❀ teil drei ❀

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„Aber ohne Lieben, Lachen , Weinen
ist das Leben selbst wie Sterben"
- Kontra K

Die Panik war wie ein Wesen, das stets auf der Lauer war. Sie wählte sich ihre Opfer gezielt aus und fuhr ihre langen Krallen nach ihnen aus, die sich ihren Weg von den Zehnspitzen bis ins Gehirn bahnte. Dabei ließ sie keine Zelle aus, sie zerfraß jede einzelne und alles was blieb, war eine dunkle Kälte. Alles schaltete ab und die Panik schien mich zu übermannen.

Als ich endlich wieder bei Sinnen und reaktionsfähig war, schrak ich so sehr zurück, dass ich ungünstig gegen das Waschbecken stieß. Die Panik machte kurzzeitig Platz für den Schmerz, der durch meinen Unterarm schoss, ehe sie mich erneut - heftiger als zuvor - zu überwältigen drohte.

„Mila", durchdrang eine Stimme den Nebel, der meine Sinne beeinträchtigt hatte. Eine Stimme, mit derem Träger ich mehr erlebt hatte als mit jedem anderen in meinem Leben unter der Kuppel. „Lass mich in Ruhe", brachte ich hervor, doch meine Stimme klang brüchig. „Verdammt, Mila. Jetzt hör mir doch erstmal zu", sprach Cassian bestimmt und machte einen Schritt auf mich zu. „Nein", brachte ich beinahe flehend hervor, während ich einige Schritte zurückwich, um ihm zu entkommen. Nein, ich wollte nicht ihm entkommen, es war die Wahrheit, die ich von mir stoßen wollte. Doch ich saß in der Klemme. Eingeengt wie ein Tier, das von Jägern in die Ecke getrieben wurde, stieß ich gegen die kühlen weißen Fliesen hinter mir.

Natürlich kam Cassian meiner Bitte nicht nach und trennte den Abstand zwischen uns mit einem großen Schritt seiner langen Beine. Um mir noch mehr Angst zu machen, zumindest war das mein Empfinden, stütze er seine Hände neben meinem Gesicht ab. Unsere Körper trennten nur wenige Zentimeter. Trotz meiner Angst stieg mir ein angenehmer und vertrauter Geruch in die Nase. Er roch nach wie vor nach Kiefernholz, gemischt mit einem Hauch seines Aftershaves und dem Duft von alten Büchern.

Erst jetzt merkte ich, dass ich meinem Atem angehalten hatte, den ich nun ausstieß. Seine hellen Augen suchten meine, ehe er meinen Namen in seinen Mund nahm und ihn wie ein Gebet klingen ließ. Der Dunkelblonde löste eine Hand von der Wand und legte seinen Daumen unter mein Kinn, um es hochzudrücken, nun war ich gezwungen in seine eisblauen Augen zu sehen, die in einem anderen Licht grün wirkten. Diese Augen hatten für mich die Farben des Ozeans, den ich nur noch in meinen Erinnerungen trug. Aber diese Farbe erinnerte mich an die glücklichen Empfindungen, die ich als Kind am Wasser empfunden hatte.

Angst war zwar schon immer Teil meiner Seele gewesen, aber am Strand hatte ich mich immer geborgen und sicher gefühlt. Dort konnte ich meine Panik immer ablegen, die mich bereits als fünfjähriges Mädchen unter Kontrolle hatte. Der Ozean hatte etwas Unberechenbares an sich, gleichzeitig war er aber das Beruhigendste, was ich je erleben durfte.

„Bitte hör mir zu", flehte Cassian mich an. Kaum merklich schüttelte ich den Kopf. „Wir waren immer Freunde...", nagten seine Worte nun an meinem Gewissen. „Cassian. Was erwartest du von mir? Du verschwindest für Monate und kreuzt dann mit zehn Markierungen hier auf. Du weißt, dass du die höchste Strafe erhalten wirst und mich ziehst du gerade mit in das Ganze hinein. Die dritte Regel besagt, dass..", warf ich ihm meine Bedenken vor, doch er legte seine Hand auf meinen Mund. Zugleich ängstlich, aber vor allem wütend, versuchte ich seine Hand von meinem Mund zu drücken. Sein Griff war fest und ich entkam ihm nicht. Die Angst gewann wieder einmal und die Wut trat in den Hintergrund. Ich war unfähig mich zu bewegen, ich sah bloß Cassian an, der konzentriert wirkte.

Draußen vernahm ich einige Stimmen. Sobald sie sich wieder entfernten, war ich die Hand wieder los. „Bevor du irgendetwas sagst, hör mir zu. Ich weiß, dass klingt jetzt wahrscheinlich affig, aber ich habe dir immer getraut und ich glaube auch, dass du mir vertraut hast. Mila, ich schwöre auf LUMIS... ich habe Nichts getan", flüsterte er.
Ein hysterisches Lachen entfuhr mir. „Cassian, bei zehn Markierungen findet das Cleanen statt und dann wirst du aus der Gesellschaft verbannt. Niemand sammelt einfach so zehn Markierungen oder hat Nichts getan. Du hast Recht, ich HABE dir vertraut, das ist nun vorbei. Vor allem müsstest du doch schon längst Strafen erhalten haben... Haben die dir nicht gereicht?", warf ich ihm an den Kopf. Das Cleanen war das Schlimmste, was einem Menschen geschehen konnte. Schlimmer als der Tod.

„Ich weiß genau, was mit mir passiert. Denkst du ich habe keine Panik?! Verdammt, Mila. Die wollen mir alle Erinnerungen nehmen. Sie nehmen mir alles. Lieber sterbe ich," Die Stimme des Mannes, den ich immer zu kennen glaubte, brach bei diesem Satz. Plötzlich bahnte sich Mitleid an die Oberfläche meiner Emotionen. Cassian wusste genau, dass ich die Regeln schon immer streng verfolgt hatte. Doch noch nie in meiner LUMIS-Zeit hatte ich vor solch einem Dilemma gestanden. Ich hatte bereits Verstöße anderer gemeldet, die durch meine Loyalität ihre erste oder zweite Markierung kassiert haben. Aber das hier?

Wenn ich nicht handelte, verstieß ich gegen die dritte Regel, die besagte Verstöße anderer zu melden, wenn ich Cassian verriet, nahm ich ihm seine Menschlichkeit. Schließlich war ein Mensch kein Mensch, wenn er keine Erinnerungen mehr hatte. Vor allem aber fragte ich mich, wie er 10 Markierungen sammeln konnte, ohne dass er gemeldet wurde. Es sei denn... War es möglich 10 Markierungen auf einmal zu sammeln?

Der junge Mann wusste, dass ich pflichtbewusst war und immer Regeln befolgen würde, aber ebenso wusste er, dass meine Loyalität zu meinen Freunden immer noch größer war als meine Loyalität gegenüber der Gesellschaft. Deswegen hatte er mich aufgesucht. Er war sich meiner Entscheidung bewusst, bevor ich sie selbst kannte.

„Und was glaubst du, was ich daran ändert könnte, dass du deine ganzen Erinnerungen verlierst?", fragte ich ihn, doch den schnippischen Unterton konnte ich nicht überspielen. Trotzdem fragte ich mich ernsthaft wie zum Teufel ich dem jungen Mann helfen konnte. Natürlich konnte ich es nicht weitererzählen, aber er war zu mir gekommen, was hieß, dass er etwas von mir wollte oder brauchte.

„Danke, dass du mir hilfst-..."
„Ich habe nicht gesagt, dass ich dir helfe, ich weiß noch nicht mal, was ich an deiner Situation ändern könnte."
Cassian sagte mir nicht wie ich ihm helfen konnte, stattdessen warf er mir etwas an den Kopf. Etwas, was mich vollkommen durcheinander brachte und überhaupt keinen Sinn ergab. Und doch trafen mich seine Worte.

„Mila, ich habe die Markierungen deinetwegen."

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𝐋𝐔𝐌𝐈𝐒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt