Josephine Ward
„Ihr habt noch bis Freitag Zeit, um eure Projekte einzureichen. Falls ihr noch irgendwelche Fragen zu der Zusammenstellung der Mappe habt, solltet ihr mich spätestens bis morgen ansprechen oder eine E-Mail schreiben. Ist soweit alles klar?"
Ich bemühte mich vergebens, mich auf die Worte meines Professors für Fotografie zu konzentrieren. Doch offenbar ging das meinen Kommilitonen ähnlich, denn es hatte den gesamten Kurs über eine unruhige Stimmung geherrscht. Immer wieder spürte ich neugierige Blicke auf mir ruhen und Sitznachbarn miteinander tuscheln.
„Nun zum Ende des Kurses möchte ich noch etwas Persönliches mit euch besprechen", sagte der Professor und ließ seinen Blick ruhig durch den Saal schweifen. Der mitleidige Gesichtsausdruck verriet bereits, worüber er sprechen würde. „Ich weiß, dass einige von Ihnen auf der Party in der Nacht von Freitag auf Samstag anwesend waren und das Opfer persönlich kannten."
Ein bitterer Geschmack stieg in meinem Hals auf und ich hielt den Blick stur auf mein unbeschriebenes Collegeblockblatt gerichtet. Ich würde es nicht ertragen können, die mitfühlenden Augen meines Professors anzusehen. Das Opfer. Wie das klang.
„Was passiert ist, ist schrecklich und wir Dozenten möchten Ihnen die größtmögliche Unterstützung anbieten. Es steht jedem von Ihnen frei, jederzeit den Kurs zu verlassen, wenn Sie Zeit für sich benötigen. Außerdem wird von nun an eine professionelle Psychologin auf dem Campus anwesend sein, an die sie sich wenden können. Bitte zögern Sie nicht, sich Hilfe zu holen."
Die Hilfe kommt etwas spät, dachte ich bitter.
Der Professor beendete die Stunde und rasch wie immer leerte sich der Hörsaal. Die Gedanken rasten chaotisch durch meinen Kopf, doch meine Gliedmaßen blieben starr, als wäre ich auf meinem Platz eingefroren. Ich hörte, wie sich mit Schritte näherten und wenige Meter vor mir Halt machten.
„Josephine?" Es war die Stimme meines Professors. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Der einzige Grund, warum ich diesen Kurs noch besuchte, war, dass der Professor ein guter Fotograf war und wirklich etwas von seinem Fach verstand. Und dass ich es mir nicht leisten konnte, in dem Kurs durchzufallen.
„Geht es dir gut? Du wirktest sehr abwesend", fuhr er fort, als ich nicht auf ihn reagierte. Seine Stimme bewirkte immerhin, dass ich aus meiner Starre fuhr und eilig meine Sachen zusammenpackte. Stumm nickte ich in der Hoffnung, dass er es darauf beruhen lassen würde.
„Ich meine nicht nur heute", sagte er allerdings, „Seit ein paar Wochen scheinst du nicht ganz bei dir zu sein." Ich spürte, wie er noch einen Schritt näher trat und ich zuckte zurück. Wie elektrisiert sprang ich von meinem Platz auf und schob mich mit einer halboffenen Tasche an ihm vorbei.
Doch im letzten Moment ergriff er mein Handgelenk und hielt mich auf. Sein Griff zwang mich dazu, ihn anzusehen. Widerstrebend blickte ich auf.
„Du solltest dich zusammenreißen." Auf seinem Gesicht lag dieses freundliche Nachbarlächeln, welches von leicht besorgten Zügen durchzogen war. „Du kannst es dir nicht leisten, in diesem Kurs durchzufallen. Das weißt du oder?"
Ich nickte mechanisch. Er wiederholte diese Geste langsam und lies dann mein Handgelenk langsam los. „Ich würde dir raten, mit der Psychologin zu sprechen. Das ist wirklich ein wichtiges Angebot", fuhr er fort, „Ich möchte nur das Beste für dich. Du musst diese Hilfe nur zulassen."
Ohne zu antworten drehte ich mich um und verließ wortlos den Hörsaal. Mein Puls raste und meeine Atmung hatte sich erhöht, sodass ich mich im Gang angekommen erst einmal an eine Wand lehnte und tief durchatmete. Studentengrüppchen strömten an mir vorbei von den Hörsälen in die Cafeteria oder die Bibliothek. Mein Blick fiel auf die Eingangshalle, die sich am Ende des Ganges erstreckte. Es war eine Art Denkmal mit einem Bild von Kota Debres errichtet worden, zu dem den Tag über zahlreiche Studenten kleine Andeken, Kerzen und Blumen beigetragen hatten. Es wirkte wie ein Schrein für eine Gottheit.
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Who Killed Kota?
Mystery / ThrillerKota Debres Geburtstagsparty anlässlich seines 21. Geburtstags endet in seinem Tod. Daphne van Halen, die Prinzessin aus gutem Elternhaus. Alise Corvy, die strebsame und stille Studentin. Grey Meadow, der beste Freund Kotas und leidenschaftlicher Z...