Im ersten Moment weiß Nathan nicht, was er fühlen soll. Der Wind ist aus seinen Segeln und plötzlich ergibt nichts von dem, was ihm durch den Kopf geht, noch Sinn.
Das wusste er nicht. Es ist sonderbar, dass er die ganze Zeit über davon ausgegangen ist, dass die Haut an Johns Arm genau wie an seinem unberührt ist. Er hat damals bei ihrem Kennenlernen mehr oder weniger zugegeben, dass die Seelenverwandtschaft mit seiner Mutter gelogen war, und John hat wohl folgerichtig geschlossen, dass Nathan unbeschrieben ist. Es ist die Art gewesen, wie John darüber gesprochen hat... Und auch als sie das Schicksal dieser jahrelang betrogenen Schauspielerin diskutiert haben... Aus irgendeinem Grund ist Nathan bis zu diesem Moment sicher gewesen, dass Johns Arm noch frei sein müsse. Dass da noch Platz sei.
Himmel, er hat nicht konkret darüber nachgedacht, dass er diesen Platz einnehmen wolle, ihm sollten diese Schicksalsverwicklungen doch egal sein. Er fühlt doch bloß, dass er zu John gehören will. Er möchte seine Zeit mit ihm verbringen, mit ihm diskutieren und schweigen, kochen, essen und übersättigt einschlafen. Es ist vielleicht nichts Besonderes, nichts Magisches wie die Seelenverwandtschaften, die er während seines Lebens beobachtet hat. Aber seine Gefühle sind warm und beständig, inniger als alles, an das er sich erinnern kann.
Er hat nicht konkret darüber nachgedacht, dass sein Name auf Johns Arm gehören könne. Aber nun zu hören, dass dieser Platz bereits belegt ist, erschreckt ihn, verletzt ihn, und zeigt ihm, dass er genau das doch wünscht. Dass er hocherfreut wäre, hätte John ihm eröffnet, dass sie zusammengehören.
Als ihm seine Enttäuschung bewusst wird, folgt bereits der nächste Moment der Verwunderung: Trägt John den anderen Namen auf seinem Arm schon seit Nathan ihn kennt oder ist er womöglich erst in der Zwischenzeit erschienen? Seit wann weiß John, dass er vergeben ist? Weiß er, wer es ist?
Nathan fragt nach, muss den Satz nur beginnen, damit John weiß, worauf er hinaus will. „Seit wann...?" „Seit meiner Geburt."
Nathan schluckt und tritt einen Schritt zurück. Er fühlt sich betrogen und kann sich nicht erklären, wieso. John war nicht dazu verpflichtet, ihn das wissen zu lassen. Auch dann nicht, als sie in Rekordzeit gute Freunde wurden. Und im Endeffekt kann er ein bisschen verstehen, wieso John seinen Arm die ganze Zeit über verhüllt hat, so wie er selbst auch: Um Fragen zu vermeiden. „Bist du schon...? Und wie lange? Und wer ist es? Wie habt ihr euch kennengelernt?" Kurioser Weise ist Nathan keiner Person aus Johns Bekanntenkreis je begegnet, von den gemeinsamen Kollegen und Schülern abgesehen. Es gibt niemanden außer John enger Familie, über den er je gesprochen hätte. Und doch ist er seit seiner Geburt verbunden. Welchen Sinn ergibt das?
Dann geht ihm ein Licht auf. „Du kennst die Person nicht." Johns Blick gleitet mit leichter Überraschung und Resignation über Nathans Gesicht. Er nickt.
Mit einem Mal erinnert sich Nathan an Johns Gesicht, an diese tiefe Traurigkeit, während der über die sonderbare Begegnung bei dem Unfall auf der Autobahn gesprochen hat. Der Fremde ohne Namen auf dem Arm, von dem sie nicht sicher waren, ob der Tod ihn geholt hatte, bevor das Schicksal sein Werk vollbringen konnte, oder ob ein Leben ohne Seelenverwandtschaft für ihn vorgesehen war. Nathan denkt an Johns trauriges Gesicht und fragt sich, ob er gedacht hat, was nun auch Nathan durch den Kopf geht: John, der sein Leben lang auf eine unbekannte Person wartet, und ein völlig Fremder, der ihm vielleicht kurz darauf hätte begegnen können. Konnte es sein, dass John seinem Seelenverwandten begegnet war, als dieser bereits tot war? Und als wäre die Vorstellung an sich noch nicht schlimm genug, wartet John völlig ahnungslos noch immer und stößt jeden von sich, ungeachtet seiner eigenen Gefühle... Doch das ist sicher nicht das, was geschehen ist, oder?
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Vorgeschrieben
RomanceDer Name, der auf Johns Arm steht, gehört zu der Person, die für ihn vorgesehen ist. In einer Welt, in der jeder im Laufe seines Lebens seinem Seelenverwandten begegnet, wartet John seit seiner Geburt auf die Begegnung mit Esra. Es kommt ihm nicht u...