First Stage Play

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(Adventskalender 2020, Türchen 18)

„Ist er schon da?" fragt Madison mich leise und ich zucke ertappt zusammen. „Scheiße, wieso schleichst du dich so an." - „Habe ich nicht. Ich trage sogar Absätze, aber du hast mich schlicht und ergreifend nicht gehört." entgegnet sie amüsiert und sieht in den großen, sich langsam füllenden Saal. Harry wird bestimmt gleich noch hier auftauchen. „Bist du nervös?" fragt sie mich dann und ich seufze. „Ich versuche, so zu tun, als wäre ich es nicht." antworte ich ihr ehrlich. Es ist so surreal, was gerade passiert. Es kommt mir vor, als wäre ich gestern noch Student gewesen und jetzt stehe ich an der Seite hinter einem Vorhang eines Theaters. Ich hatte Glück. Sehr viel sogar. Ich war schon überwältigt, als mich ein Theater direkt nach meinem Studienabschluss übernehmen wollte und dann werde ich Assistent des Regisseurs. Und damit ist es nicht genug, kurz darauf hat er mich gefragt, ob ich nicht ganz zufällig eine Idee für eine Komödie hätte und spaßeshalber habe ich gefragt, wie es denn mit einem Stück aussieht, in dem der Hauptprotagonist sich verliebt, aber nicht wahr haben möchte, dass er auch auf Männer steht.

Zu meinem Verwundern war er nicht abgeneigt und hat gefragt, wie ich auf diese Idee komme würde. Kurz und knapp habe ich ihm erzählt, wie dämlich ich mich angestellt habe, als Harrys und meine Wege sich gekreuzt haben und jetzt, eine ganze Weile später, stehe ich hier und warte zitternd darauf, dass der Vorhang zum aller ersten Mal fällt. Das Stück spiegelt Harrys und meine Geschichte eins zu eins wieder, aber wenn man uns ein bisschen kennt und schon weiß, wie wir ein Paar geworden sind, erkennt man bestimmt einige Elemente wieder. Und wenn man dann noch weiß, dass ich hier arbeite, setzen sich die Puzzleteile vermutlich wie von selbst zusammen.

Harry weiß nichts davon. Auch nicht Andy, Niall oder sonst einer unserer Freunde. Sie wissen nur, dass ich an diesem Projekt beteiligt bin und es mein erstes außerhalb der Uni ist. Harry steckt gerade in seinem Referendariat, den LLB hat er wunderbar gemeistert, aber dazu muss man sagen, dass er es sich wirklich verdient hat. Er hat so viel dafür gelernt, Tag und Nacht saß er über seinen Unterlagen und hat gebüffelt. Da ich zeitgleich allerdings meine Abschlussarbeit geschrieben habe, hat das ganz gut funktioniert.

Der Saal füllt sich immer mehr. Es dauert nicht mehr lange bis es losgeht. Ich gehe wieder nach Hinten, schaue noch einmal bei den Schauspielern vorbei und sehe auf mein Handy. Harry ist jetzt drin. Sie haben noch auf Niall gewartet. Ich atme tief durch und versuche mein etwas zu schnell klopfendes Herz zu beruhigen. Es klappt nicht. Dann fängt es tatsächlich an. Der Vorhang fällt und ich schließe die Augen. Bitte lass jetzt bloß nichts schief gehen. Zu gerne würde ich mich davon schleichen und zu Harry gehen, aber ich bleibe Backstage. Das Stück besteht aus zwei Teilen mit einer Pause dazwischen. Es läuft alles wunderbar, es ist perfekt. Das Publikum hat Spaß und amüsiert sich und es scheint gut anzukommen. Die Technik funktioniert einwandfrei, die Schauspieler sind großartig. Die Zeit vergeht wie im Flug und mir wird noch einmal vor Augen gehalten, wie stur und blind ich doch war.

Dann schließt sich der dunkelrote, schwere Vorhang wieder und die Schauspieler kommen von der Bühne zurück. Madison grinst und zeigt beide Daumen nach oben. Dann beginnt die Hektik. Kostüme müssen getauscht werden, die Kulisse wird geändert und hier und da hört man jemanden eine Anweisung rufen. Ich hingegen stehle mich raus. Nur ganz kurz. Ich jogge schon fast durch die Flure, die mir inzwischen so bekannt sind, dass ich den Weg blind finden würde. Im Foyer und im Barbereich angekommen, sucht mein Blick nach Harry. Es dauert einen Moment, aber ich sehe unsere Freunde und ihn vor dem Theater stehen. Sie haben alle ein Sektglas in der Hand, dass sie sich gerade geholt haben müssen. In der Hoffnung, nicht allzu nervös herüberzukommen, gehe ich zu ihnen. Harry fängt meinen Blick auf halbem Weg und er drückt Liam sein Sektglas in die Hand. Er macht zwei große Schritte auf mich zu, ehe er mich in einen innigen und intensiven Kuss zieht, bevor ich etwas sagen kann.

Überfordert brauche ich einen Moment, dann aber erwidere ich diese Liebesbekundung nur zu gerne und lächle in den Kuss. Harry fängt im gleichen Moment an zu grinsen und der Kuss endet. „Hey Cupcake." sage ich leise und verschränke unsere Finger miteinander. „Hallo Louis." sagt Niall dann ein bisschen lauter, als notwendig und ich schmunzle. „Hi." Harry dreht sich wieder um, stellt sich gleichzeitig aber hinter mich und zieht mich zu sich. Ich lehne mich ein bisschen an ihn und er drückt einen Kuss auf meinen Hals. Ich seufze leise. „Ich kann nicht glauben, dass du das gemacht hast." meint er leise und küsst meinen Hals wieder. Er weiß genau, wie sehr ich das liebe. „Was meinst du? Euch die Tickets besorgt?" Harry schüttelt den Kopf. „Du hast nicht ein Wort darüber verloren, dass du nicht nur der Assistent bist." - „Bin ich doch auch." - „Glaubst du echt, wir haben es nicht erkannt?" fragt Andy amüsiert und ich zucke scheinheilig mit einer Schulter. „Du bist doch sonst so schlecht darin, Geheimnisse vor mir zu bewahren?" fragt Harry mich danach.

„Glaub mir, das war auch nicht gerade einfach, aber das war es mir wert." erwidere ich. „Magst du es denn? Also ist es in Ordnung, dass ich unsere Geschichte in ein Theaterstück umgewandelt habe?" frage ich ihn dann. Er nickt sofort. „Es ist wunderbar." Er sieht kurz auf meine Lippen. „Ich hätte nie damit gerechnet. Es ist der Wahnsinn, was du dort auf die Bühne gebracht hast." Ich weiß nicht recht was ich darauf antworten soll, drehe mich stattdessen ein Stück und küsse ihn wieder.

„Ich muss langsam wieder rein." sage ich leise und er nickt. „Ich weiß." Dann aber drücke ich ihm noch eine kleine Karte in die Hand. „Hol mich nach dem Stück ab." bitte ich ihn und eile zurück zu meinem Arbeitsplatz. Es ist ein Gästeausweis für den Backstagebereich. Die Pause dauert nicht mehr lange, dann öffnet sich der Vorhang wieder und der zweite Akt beginnt. Ich liebe, was daraus geworden ist. Viel musste zusammengestrichen werden, aber schließlich küssen sich die Protagonisten an einem Bahnsteig und das Stück ist beendet.

Für einen kurzen Augenblick ist es still. Dann füllt Applaus den Saal und die Schauspieler verlassen die Bühne, um sich der Reihe nach aufzustellen und wieder die Bühne zu betreten. Schließlich fällt mein Name und ich laufe auf die Bühne, winke und grinse, verbeuge mich dann und stelle mich neben meine Kollegen und meinen Chef. Durch die Scheinwerfer sehe ich Harry nicht, aber ich schaue in die Richtung, in der er ungefähr sitzen müsste.

Die Aufregung hallt noch nach, als wir die Bühne schlussendlich verlassen und ich tief durchatme. Nur ein paar Augenblicke sehe ich einen gewissen jungen Mann, der sich suchend umsieht. „Kann ich Ihnen helfen?" fragt Madison ihn dann und lächelnd gehe ich auf die beiden zu. „Hey." - „Ich hab gefunden, wonach ich gesucht habe." antwortet er und und verschränkt unsere Finger miteinander. „Dann musst du Harry sein." stellt sie fest. „Hi, ich bin Madison. Freut mich, dich endlich mal kennenzulernen." Seither ist Harry immer öfter hier, holt mich ab und an von der Arbeit ab, wenn er früher als ich Feierabend hat. Und einige Zeit später sitzen wir noch einmal in einer Loge, um uns das Stück gemeinsam anzusehen.

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Love, L

Sunflower - Pre- & SequelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt