Nachdem ich etwas gewartet hatte, war ich endlich auch an der Reihe und durfte ein Foto mit dem Rentier machen.
Ich trat auf das große Tier zu und spürte einen Anflug von Ehrfurcht. Die anderen Leute starrten mich ein wenig missbiligend an, weil es wohl eher den Kindern vorbehalten sollte, ein Foto mit dem Rentier oder dem Weihnachtsmann zu machen. Aber das war mir egal.
Innerlich war ich ebenfalls noch ein Kind.Als ich mich neben das schöne Tier stellte, spürte ich plötzlich eine Berührung an meinem Rücken. Ich drehte mich um und sah in zwei karamellfarbene Augen. Zwei Augen, die mir bekannt kamen.
Und auf einmal machte es Klick.
Meine Lippen teilten sich und meine Augen wurden groß, überrascht starrte ich den Fremden aus dem Aufzug an. Er stand hinter mir, hatte mit seiner Hand, die jetzt in einem weißen Handschuh steckte, meinen Rücken gestreift. Er trug wieder diesen zotteligen weißen Bart über der unteren Gesichtshälfte, die rot-weiße Weihnachtsmütze saß ebenfalls wieder auf seinem dunkelblonden Haar, und diesmal trug er auch das passende Kostüm dazu. Einen roten Mantel mit weißen Saum spannte über seinem Körper, wobei an seinem Bauch wahrscheinlich ein Kissen unter dem roten Stoff gesteckt sein musste.
Ich konnte meinen verdatterten Blick einfach nicht von ihm abwenden. Schon gar nicht erst, als ich mich an die sanften Küsse erinnerte, die er mir geschenkt hatte, als der Aufzug steckengeblieben war und ich in meinem Elend beinah ertrunken wäre.
Ein Kribbeln überzog meine Haut.Hinter mir räusperte sich jemand und riss mich so aus meiner Starre. Ich wandte mich mit hochroten Wangen zum Fotografen um und lächelte in die Kamera. Er machte zwei Fotos und bestellte dann den nächsten nach vorne.
Ich verließ die Erhöhung und stolperte in den Trubel des Weihnachtsmarkts. Doch bevor ich ihn erneut aus den Augen verlieren würde, blickte ich noch ein letztes Mal zurück zu dem gut aussehenden Santa und suchte seinen Blick.
Er machte gerade ein Foto mit einem Kind, doch sein Blick lag auf mir. In seinen Augen lag etwa, was ich aus der Entfernung nicht genau deuten konnte, aber sein Blick sagte mir einiges.
Und meiner sagte genauso viel.
-
»Hey Leute!« Ich stolperte zu meinem Bruder und Alice, die gerade die Eislaufbahn ansteuerten. Sie drehten sich sofort zu mir um, als sie meine Stimme erkannten.
»Was gibt's, Kathie? Bist du das allein sein schon leid?«, neckte mich Greg und kassierte von mir dafür ein Augenrollen und von seiner Freundin einen Schlag auf den Arm.»Nein, du Lackaffe. Ich wollte euch nur mitteilen, dass ich schon nach Hause gehe. Mir wird langsam echt kalt und mein Bett wartet auch schon auf mich.«, erklärte ich mit einem entschuldigenden Lächeln.
Alice schaute etwas traurig, sagte aber nichts mehr. Wir verabschiedeten uns voneinander und ich machte mich auf den Weg zum Ausgang.Doch kurz bevor ich durch das riesige Tor treten konnte, hielt mich jemand am Handgelenk fest und ließ mich innehalten. Ich drehte mich langsam um und blickte in diese schönen Augen, die meine Herzsplitter so fleißig zusammengeflickt hatten.
Der Fremde aus dem Aufzug trug nun nur noch seine Weihnachtsmütze, von dem restlichen Kostüm keine Spur. Wie bei unserer ersten Begegnung trug er jetzt auch ein T-shirt.
Mein kritischer Blick verweilte wohl eine Sekunde zu lange auf seiner nackten Haut, denn ein kleines Grinsen zog sich über seine Lippen.
Keiner sagte etwas, wir starrten uns einfach nur an, seine Griff immer noch sanft um mein Handgelenk gelegt. Doch als dieser stille Blickkontakt zu lange anhielt und schon ein paar neugierige Blicke auf uns fielen, kratze er sich verlegen am Nacken und ließ meine Hand los.
Auf einmal griff er in seine hintere Hosentasche und holte etwas heraus, was er mir dann hinhielt. »Du hast die hier vergessen.«, sagte er mit seiner Gänsehaut-Stimme. Ich schaute auf das etwas, und meine Augen wurden groß.
In der Hand hielt er die zwei Fotos, die von mir und dem Rentier geschossen wurden. Nur das da nicht nur ich mit dem Rentier drauf waren, sondern er auch, und sein Blick lag ...
... auf mir.Ich nahm ihm die Fotos aus der Hand und lächelte ihn verlegen an. »Danke.«, hauchte ich. Ein Lächeln schlich sich auch auf sein Gesicht.
Als sich wieder dieses drückende Schweigen zwischen uns ausbreitete, trat der Fremde verlegen von einem Fuß auf den anderen.
»Also, ich glaube ich sollte mal nach Hause. Langsam wird es dann doch ein bisschen frisch.«, sagte er irgendwann und grinste schief. Ich kicherte ein wenig, und die Anspannung viel von mir ab.»Ich würde dir ja galant meine Jacke um die Schultern legen, aber ich glaube die wäre dir ein bisschen zu klein.«, witzelte ich und entlockte ihm so ein kleines Lachen.
«Wir sehn' uns, Reindeer.« Er trat vor und die Welt um uns herum, hielt wieder still. Sein Gesicht kam meinem immer näher, und wie im Aufzug vor ein paar Tagen, schloss ich gespannt die Augen.
Bereit dafür, seine warmen Lippen wieder auf meiner Haut zu spüren, stieß ich einen überraschten Laut aus, als ich sie dann auf meinem Mund spürte.
Es war ein hauchzarter Kuss, der aber alles in mir entflammte.Und so überraschend der Kuss kam, so endete er auch wieder.
Eine Weile ließ ich meine Augen noch geschlossen, bis ich sie dann doch öffnete.
Der hübsche Santa war wieder verschwunden, doch sein Geruch nach Zimt, schwebte mir noch in der Nase.
Ich sah mich um, doch nirgends eine Spur von ihm.Ein wenig enttäuscht, führte ich meinen Weg zum Ausgang fort, als ich dann etwas auf der Rückseite des einen Fotos von uns sah.
Da stand etwas in schnell geschriebener Schrift:
Ruf mich an, wenn du wieder für ein paar Augenblicke vergessen möchtest, Reindeer.Will
Mein Herz flatterte, als ich das Geschriebene las und dann die Handynummer darunter sah.
Ein breites Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, sodass meine Wangen beinah schmerzten. Ich zückte mein Handy und hielt es mir ans Ohr.
»Hallo?«, ertönte es aus dem Lautsprecher, und seine schöne dunkle Stimme ließ alles in mir Kribbeln.
»Hey, ich hab gehört, bei dir kann man Sachen vergessen?«, fragte ich grinsend und steuerte mit schnellen Schritten mein Wohngebäude an.
Ein raues Lachen erklang aus dem Lautsprecher. »Worauf du deinen Kitsch-Pulli verwetten kannst, Reindeer.«
Ende
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Kurzgeschichten und weiterer Kitsch
Teen FictionHier findet ihr verschiedene Kurzgeschichten, die einem das Herz erwärmen, zum Lachen bringen oder einem die Augen verdrehen lassen. Kitschig und klischeehaft trift aufeinander. ♡ Die Rechte an allen...