An diesem Abend hatte der Regen den Schnee abgelöst. Dicke Tropfen pladderten gegen das Fenster und passten ziemlich gut zu Thiels Gefühlslage. Sein Weihnachten schien nämlich so ziemlich den Bach runter zu gehen. Mal wieder.
Er wollte gar nicht so recht über das Telefonat mit Lukas nachdenken. Das tat nämlich schon weh, wenn der eigene Sohn den Papa zu Weihnachten nicht sehen wollte. Noch nichtmal per Skype. Das hatte sich Thiel nämlich schon vor ein paar Jahren extra installiert und verzweifelt ausgetestet, um mit dem Sohnemann und der Ex in Neuseeland telefonieren zu können. Auch das war ein Reinfall gewesen.Thiel biss sich auf die Lippe und schniefte leise. Nein, er würde jetzt nicht weinen. Kurz überlegte er ins Präsidium zu fahren und ein wenig Bürokram abzuarbeiten, aber darauf hatte er herzlich wenig Lust. Er könnte jemanden anrufen und sich seinen Kummer von der Seele reden. Vaddern vielleicht? Nein, der kutschierte shoppingsüchtige Weiber durch die Stadt. Mirko? Auch nicht, der wusste so gut wie nichts zu Lukas und Susanne, das wäre befremdlich für sie beide. Aber vielleicht Frau Haller, die kannte immerhin die Vorgeschichte und war zwischenmenschlich so ziemlich unschlagbar. Aber auch den Gedanken verwarf Thiel wieder. Er fühlte sich nicht wohl dabei sich ernsthaft mit jemandem darüber zu unterhalten.
Niedergeschlagen seufzte Thiel. Vielleicht musste er seine Sorgen mal wieder im Alkohol ertränken? Blöd nur, dass er kein Bier mehr daheim hatte. Dann doch einfach ins Bett legen und hoffen, dass er schnell einschlief?
Noch haderte Thiel mit sich selbst, da klingelte es plötzlich an der Tür. "Ich bin nicht da!" brummte er und tat sich sogleich selber leid.
"Sehr witzig, Thiel, ich hör Sie doch", kam die Antwort. Boerne. Natürlich. "Jetzt bewegen Sie mal Ihren Hintern von Ihrem Sofa und öffnen Sie die Tür, Herr Nachbar."
Augenrollend schlurfte Thiel zur Tür. Er hörte wie sich Boerne räusperte, konnte förmlich sehen, wie er kurz die Hand an den Mund führte und auf den Füßen wippte. Thiel öffnete und Boerne versteckte wie erwartet etwas hinter seinem Rücken. Er grinste breit, hielt aber kurz inne. "Wie sehen Sie denn aus?" Thiel zögerte, aber Boerne half ihm ungewollt aus der Patsche. "Haben Sie schon geschlafen, was? Na, Ihren Job möchte ich haben."
"Wenn Sie jetzt 'nen Obduktionsbericht hinter Ihrem Rücken hervorziehen, dann machen Sie lieber gleich die Fliege, Boerne", knurrte Thiel.
"Heute ist Sonntag, Thiel, da habe selbst ich besseres zu tun als mit Ihnen Obduktionsberichte durchzukauen", entgegnete Boerne und offenbarte endlich den Gegenstand hinter seinem Rücken. "Glühwein?"
Überrascht starrte Thiel auf die Flasche, dann zurück zu Boerne, und wieder zurück auf die Flasche. "Wie jetzt? Kein Rotwein?"
"Immerhin ist bald Weihnachten. Also? Lassen Sie mich jetzt hier draußen erfrieren oder trinken wir einen Glühwein zusammen?"
"Ich bezweifle, dass es bei einem bleibt, aber kommen Sie rein..." brummte Thiel. Ein seichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Manchmal war Boerne doch nicht so übel und nervtötend. Manchmal war er sogar richtig nett. Vielleicht war das der Zauber der Weihnacht.
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Winterkrimi
FanfictionOneshots aus dem winterlich-weihnachtlichen Münster mit der ganzen Großfamilie!