16. beauty is terror

87 22 8
                                    

ich dachte wirklich, ich habe es unter kontrolle. ich habe sophie in ruhe gelassen, ich habe gehofft, dass es allen gut geht, ich habe mich zurückgezogen und ich habe versucht, öfters zuhause zu schlafen, ich habe nicht mehr gekotzt, ich habe alles gemacht, von dem ich dachte, es sei richtig.

wahrscheinlich war es sogar richtig.

in der philosophiestunde musste ich über die idee beauty is terror schreiben.

die griechen sagten einst, schönheit sei terror. und wenn ich so darüber nachdenke, denke ich, diese selbstzerstörerei, die wir mit ähnlich ritueller faszination praktizieren, findet sich ebenso in dieser idee wieder. wir projizieren in unserer verzweiflung ästhetische ansehnlichkeit auf die dunkelsten flecken unserer trauer. es macht es einfacher unsere gefühle zu verarbeiten, scham zu verdrängen und macht sie sogar - wenn wir auf die perfiden machtspiel-charakterzüge des menschen anspielen - begehrenswert. zumindest für jugendliche gegenüber anderen jugendlichen. regelbrüche, rauschmittel, illegales reizt uns, bis zu dem ausmaß, dass wir es nicht nur für vergnügen, sondern ebenso aufmerksamkeit instrumentalisieren.
wir zerren uns immer weiter aus, damit unsere primäre ausgezehrtheit beachtet wird.
denn wie schönheit terror ist, ist selbstzerstörerei der schönste aller akte.

darunter steht die rote anmerkung meines lehrers: erläuterung nicht fachbezogen, d.h. falsch

2 punkte (note: 5)

seine worte waren „abgesehen von der struktur der argumentativen auseinandersetzung mit dem philosophischen problem - dessen wortwörtliche fragestellung sie nicht genannt haben - fehlt ebenso inhaltlich die nennung der angst der griechen vor kontrollverlust. alva, bevor sie sagen, sie haben dies anhand von - ich zitiere - regelbrüchen, rauschmitteln und illegalem dargestellt, muss ich sie enttäuschen, denn ihre beispiele sind unklar, nicht sachbezogen und besonders: beispiele von jugendlichen, nicht den antiken griechen.
ihre abgabe scheint mir mit den 118 wörtern mehr ein lyrischer kurzaufsatz des deutschgrundkurses als ein philosophischer essay unter meinen fittichen.
kriegen sie es unter kontrolle. reden sie von mir aus mit der stufenleitung wegen ihren defiziten in der oberstufe. kommen sie danach zu mir und wir können uns zusammensetzen, um zu überlegen wie sie den kurs bestehen. aber bitte, kriegen sie es unter kontrolle."

wie zu anfang gesagt, ich dachte, ich habe es unter kontrolle. wie zu anfang gesagt, ich habe sophie in ruhe gelassen, ich habe gehofft, dass es allen gut geht, ich habe mich zurückgezogen und ich habe versucht, öfters zuhause zu schlafen, ich habe nicht mehr gekotzt, ich habe alles gemacht, von dem ich dachte, es sei richtig.

ich merke erst jetzt, wie egal es ist, ob man das richtige oder falsche tut. alles passiert, wie es passiert. es macht keinen unterschied, ob man aufhört oder nicht. es ist alles egal.

also tue ich das, was ich schon längst hätte tun sollen: ich trinke mich kaputt, ich schmeiße mir ecstasy ein und dann gehe ich auf hennes' 18.

denn schönheit ist terror, und ich bin sehr schön.

sunday bluesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt