Kapitel 18

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Victors drohenden Schritten nach hinten folgend, stoße ich mit dem Rücken gegen das Geländer. Ich ziehe die Luft erschrocken ein, als er mich am Kragen meines Pullovers packt und soweit über den Abgrund hält, dass ich mit der oberen Körperhälfte über dem hundert Meter entfernten Tod schwebe. Panisch klammere ich mich an Victors Arm, will mich hochziehen. Doch er hält mich noch ein Stück tiefer, sodass ich mich aus eigener Kraft nicht mehr aufrichten kann.

»V-Victor...«, wispere ich voller Furcht. »W... Warum...?«

»Ich fragte dich einst, ob du den Tod fürchtest.« Mit pochender Wutader an der Stirn, versetzt er mir einen Stoß, sodass ich glaube, jede Sekunde zu fallen. »War dein Mut genauso gelogen, wie deine säuseligen Worte eben?«

Plötzlich hat der kalte Zugwind nichts mehr romantisches. Er zeigt mir nur noch, wie weit ich mich vom Boden entfernt befinde – wie weit ich fallen könnte. Obwohl ich mich bereits an Victors Drohungen gewöhnt habe, meint er es diesmal ernst. Meine Fingernägel krallen sich in das weiße Hemd, während meine großen Augen auf dem makaberen Gesicht liegen, das jegliche Wärme verloren hat.

»Du hast mich die ganze Zeit abgehört«, stellt Victor nüchtern fest. Seine freie Hand greift in meine andere Jackentasche, um wild darin zu wühlen. Zum Vorschein kommt ein weiterer daumenbreiter Gegenstand. Victor ballt seine Hand zur Faust, bis seine Knöchel weiß hervortreten. Ein leises Knacken deutet darauf hin, dass er das kleine Ding zerquetscht hat.

»Ein GPS Sender auch noch?« Er lehnt sich überheblich zurück. Sein ironisches Lachen hat etwas gruseliges. »Wolltest du ihn mir heute unterjubeln? Für eine arme Reinigungskraft ohne richtige Wohnung bist du recht gut ausgestattet, hm?«

»Ich weiß nicht, was das ist!«, verteidige ich mich, spähe flüchtig hinunter zur befahrenen Straße. »R-Reden wir darüber, aber... e-erst musst du mich loslassen...«

»Soll ich, ja?« Meine unbedachten Worte ernstnehmend, lässt er tatsächlich meinen Kragen los. Jetzt halte ich mich nur noch an seinem Arm geklammert, um nicht zu sterben.

Als ich zum gnadenlosen Mafiaboss aufblicke, spüre ich einen stechenden Schmerz in meinen Augen. Das kann er nicht tun... Warum tut er das...? Ich dachte, wir fühlen das gleiche... Über meine Lippen flüchtet ein einziges, heiseres Schluchzen.

»Victor...«, hauche ich bestürzt. »...Victor...«

Der Mann, vom dem gerade wortwörtlich mein Leben abhängt, leckt sich über die Zähne. »Was wundert es mich? Tom, Nina, Isabell, Justin, Felix, Mark – Es war eine Frage der Zeit, bis ich dich auf ihre Liste schreiben könnte. Allerdings dachte ich, dass wir vorher noch ein wenig mehr spielen würden.«

»Ich kenne diese Leute nicht!«, schreie ich.

»Natürlich nicht. Sie sind tot, weil sie mich verraten haben. Deine Vorgänger. Bist du gespannt darauf, sie kennenzulernen?«, fragt er grausam. »Für wen arbeitest du?«

Ich kneife die Augen zusammen. »Für niemanden, verdammt! Keine Ahnung, was das für Zeug ist, oder wie es in meine Taschen kommt. Warum sollte ich dich abhören wollen! Das ist verrückt! Hör auf damit! Lass mich runter!«

»Nenne mir einen Grund, warum ich dich nicht stoßen sollte«, raunt Victor dunkel. »Du hast mich beleidigt, mich beschämt... doch Verrat werde ich niemals zulassen. Irgendwelche letzten Worte?«

Das ist nicht wahr, schießt es mir durch den Kopf. Eben hast du mir gezeigt, wie du sein kannst. Jetzt sollst du nur noch ein brutales Monster sein? Als mein Blick auf Victors trifft... als ich das nervöse Flackern seiner Augen wahrnehme, da atme ich tief durch. All das war keine Einbildung, nicht wahr?

Unlimited (GayErotic)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt