Mein Studium rückte näher und das bedeutete, ich würde endlich aus meinem Elternhaus herauskommen und ins Studentenwohnheim umziehen können, das ab Oktober gemietet war. „Soziale Arbeit" hieß der Studiengang, in den ich mich eingeschrieben hatte. Den NC von 1,7 erreichte ich gerade so. Die 2 in der Deutschprüfung hatte mich fast noch rausgekickt, was fatal gewesen wäre, da ich keine andere Idee für meine Zukunft hatte.
Für das Ehrenamt zwei- bis dreimal die Woche mit dem Zug anzureisen, hielt ich für keine gute Idee. Es hieß also, dass ich vom SOLV und seinen Mitarbeitern Abschied nehmen musste. Eigentlich sollte das keine große Sache sein, dachte ich und sofort verkrampfte sich mein Magen. Er war da offenbar ganz anderer Meinung.
Meinen Austritt aus dem Verein musste ich meinen Kollegen nämlich noch beibringen. Ich hätte das gleich zu Beginn tun sollen, denn später gab es keine Gelegenheit mehr... Nicht einmal Sari wusste Bescheid, aber mit ihr würde ich mich regelmäßig treffen, so sehr wie sie mir ans Herz gewachsen war.
Der einzige, den ich informiert hatte, war der Geschäftsführer August Lucard, dem ich meinen Austrittsantrag per E-Mail zukommen ließ. Er trug interessanterweise den selben Nachnamen wie Rova, was mir vorher noch gar nicht aufgefallen war, ein Familienunternehmen also. Er schien eine andere Niederlassung zu bevorzugen, denn ich hatte ihn noch nie gesehen, was mich nicht wunderte, wenn ich an die halb verfallene Villa dachte.
Im Wochenmeeting hatte ich mir von Angeline, einer lieben Mitarbeiterin, einen eigenen Tagesordnungspunkt zuteilen lassen und das sollte schon verräterisch genug sein, um zu erraten, dass ich aufhören wollte. Was hätte ich diesen ganzen Leuten wohl sonst mitteilen wollen? Diesmal waren zwölf Mitglieder anwesend, nicht besonders viel, aber genug, um mir Angst zu machen. Vor vielen Menschen zu sprechen, lag mir einfach nicht. Ihre beurteilenden Blicke auf mir zu spüren war schrecklich!
Wie zu jedem Meeting saßen wir alle zusammen an der langen Tafel im größten Raum der Villa. Ich hatte es seit jenem Erlebnis unterlassen, hier etwas verbessern zu wollen. Es war Rovas Haus und er musste selbst wissen, in welchem Zustand er es haben wollte, auch wenn er von meiner Seite nicht gerade auf Verständnis damit stieß. Your home is your castle. Das sollte man in Ordnung halten.
Wie sie es oft zwischendurch tat, scherzte Sari mit zwei jungen Männern herum, von denen sie ab und zu erzählt hatte. Alexander, der mit seinem Metallica T-Shirt und seinen schwarz gefärbten, langen Haaren wahrscheinlich ein Metal-Fan war, hatte immer ein freches Grinsen auf dem Gesicht, außer er sah mich an, dann verlor er es. Bei Peter, einem dunkelblonden Kerl, der immerzu sportlich gekleidet war, fiel die Reaktion noch heftiger aus. Er war immer bedacht, Abstand zu mir zu halten, hatte mir nicht ein einziges Mal „Hallo" oder „Tschüss" gesagt. Zu ihr waren sie so nett, laut ihren Storys sogar beide verschossen in sie, aber mich konnten sie nicht leiden. Vielleicht weil ich ihnen ihre süße Sari streitig machte.
„Lass sie uns in Zukunft gemeinsam trinken",
forderte Peter an Sari gerichtet, die sich Alexanders Arm griff und prompt im Singsang antwortete:
„Hihi, das wird dir auch nicht helfen. Damit hat es nämlich überhaupt nichts zu tun."
Waren sie und Alexander nun ein Paar? So wirklich klar war mir das nicht, schon weil sie es auf direkte Nachfrage hin abstritt. Auch wenn sie mir von ihren Neckereien berichtete, hielt sie sich über ihr Liebesleben bedeckt. Aber ich erzählte ihr ja auch nicht, was für ein Feuerwerk in mir startete, wenn Rova den Raum betrat. Vielleicht war unser gegenseitiges Vertrauen doch nicht so groß, wie ich zuvor so euphorisch gedacht hatte.
Die Eröffnung der Sitzung durch Rova hatte den typischen Effekt disziplinierter Stille im Raum, während ich wieder dieses Kribbeln bekam. Wahrscheinlich sah ich meinen Chef zum letzten Mal. Ein bisschen Reue spielte da schon mit hinein.
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Erzwungenes Glück
VampirosVampirromantik mit vielschichtigen Charakteren - zynisch, prickelnd und geistreich ~~*~~ Lieblos erzogen und von Selbstzweifeln geplagt, erhofft sich die angehende Studentin Lyz Selbstbestätigung bei einer Tätigkeit in einem dubiosen Lebenshilfe-Ver...