Kapitel 5: Kennenlernen

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Schließlich steige ich tropfend aus der Badewanne aus und trockne mich ab. Nachdem ich mich angezogen habe, stelle ich mich an die Tür und lausche. Es ist nichts zu hören, aber ich warte weiterhin ab. Dann, nach einiger Zeit, sind leise, tapsende Schritte zu vernehmen. Das muss Emely sein. ,, Bist du fertig?", fragt sie flüsternd durch die Tür.
,,Ja, aber was machen wir jetzt? Ich kann doch nicht einfach gehen!", antworte ich ebenfalls leise.
,,Mach erstmal mal die Tür auf, bitte. Dann können wir besser reden."
Ich komme ihrem Wunsch nach und sie tritt ein. Ich wuschele mir durch meinen noch leicht feuchten, dunkelbraunen Haare. Um die brauche ich mir keine Sorgen machen, ich habe das Glück, dass meine Haare sogar gut aussehen, wenn ich nicht wirklich etwas mit ihnen gemacht habe. Zumindest hatte meine Mutter das früher oft gesagt.
Lachend sagt Emely zu mir: ,,Hey, pass doch auf. Ich werde ja ganz nass." ,, Ist ja schon gut. Ich föhne sie mir eben schnell, ja?" ,,Klar mach das ruhig, meine Eltern können ja eigentlich keinen Verdacht schöpfen.", versichert sie mir.
Schnell sind meine Haare trocken und wir können unser weiteres Vorgehen planen. Allerdings scheint ihr eine Frage auf der Zunge zu liegen, denn sie guckt so ungeduldig drein. Schließlich stellt sie mir tatsächlich eine Frage: ,,In dem ganzen Stress hab ich dich noch gar nicht nach deinem Namen gefragt! Rück raus mit der Sprache, wie heißt du?"
Ach ja, das hatte ich auch ganz vergessen. Schnell sage ich: ,,Ich bin Tom." Sie streicht sich eine Strähne ihres blond-hellbraunen Haares aus dem Gesicht und sagt: ,,Cool, dann kennen wir uns ja jetzt." ,,Ja. Aber mir geht die ganze Zeit diese Frage durch den Kopf: Warum hast du mich nicht verpfiffen? Schließlich bin ich ja in euer Haus eingebrochen!" Sie schwenkt zu einer ausführlichen Erklärung an, aber ich unterbreche sie: ,, Fass dich kurz und treffend, bitte." Ein Lächeln geht über meine Lippen und sie erwidert es. Dann fängt sich doch an zu sprechen: ,,Also.
Im Grunde gibt es zwei Hauptgründe. Erstens mal, weil ich deine Lage gut verstehen kann, auch wenn ich noch nie obdachlos war. Ich kann mir leicht vorstellen, dass du es sehr schwer hast und keine zusätzlichen Probleme gebrauchen kannst. Und der zweite, weitaus stärkere Grund ist, die beiden Leute da unten, das sind nicht meine richtigen Eltern. Sie haben mich nur adoptiert, weil meine leiblichen Eltern mich aus irgendeinem Grund von Geburt an zur Adoption freigegeben haben. Ich habe bis jetzt nicht erfahren, warum sie das getan haben. Aber wie dem auch sei, ich hasse meine Pflegeeltern. Sie behandeln mich weniger wie ihr Kind, sondern eher wie eine lästige Verpflichtung. Wir leben zwar zusammen, aber es kommt mir immer wie ein ewiger Zwang vor. Jetzt fragst du dich bestimmt: Warum kontrolliert das Jugendamt das Verhältnis zwischen uns nicht? Nun ja, das tun sie, aber dann tun meine ,,Eltern" immer auf heile Welt und ich muss mitspielen. Frag mich nicht wieso sie das tun, diese Frage habe ich mir auch nicht nur einmal gestellt.
Und deswegen kann ich dich besser verstehen als du vielleicht zuerst gedacht hast." Ein bisschen traurig blickt sie mich an. Sie tut mir wirklich Leid, aber irgendwie beneide ich sie auch, immerhin hat sie eine Familie.
Nachdenklich antworte ich: ,,Danke, du bist wirklich sehr nett. Ich hoffe du kannst irgendwann mal glücklich leben."
,,Wieso irgendwann? Ich könnte doch mit dir kommen. Zu zweit lebt es sich besser als allein." Ich denke kurz über diesen Vorschlag nach, aber eigentlich weiß ich, dass das unmöglich ist. Sie hat eine Familie und kann nicht einfach von heute auf morgen verschwinden. Man würde nach ihr suchen. Ich blicke auf und schaue in ihr fragendes und gleichzeitig flehendes Gesicht. Und plötzlich öffnet sich die Tür hinter ihr und ich höre ihren Vater sagen: ,,Emely, mit wem redest du da?"

Mein Leben als DiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt