5 - Eine schwere Bürde

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Ich schnappte vergeblich nach Luft, im Versuch meine Tränen unter Kontrolle zu bringen. Immer wieder wischte ich sie mit meinen Händen weg, doch es wurden einfach nicht weniger. Ich musste ein schreckliches Bild abgegeben haben. Rova blieb jedoch stumm auf meinen Beinen liegen, während er mir beim Weinen zusah. Auch sein Gesichtsausdruck hatte gequälte Züge, doch er vergoss keine Träne. Er hatte sich auch nicht mit der Schuld eines Verbrechens herumzuschlagen. Nein, dieser Schmerz stand allein mir zu, mir, der Freundesmörderin. Nur wenige falsche Entscheidungen und mein Leben war vorbei. Es ging alles so furchtbar schnell. Noch immer zitterte ich vor Angst und Verzweiflung, denn niemand, und da war ich mir ganz sicher, niemand würde mir je wieder vertrauen können.

Ohne Zweifel hasste mich nun der gesamte Verein, dazu Saris Familie und alle, die sie kannten. Wäre Rova nicht gewesen, hätte mir Peter mit seiner Kurzschlussreaktion wahrscheinlich ein verdientes, schnelles Ende bereitet. Ich sollte Rova für seinen Einsatz dankbar sein, doch ich war es nicht.

„Warum hast du mich nicht einfach sterben lassen...?",

japste ich näselnd, kaum hörbar, in mich hinein, doch der Mann unter mir war mir so nah, dass er es trotzdem vernahm. Ich sah ihn dabei nicht an, sondern blickte zur Seite auf den zerkratzen, fast matten Parkettfußboden. Meinen Blick wendete ich erst zu Rova, als er seine Hand hob, um mich sanft über meine gerötete, glühende Wange zu streicheln.

„Ich werde dich immer beschützen, egal was passiert. Gib dir nicht die Schuld an dieser Tragödie, meine Rose."

Seine butterweichen Worte drangen nicht mehr bis zu meinem Herzen durch, das schon längst in meiner eigenen tristen Welt der Schuld versank. Sich eine Hand auf die wahrscheinlich schmerzende Brust pressend, erhob sich Rova behutsam von meinem Schoß und richtete sich behäbig auf. Versöhnlich reichte er mir seine andere Hand.

„Du brauchst heute Nacht nicht nach Hause zu gehen, wenn du dich dazu nicht in der Lage fühlst. Mir wäre wohler dabei, du bliebest hier, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst. Ich lasse dir im Obergeschoss ein Zimmer vorbereiten und informiere deine Eltern, damit sie sich nicht um dich sorgen, in Ordnung?"

Ich nickte ganz leicht, ergriff seine warme Hand und stand mit gesenktem Kopf auf.

Oh, mir ging es gar nicht gut. Nicht nur meine Seele, auch mein Körper war am Ende seiner Kräfte. Alles um mich herum begann sich plötzlich zu drehen, schneller und immer schneller, untersetzt mit einem lauten Fiepen in meinen Ohren. Rovas besorgter Blick verschwamm und wurde dann eins mit der Finsternis, die mich in ihrer wohltuenden Stille in Empfang nahm.

Die dichten, dunklen Vorhänge des Raumes, in dem ich erwachte, waren zugezogen und ließen fast kein Licht hinein. Von den Schuhen abgesehen, lag ich komplett bekleidet in einem weichen Himmelbett. Ein Pflaster war auf meinen Arm geklebt worden, unter dem ich einen frischen Schnitt vorfand, den ich nicht zuordnen konnte. Mein Schädel brummte so stark, dass ich mich nicht erinnern konnte, wie ich an diesen Ort gekommen war.

Hm, meine letzte Erinnerung, war... meine Verabschiedung vom SOLV.

Ich stand auf und wankte zum Fenster, um die schweren Vorhänge zu öffnen, worauf mich das gleißende Licht der hoch am Firmament stehenden Sonne blendete. Eigentlich war die Wärme der Herbstsonne angenehm und doch fühlte ich mich durch sie kein bisschen besser. Ich ließ den Blick nach draußen schweifen. Nun wusste ich, wo ich mich befand, denn der verwahrloste Garten hinter Rovas Villa war einfach unverkennbar. Dass dieses Haus über ein möbliertes Obergeschoss verfügte, war mir nie bewusst gewesen, denn die Vorhänge hielt er stets zugezogen, zumindest die zur Straßenseite.

Ich presste mich überwältigt ans Fensterbrett, als ich mir danach einen Überblick über das Zimmer verschaffte. Die edle und gepflegte Einrichtung war nicht das, was ich in dieser sonst so heruntergekommenen Villa erwartet hatte. Verzierte Holzmöbel, Vitrinen mit wahrscheinlich sehr wertvollen Porzellanfiguren und anderen golden glänzenden Schätzen, edle Ornamenttapete, Stuck an der hohen Decke und ein Orientteppich auf dem polierten Parkettfußboden. Diese Fülle überforderte meine Sinne vollkommen. Da war mir sogar Rovas wilder Garten lieber. Schnell wandte ich mich wieder dem Fenster zu, um etwas durchatmen zu können. Eine merkwürdig vertraute Schwärze war bereit, mich in Empfang zu nehmen, aber so leicht ließ ich mich nicht unterkriegen. Meine Güte, das waren doch nur ein paar Möbel!

Erzwungenes GlückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt