10 - Kuss der Ignoranz

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Ich folgte Rova bis zur Tür. Einen letzten Blick warf ich nach hinten zu Alex, der ziemlich mitgenommen aussah. Er tat mir leid, obwohl er sich selbst erst in diese dumme Lage gebracht hatte. Ich wusste jedoch, dass ihm am besten geholfen war, wenn er nun seine Ruhe hatte.

Seinen auf der Küchenzeile neben der Zimmertür liegenden Mantel nahm Rova an sich und holte einen klimpernden Schlüssel aus der Jackentasche, um damit mein Zimmer aufzusperren. Zu wissen, dass er auch bei mir nach Belieben ein- und ausgehen konnte, war schon merkwürdig, aber überrascht war ich nicht. Immerhin ließ er mich von Alex überwachen, wahrscheinlich damit ich keine Flucht beging, auch wenn er es als Schutz bezeichnete. So dumm, ihm das abzukaufen, war ich nun nicht mehr, nicht nachdem er Alex derart bestraft hatte. Aber mal ehrlich, wo sollte eine dringend Tatverdächtige wie ich denn schon hin? Rova nahm mir die Freiheit nicht, bei näherer Betrachtung schenkte er sie mir.

Schon deshalb gehorchte ich und ging ihm bis in mein Zimmer nach, in dem mir die warme, trockene Heizungsluft den Körper umspielte und mir endlich eine positive Empfindung schenkte. Ich schaltete meine Schreibtischlampe an, setzte mich dann auch hier wieder auf das Bett und nahm mir meine Bettdecke, die ich eng um mich legte. Sie wärmte mich nicht nur, sondern fühlte sich auch wie ein kleiner Schutzpanzer an. Rova verschloss die Tür hinter sich, hing seinen Mantel an meine kleine Garderobe, neben meinen ebenfalls dunkelblauen Wintermantel und setzte sich dann mit etwas Abstand zu mir aufs Bett.

„Ich muss mich für ihn entschuldigen. Er hat sich immer noch nicht unter Kontrolle. Ich hatte gehofft, dass er sich bei dir etwas zusammenreißt, aber da habe ich ihn wohl überschätzt",

erklärte er, ohne seine Verärgerung über Alex zu verbergen. Jetzt, wo ich mit Rova allein in der Wärme meiner eigenen vier Wände saß, fühlte ich mich etwas besser. Das Unheilvolle, das er vor ein paar Minuten noch ausgestrahlt hatte, war verschwunden, aber mein Gedächtnis funktionierte einwandfrei. Ihm konnte ich nicht vertrauen, keine Sekunde lang, auch wenn es mich fertig machte, wenn mein Herz so positiv auf ihn reagierte wie in diesem Moment.

Da ich schwieg, fragte Rova berechnend lächelnd:

„Hast du eine Idee, wieso seine Reaktion auf dich so heftig ist?"

Er wusste ganz genau, dass ich das alles nicht verstand und auch nicht wahrhaben wollte. Ich schüttelte in einer abgehackten Bewegung schüchtern den Kopf, worauf er begann, noch breiter zu lächeln. Was er danach sagte, fand ich fast schon sadistisch.

„Der Vollmond und der Geruch von Blut wecken unsere niedersten Instinkte. Einer dieser Einflüsse ist verkraftbar, aber sich zu kontrollieren, wenn beide aufeinandertreffen, ist eine große Herausforderung, vor allem für Jungspunde wie ihn. Hast du es ihm nicht angesehen? Er zitterte vor Gier nach dir."

Gier? Nein, hatte ich nicht! Rova beugte sich etwas zu mir hin und strich zart über den Teil der Decke, unter dem sich mein Arm befand, wovor ich zurückzuckte. Sein selbstzufriedenes, düsteres Lächeln behielt er weiterhin bei, als er hauchte:

„Nur seine Loyalität zu mir bewahrte dich davor, von ihm überwältigt zu werden."

Ich wusste nicht, ob mich seine Aussage bedrohen oder beruhigen sollte. Bei Rova lag das alles so nah beieinander. Was ich wusste, war, dass ich ein weiteres Mal meine Sprache verlor. Seine edle Ausstrahlung schüchterte mich ein und wahrscheinlich wusste er das genau. Mein Versuch, direkten Blickkontakt mit ihm zu meiden, schien ihn irgendwann aber zu verärgern. Er atmete schwer aus, stand auf und lief dann in meinem Zimmer auf und ab. Als ich es wagte, einen Blick auf ihn zu werfen, blieb er unvermittelt stehen und sah mich bohrend an. Mit verschränkten Armen und hörbar enttäuscht schimpfte er:

„Soll das alles sein, was ich von dir erhalte, Lyz? Kein Wort von dir zur Thematik, nur einen scheuen Blick? Wir kennen uns doch jetzt schon eine ganze Weile und du verhältst dich immer noch devot."

Erzwungenes GlückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt