Kapitel 2

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Ich wachte früh am Morgen auf. Da ich heute Nachtschicht habe, kaufte ich noch schnell Lebensmittel ein und legte mich um 13 Uhr wieder schlafen. Ausgeschlafen, machte ich mich gegen 18 Uhr wieder auf den Weg ins Krankenhaus. Dort angekommen, zog ich mich um und verstaute meine Wertsachen in meinem mintgrünen Spind. Eine gute Stunde zu früh, erledigte ich noch verschiedene Bestellungen und räumte das Back Office noch ein bisschen auf. Maria schüttelte nur lachend den Kopf als sie mich sah, sagte aber nichts weiter.

Bei Übergabe, erzählte Lizzy mir, dass June im Bauchraum operiert werden musste und sie nun die post- operative Überwachung braucht. Also stündlich Blutdruck. Puls, Sauerstoffsättigung messen und die Verbände auf Nachblutungen kontrollieren. So weit, so gut. Die restlichen Patienten waren wie immer. Ein paar Pflegefälle, ein junger Mann war auch dabei, sowie eine Privatpatientin, die genau weiß was sie will. Hoffentlich bleibt es diese Nacht ruhig. Als meine Kollegen weg waren unterhielt ich mich noch ein bisschen mit Hannah. Wir haben zusammen Examen gemacht, doch waren grundverschieden. Während ich mich vollständig auf meine Karriere konzentriert habe, hat Hannah zwei Kinder zur Welt gebracht und geht in der Rolle als Mutter und Ehefrau total auf. Das wäre nichts für mich, meine Karriere ist mir heilig. Ich fiebere schon seit Jahren auf die Stelle als Stationsleiterin hin. Der jetzige Stationsleiter Herbert ist schon im Rentenalter, kann oder will aber nicht aufhören. Da musste ich wohl oder übel viel Geduld mitbringen.
Die Nacht verlief soweit ruhig, bis auf einen Patienten der abgehauen ist.
Bei dem letzten Durchgang haben alle Patienten noch geschlafen. Bei June hielt ich mich wie immer ein bisschen länger auf, da ich Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung, Temperatur messen musste und ihren Verband kontrollieren musste. Alle Vitalzeichen waren in Ordnung, doch als ich die Decke zurückschlug um die Pflaster zu überprüfen, war alles voller Blut. Es blutete aus allen Wunden, die Drainagen waren am Überlaufen. Sofort verständigte ich einen Arzt. Das wollte ich zumindest, er ging jedoch nicht an sein Telefon. Ich wusste dass ich die Blutung stillen muss, doch ich hab keine vier Hände um alle Wunden gedrückt zu halten. Also tat ich aus Instinkt, das Einzige, das mir einfiel. Ich drückte die Notruftaste auf der Patientenklingel und legte mich queer auf June's Bauch um die Wunden abzudrücken. Zwei Minuten später kam Hannah ins Zimmer und verfiel sofort in Schockstarre. Erst als ich sie anschrie, einen Arzt zu holen, fand sie zurück in die Wirklichkeit und sprintete los. Fünf Minuten später kam sie mit einem Oberarzt zurück, der June sofort in einen OP brachte. Im OP angekommen, starrten mich alle Mitarbeiter an, bevor sie nach und nach die Wunden abdrückten, sodass ich wieder von June's Bauch steigen konnte. Völlig geschafft und in Blut getränkt, stolperte ich aus dem OP und setzte mich auf den Boden. So eine Situation hatte ich noch nie erlebt.
Es vergingen Stunden, Hannah hat eine Aushilfe für die Station organisiert, sodass sie nicht allein für 40 Patienten verantwortlich ist. Sieben Stunden später, kam der Oberarzt aus dem OP und setzte sich neben mich. Man sah ihm an, dass es eine schwere Operation war. „Dich wird freuen zu hören, dass es June gut geht. Und das dank dir. Hättest du nicht so schnell und clever gehandelt, wäre sie verblutet. Gut gemacht, Erin." Ich lächelte ihn nur müde an und beschloss mich erst zu duschen und dann zu schlafen. Die Nacht hing mir schwer in den Knochen.
Das heiße Wasser der Dusche entspannte meine Muskeln und es schien alles von mir abzufallen. Frisch geduscht und in meinen Schlafanzug gehüllt, schlief ich in dem Moment ein, als mein Kopf das Kissen berührte.

Am nächsten Morgen wachte ich durch den Piepser des Assistenzarztes, der im Bett neben mit schlief auf. Na toll, es war 7 Uhr und jetzt konnte ich eh nicht mehr einschlafen. Also stand ich aus dem Bett auf und fuhr erstmal nach Hause, um mir frische Kleidung zu holen und zumindest einen Apfel zu essen. Ich machte mich ans Wäsche waschen und das nächste Mal als ich auf die Uhr schaute, war es schon kurz vor 12. Mein Handy klingelte, Kristin rief an. "Hey Erin, ich denke es freut dich zu hören, dass es Venus spitze geht. Sie gewinnt wieder mehr an Muskeln und ist auch unterm Sattel wieder viel entspannter. Wenn du möchtest kannst du sie Ende der Woche wieder anholen. Meine Arbeit ist getan.", erleichtert atmete ich auf. Nach ihrem Unfall auf der Koppel, musste ich Venus fast einschläfern. Doch wie eine Kämpferin hatte sie sich zurück gekämpft und ist jetzt wieder fast die Alte. "Danke für alles Kristin, du glaubst ja nicht, wie froh ich bin das zu hören. Ich werde mal mit meinem Chef reden und rufe dich dann nochmal an.". Kristin und ich plauderten noch über Dies und Das, während ich mich für die Schicht fertig machte. Eine viertel Stunde später fuhr ich auch schon los. Ich wollte früher als die Anderen da sein, da ich mich noch über den aktuellen Stand der Station bringen wollte. 

Ich lief durch den Haupteingang des Krankenhauses, atmete einmal tief durch und ließ alles auf mich wirken. Hier verbrachte ich den Großteil meines bisherigen Lebens. Eine blonde Frau rempelte mich an und riss mich somit aus meinen Gedanken. Es war Cate. Ihr Gesicht war voller Sorge, als sie sich kurz entschuldigte und weiter lief. Würde sich jemand so um mich sorgen, wenn ich schwer verletzt wäre? Ich hatte niemanden. Nur Venus. Und ich bezweifle, dass sich mein Pferd so um mich sorgen würde. Ich wäre allein, wenn mir etwas passieren würde. Ich würde eines Tages allein sterben, ohne Freunde und Familie. Aber warum brachte mich ausgerechnet Cate auf diese Gedanken? Sonst sehe ich jeden Tag Leid und nie hat es mir etwas ausgemacht. Ich beschloss, den Gedanken bei Seite zu schieben und mich schnell umzuziehen. 

Nach der Übergabe, bereitete ich die neu angesetzten Medikamente und Infusionen vor. Heute war ich wieder für June zuständig. Einerseits freute es mich, dass es ihr wieder gut geht. Doch es breitete sich in mir auch ein mulmiges Gefühl aus. Ihre Familie wird bestimmt da sein. Das würde mich nur wieder auf traurige Gedanken bringen und das war das Letzte das ich wollte. Also fragte ich Maria, ob sie für mich zu June gehen könnte und ihr die Infusion anhängt. Natürlich stimmte sie zu, ohne weitere Fragen zu stellen. Es war mir gelungen, den Großteil der Schicht, June aus dem Weg zu gehen. Und Cate, sie hatte ich auch gemieden. Sie löste etwas in mir aus. Die Sehnsucht geliebt zu werden. In all den Jahren, hatte niemand das in mir ausgelöst. Also warum ausgerechnet Cate und June? In Gedanken versunken, merkte ich nicht, wie eine größere Person an die Theke kam. Ich tippte wahllos auf dem PC rum und versuchte die Zeit bis 18 Uhr tot zu schlagen. Das Ende der Besuchszeit. Dann würde ich Cate bis morgen nicht mehr sehen.

Plötzlich nahm ich ein Räuspern wahr, dann noch eins, bis ich mich dazu entschloss hoch zu schauen. Und da stand sie. Ihre eisblauen Augen schienen direkt in meine Seele zu blicken. Ich schluckte schwer, bis ich ein leises und krächzendes "Was kann ich für Sie tun?" zustande brachte.

Cates NurseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt