Alise Corvy
Samstag, 12:38 UhrIch konnte nicht aufhören, in meinem Kopf nachzurechnen. Es war Samstag Mittag, 12:38 Uhr, und vor etwas mehr als 16 Stunden hatte Kota zum letzten Mal in seinem Leben Gäste empfangen. Vor beinahe 13 Stunden war er 21 geworden. Und vor genau drei Stunden und fünfunddreißig Minuten war er von einem Mädchen tot aufgefunden worden. Einundzwanzig Jahre, einfach so verloren.
„Vielen Dank, dass du gekommen bist, Mäuschen." Meine Mutter lächelte mich offen an und legte die Arme um mich. Ich erwiderte ihre unerwartete Umarmung unbeholfen. Wir umarmten uns nicht besonders häufig, doch wenn wir es taten, handelte es sich um einen besonderen Anlass.
Ich lächelte sie an. „Kein Problem", erwiderte ich, „Es war sehr nett." Ich war überrascht, dass meine Worte tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Trotz meiner nervtötenden Kopfschmerzen war das ausgiebige Frühstück mit dem neuen Freund meiner Mutter angenehm gewesen. Ich hatte nichts an ihm auszusetzen. Er war freundlich, interessiert, hatte einen gutbezahlten Job und schien nicht besitzergreifend zu sein. Er war mir gegenüber respektvoll aufgetreten und hatte mich vor unangenehmen Liebeleien mit meiner Mutter in meiner Anwesenheit bewahrt.
„Magst du ihn?", fragte meine Mutter hoffnungsvoll.
„Mag Dad ihn denn?", fragte ich grinsend. Wir schlenderten nebeneinander den Gehsteig entlang zu dem Kleinwagen meiner Mutter. Sie hatte versprochen, mich nach dem Frühstück wieder nach hause zu bringen. Ich hatte an diesem Wochenende noch einiges für die Uni zu tun und wusste außerdem, dass Josie an diesem Tag einen Fotographiekurs belegte, welcher bis 16:00 Uhr gehen würde. Bis dahin hatte ich also ohnehin nichts zu tun.
Als meine Mutter nicht antwortete, hob ich fragend eine Augenbraue. Sie schien verlegen zu sein. „Mag er ihn etwa nicht?", fragte ich ungläubig. Mein Dad war ein vernünftiger Mann und teilte meist meine Meinung von den neuen Eroberungen meiner Mutter. Wir stellten sehr schnell fest, wann es sich um echte Gefühle und einen netten Typen handelte und wann nicht.
„Er hat ihn noch nicht kennengelernt", sagte sie schließlich.
„Wann stellst du ihn denn vor?", fragte ich neugierig und musste mir ein kleines Grinsen verkneifen. Die Kennenlernen mit meinem Vater waren stets amüsant und stellten die neuen Typen bereits auf die Probe. Zunächst ließ er meist den beschützerischen Exmann heraushängen und fragte sie aus. Dann tat er auf besten Kumpel und machte anzügliche Andeutungen, um ihre Reaktion zu testen. Nicht wenige waren bereits von meinem Vater eingeschüchtert und vertrieben worden.
Mein Vater war ein toller Kerl. Er war ein Freigeist und eine junge Seele. Zeitweise verdrehte ich über seine Albernheit die Augen und fragte mich, ob nicht ich die Erwachsene von uns beiden war. Doch er schaffte es immer, mich zum Lachen zu bringen. Diese Lockerheit erlaubte es mir, mich bei ihm immer sicher zu fühlen. Ich erzählte meinem Dad alles, all meine Sorgen, Probleme und Geheimnisse. Zwischen meiner Mutter und mir stand meist eine unausgesprochene Anspannung und die hohen Erwartungen, die sie an mich und meine Leistungen hatte. Ich wusste, dass sie mich nicht minder liebte und dass ich auch ihr bedingungslos vertrauen konnte, doch unsere Beziehung war nicht annähernd so gelassen wie die zu meinem Vater.
Doch mein Verhältnis zu meinem Vater wurde stets dann getrübt, wenn wir unter Menschen etwas zusammen unternommen. Meine offensichtlich asiatische Züge und sein nordeuropäisches Aussehen bewirkten, dass die Leute uns niemals als Vater und Tochter anerkannten. Meist hielten sie uns für Bekannte, doch manchmal auch für Geliebte. Mein Vater war nur knapp 22 Jahre älter als ich und hatte ein junggebliebenes Gesicht, sodass diese Annahme nicht ganz abwegig war. Doch es bereitete mir stets ein großes Unbehagen, sodass ich meist seine Unternehmungsvorschläge ausschlug, die in der Öffentlichkeit stattfinden sollten.
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Who Killed Kota?
Misteri / ThrillerKota Debres Geburtstagsparty anlässlich seines 21. Geburtstags endet in seinem Tod. Daphne van Halen, die Prinzessin aus gutem Elternhaus. Alise Corvy, die strebsame und stille Studentin. Grey Meadow, der beste Freund Kotas und leidenschaftlicher Z...