O Tannenbäumchen

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"So ein Sauwetter!" schimpfte Boerne und ausnahmsweise konnte Thiel ihm da voll und ganz zustimmen. Dieser Schneeregen war wirklich leidig. Vor allem, wenn man bei den Wetterverhältnissen Verbrecher jagen musste. Mit Boerne im Schlepptau. Dann auch noch erfolglos.

"Gibt's Kaffee, Mirko?" rief Thiel hoffnungsvoll, wurde aber enttäuscht.

"Aber Christstollen gibt's!" rief Mirko.

"Als würde das irgendwas besser machen", seufzte Thiel und wechselte einen vielsagenden Blick mit Boerne. Die beiden Männer betraten Thiels Büro und schälten sich aus ihren Mänteln.
Mirko saß an seinem Schreibtisch und war nicht alleine. Da hockte Frau Klemm gegenüber von ihm und futterte Christstollen.

"Ah, die Herren. Na, erfolgreich?" begrüßte sie Thiel und Boerne im gewohnten Bariton.

Thiel schüttelte nur den Kopf und deutete auf das Szenario vor ihm. "Was ist'n hier los?"

"In vier Tagen ist Weihnachten, Thiel, da kann man durchaus Christstollen essen", brummte die Klemm und hielt ihm den Teller hin. "Wollen Sie? Selbstgebacken."

"Was? Von Ihnen?" feixte Boerne, der sich auch endlich aus seinem Schal befreit hatte. "Was zum... Schrader, was machen Sie denn da?"

Das fragte sich Thiel auch. So absurd die Klemm mit ihren selbstgemachten Christstollen war, noch absurder war Mirko. Auf seinem Schreibtisch stand nämlich eine kleine Plastiktanne, die der junge Kommissar hingebungsvoll schmückte - mit kleinen Kugeln, Strohsternen und sogar einer kleinen Spitze. Sogar einen Weihnachtspulli trug Mirko. Fehlte nur noch die Nikolausmütze.

"Also wenn der für Alberich ist, der wird die Spitze nicht gefallen und ich bin mir auch nicht sicher, ob sie Strohsterne so gerne mag", bemerkte Boerne, ebenfalls irritiert, "aber die Größe passt schonmal."

"Was wollen Sie denn mit dem Teil?" fragte Thiel. "Das nimmt doch nur Platz weg."

"Jetzt lassen Sie ihm doch die Freude!" verteidigte ihn die Klemm sogleich. Thiel hätte schwören können, die zwei wären einem geheimen Weihnachtskult beigetreten. Vielleicht hatten sie sich auch einfach nur auf Christstollenbasis verbrüdert.

"Ist viel zu unweihnachtlich hier", erklärte Mirko und hing demonstrativ eine kleine Kugel an seinen Baum.

"Aber wir haben doch Deko!" protestierte Thiel und deutete auf die vier Teelichter, die an einem Tannenzweig befestigt waren. Jetzt erntete er kollektives Augenrollen, sogar von Boerne. "Aber warum denn sowas?"

Die Klemm erhob sich, drückte Mirko und Boerne je eine Christstolle in die Hand und klopfte Thiel auf die Schulter. "Seien Sie froh, dass er keine echte Tanne angeschleppt hat, Thielchen. Dann hätten Sie noch weniger Platz und zusätzlich den Boden voller Nadeln." Verschwörerisch blinzelte sie in die Runde und stöckelte dann von dannen. Erst jetzt bemerkte Thiel den leichten Rechtsdrall in ihrem Gang. Da hatte die Frau Staatsanwalt wohl nicht nur des Weihnachtsgebäcks gefrönt. Und Mirko auch nicht, so rot wie seine Wangen waren.

WinterkrimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt