Reindeer - 1.3

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»Ihr habt euch geküsst? Einfach so?«

Alice blickte mich mit großen Augen an, während wir den Plätzchenteig ausrollten.

Inzwischen waren zwei Tage vergangen, seit Andie mit mir Schluss gemacht hatte, und seit der prickelnden Begegnung mit dem Fremden im Aufzug. Ich stand gerade mit Alice in meiner kleinen Küche und backte Plätzchen und andere Weihnachtsleckereien. Zusammen zu backen war wohl ihre Methode, mein immer noch etwas geknicktes Ich in gute Stimmung zu bringen.

Meine Wangen wurden warm und ich musste mich daran hindern, mein Gesicht hinter den Händen zu verstecken, die inzwischen voller Mehl waren.

»Nein, nicht geküsst.« Ich sah verlegen nach unten. »Okay, also irgendwie schon ... Aber nicht auf den Mund! I-ich, das wäre viel zu überstürzt und ich ...« Ich verstummte, als mir bewusst wurde, was für durchgemischten Quatsch ich da brabelte. Alice jedoch fand das ziemlich amüsant, denn sie fing lautstark an zu lachen und sich die mit Mehl und Teig befleckten Hände an den Bauch zu legen und sich vor Lachen zu krümmen. Ich zog beleidigt die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Was ist denn jetzt so witzig?«, fragte ich mit verengten Augen.

Als Alice aufsah und meine Miene betrachtete musste sie sofort wieder anfangen zu gackern wie ein Huhn.

Ich griff in den Behälter mit Mehl, nahm eine volle Hand davon und hielt sie drohend in die Luft. »Jetzt sag schon. Oder du bekommst eine volle Ladung Mehl in den Ausschnitt.«, drohte ich ernst, musst meine Mundwinkel dennoch dazu zwingen, nicht zu zucken.

Alice hörte abrupt auf zu lachen und hob abwehrend die Hände vor sich. Dennoch zupfte ein Grinsen an ihren Lippen. »Okay, okay. Tut mir leid. Und jetzt nimm das Mehl runter, ganz langsam, keine falschen Tricks.« Ich ließ die Hand langsam sinken und zog dann auffordernd eine Braue in die Höhe. Alice seufzte und ein Lächeln ersetzte das belustigte Grinsen. »Du hast einen Fremden geküsst«, war das einzige, was sie sagte.

Ich schlug die Hände vors Gesicht und ignorierte die Mehl Spuren, die ich auf meinen Wangen hinterließ.
»Ich weiß«, gab ich zerknierscht zu. »Ich bin so schrecklich. Andie und ich haben uns gerade erst getrennt und schon kommt das! Das war total falsch!«

Plötzlich spürte ich zarte Finger an meinen Handgelnken, die sie mir vom Gesicht zogen. Die Freundin meines Bruders sah mich ernst an, fast schon verärgert. »Das ist ganz und gar nicht falsch, Kathie. Überhaupt nicht. Dein mieser Ex darf dich betrügen und dann über eine Nachricht Schluss machen, aber du darfst nicht ein wenig Trost in einem süßen Kuss von einem netten Kerl suchen? Das ist doch totaler Mist!« Sie zog verärgert die hellen Brauen zusammen und stampfte wie ein kleines Kind mit dem Fuß auf.

Ich stieß ein kleines Lachen aus, wegen ihrer zornigen Reaktion. Sie war wirklich liebreizend, wenn sie sauer war. Kein Wunder das Gerg sich in sie verliebt hatte.

»Kathie, ich weiß, dass du immer noch trauerst, wegen diesem Arschloch, und ich verstehe es. Du willst es vielleicht verdrängen, aber es hat dich ziemlich verletzt, was Mr Feigling dir angetan hat. Aber es ist nicht verkehrt, wenn du irgendwo anders ein wenig Trost findest, ein wenig Ablenkung. Und vielleicht hilft dir ein charmanter Santa viel mehr als eine nervige Freundin mit einem Back-Fetisch.« Sie lächelte mich aufmunternd an und nahm meine Hand. »Klar, es ist noch sehr früh, die Wunden sind noch frisch, und es wird bestimmt auch noch eine lange Zeit weh tun, aber vielleicht könnte der Schmerz ein bisschen gelindert werden. Und wenn, hättest du auch noch mich, Greg und deine Eltern, die dir gerne die Zeit ein wenig versüßen.«

Ich schniefte leicht und leckte mir über die salzigen Lippen. In dieser ganzen Zeit war ich einfach viel zu emotional. Ich sprang Alice um den Hals und drückte sie ganz fest an mich, vergessen waren nun unsere Klamotten, die sowieso schon ruiniert waren.

»Danke«, flüsterte ich. Sie schlang ebenfalls ihre Arme um mich und drückte mich.

Als wir uns wieder lösten, waren auch ihre Augen glasig, sie wischte sich einmal schnell mit der Rückseite ihre Hand drüber und lächelte mir zu. »So« Sie schmierte ihre Hände an der schon komplett verdeckten Jeans ab und holte dann ein paar Papiertücher von der Ablage. »Wir werden hier jetzt aufräumen und dann Greg fragen, ob er Lust hätte, uns ein paar Glühwein und Crepes zu spendiern.«

-


Der Schnee knirschte unter unseren Schuhen, als wir aus dem Wohnhaus traten und in die belebten Straßen eintauchten. Es war zum erfrieren kalt, alle Leute trugen einen Haufen Kleidung, zur Krönung noch kuschelige Wollmützen und dicke Handschuhe. An den hohen Laterne am Straßenrand hingen strahlende Lichterketten von einer zur nächsten, in jedem Schaufenster leuchtete ein kleiner Weihnachtsbaum mit unterschiedlicher Dekoration. Alles war noch immer voller Weihnachtsglück und Freude.

Alice, Greg und ich waren ebenfalls dick angezogen und spazierten durch die Stadt. Als wir am Weihnachtsmarkt ankamen, stieg mir der Geruch nach Zimt und gebrannten Mandeln in die Nase. Die Stände waren alle schön feierlich verziert und dampfende Gerüche stiegen von ihnen empor. An manchen Ständen wurde Gebäck, heiße Schokolade und Glühwein verkauft, an anderen Spielzeuge und Deko Kram. Alles so voller Leben und Glückseligkeit.

Ich hatte mich bei meinem Bruder untergehakt, genauso wie Alice, und gemeinsam schlenderten wir an den Ständen und Mahlzeiten vorbei.

»Verdammt, es ist arschkalt.«, beschwerte sich Greg und verstaute seine Hände in seinen Manteltaschen. Alice verdrehte die Augen und zog uns weiter ins Geschehen. »Sei kein Baby, wir besorgen dir einen Glühwein und uns zwei heiße Schokoladen, dann wird uns wieder warm.« Sie steuerte auf einen Stand an und löste sich aus dem Arm ihres Freunds, um unsere Getränke zu bestellen.

Greg wandte sich nun mir zu. »Also, wie geht's dir?«, fragte er und Sorge trat in seine Augen. Ich lächelte knapp und schlang meine Arme um ihn. »Es geht, muss mich einfach ein wenig ablenken. Und es vielleicht sein lassen, ständig seine neusten Post anzusehen.«, sprach ich gedämpft in seinen Mantel. Mein Bruder strich mir über das Haar und bettete sein Kinn auf meinem Kopf.

»Ja, das wäre wahrscheinlich besser.«, sagte er sanft.

Als Alice mit unseren Getränken kam, lösten Greg und ich uns und stürzten uns förmlich auf die warmen Getränke.

Nachdem wir uns aufgewärmt hatten, spazierten wir weiter und kamen dann zu einer etwas größeren Fläche, wo viele Kinder sich mit Eltern tummelten.

Alice seufzte entzückt auf und schmiegte sich etwas weiter an meinen Bruder, welcher ihr zärtlich ein paar blonde Strähnen aus dem Gesicht streichte.
Die beiden waren einfach zum niederknien!

Zeit, um die beiden mal ein wenig allein zu lassen. »Ich dreh mal eine kleine Runde, wir können uns dann ja wieder hier treffen.« Ich schenkte ihnen ein Lächeln und deutete dann hinter mich. Die beiden lächelten mich dankbar an, wollten mich dennoch abhalten, alleine zu sein, doch da hatte ich mich schon umgedreht und drängte mich durch die Menge an Kindern und Eltern.

Offensichtlich war da irgendetwas spannendes, weswegen die Menge an Leuten mit Kindern immer größer wurde. Mit neugierigen Blick versuchte ich mich durch die vielen Menschen zu quetschen und zu sehen, warum die Kinder sich so freuten.

Plötzlich teilte sich die Menge und eine Schlange von Kindern bildete sich, die zu einer kleinen Erhöhung führte, die in der Mitte des Marktplatzes stand. Die Erhöhung war überzogen von roten Samt und darauf thronten ein großer Weihnachtsbaum, der schön geschmückt war und jede Menge Geschenke standen ebenfalls als Dekoration darauf. Ein großer goldener Thron stand ebenfalls auf der Erhöhnung, und auf ihm saß ein dicker Mann in einem Weihnachtsmann Kostüm. Neben ihm standen dazu auch noch zwei Elfen in grün und rot gestreiften Klamotten, die ein Rentier festhielten. Ein echtes Rentier.
Das sah man auch nicht alle Tage.

Scheinbar wurden Fotos mit dem Weihnachtsmann und dem Rentier gemacht, obwohl Weihnachten schon längst vorbei war, und was auch das aufgefühlte Geschnatter von den Kindern erklärte.

Ich trat ein wenig näher und betrachtete alles mit einem Funkeln in meinen Augen.
Ich wusste nicht warum, aber ich wollte unbedingt auch ein Foto mit dem Rentier machen.

Reindeer.

Oh ja, ich wusste doch, warum.

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