Stress hatten, also entschied ich mich, die Patientin allein wegzubringen. Also legte ich ein Leintuch über sie und öffnete die Tür. Draußen standen zwei geschockten Australierinnen und blickten mich mit traurigem Blick an. Ohne ein Wort, schob ich die Patientin an ihnen vorbei und deutete an, dass sie wieder in das Zimmer gehen können.
Vier Stunden später, konnte ich das erste Mal wieder durchatmen. Die Schicht war extrem stressig und hinzu kamen noch die Gedanken an die tote Patientin und Cate. Heute Mittag war sie noch meine Sonne und mein sicherer Zufluchtsort. Doch das was sie vorhin gesehen hatte, hätte nicht sein dürfen. Den Anblick an einen toten Menschen, sollte kein außenstehender sehen dürfen. Wie es ihr jetzt wohl geht? Ich war völlig vertieft in meine Gedanken, dass ich aufschreckte, als mich Maria an der Schulter antippte. "Erin, die Tochter von June möchte dich sprechen. Sie steht vorne beim Stützpunkt." ich nickte und bedankte mich bei ihr.
Als ich auf den Flur lief, stand sie da. So schön wie immer. Sie trug eine helle Bluse, mit einer hellblauen Jeans und weißen Sneaker. So schlicht aber dennoch wunderschön. Sofort fühlte ich eine angenehme Wärme in meiner Brust und als sie mich sanft anlächelte musste ich automatisch auch lächeln. "Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?" "Ja natürlich, folgen sie mir." sagte ich in gespielt professionellen Ton. Ich ließ ihr den Vortritt ins Büro, wollte grade die Türe schließen, als sie mich zu sich drehte und in den Arm nahm. Sie hielt mich fest, streichelte mir über den Kopf. Ich schlang meine Arme auch um sie, was sie lächeln ließ. Irgendwann löste sie sich von mir und nahm mein Gesicht in ihre Hände. "Wie geht es dir, Sweetheart? Das heute Mittag muss so schlimm für dich sein. Ist alles okay?" "Ja, Cate. Mir gehts gut. Aber wie geht es dir? Es tut mir so leid, dass du das sehen musstest. Ich dachte, ihr wärt beide weg. Sonst wäre ich nicht rausgekommen. Und es tut mir leid, dass ich euch so angefahren habe. Das war nicht böse gemeint. Ich wollte einfach nicht, dass ihr das seht." sagte ich entschuldigend. Diese Fürsorge um meine Person war mir neu. Ich wusste nicht wie ich damit umgehen sollte. Also tat ich das, was am besten half. Ablenken. "Ich weiß was du machst, Erin. Du versuchst von dir und deinen Gefühlen abzulenken. Aber das musst du nicht. Ich bin für dich da, Darling." Cate redete immer weiter und ich dachte nach, wie ich sie zum schweigen bringen konnte.
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Cates Nurse
RomanceErin ist Krankenschwester in Hamburg und hat schon viele Patienten behandelt. Doch als eines Tages eine ältere Dame aus Australien auf ihre Station verlegt wird, ahnt sie noch nicht, dass diese Patientin ihr ganzes Leben verändern wird.