7 - Das Leben eines Aufpassers

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Auch wenn ich so tat, als ob ich von Alex' gluckenhaftem Gehabte genervt sei, genoss ich es insgeheim. Dass sich tatsächlich jemand für das interessierte, was ich tat, war ungewöhnlich, eine Abwechslung, die gern zur Gewohnheit werden durfte. Bereits nach ein paar Tagen schaffte er es, meine schlimme Erinnerung an seinen gequälten Gesichtsausdruck in jener Nacht, durch sein für ihn so typisches, freches Grinsen zu überschreiben. Dieser Schuft musste mich aber auch immerzu necken. Wenn ich nicht hinsah, malte er mir kleine hässliche Smileys auf meine Mitschriften oder stupste mich an, wenn er meinte, ich würde nicht mehr zuhören.

Inzwischen hatten wir auch den österreichischen Austauschstudenten Sebastian kennengelernt, ein adrett gekleideter und kluger Kerl. Ihm zu helfen, kam dem Versuch gleich, einem Fisch das Schwimmen beizubringen. Er fand sich vom ersten Tag an besser an der Hochschule zurecht als wir. Dennoch boten wir ihm den Kontakt zu jemandem außerhalb seiner Seminargruppe, was er begrüßte.

Wie ich es mir schon denken konnte, klärte Alex sofort die Fronten mit Sebastian, der das total locker nahm und wie immer und überall stahl mir auch hier mein super sympathischer Begleiter die Show. Es mochte ja sein, dass ich nicht gern im Mittelpunkt stand, von jemandem unfreiwillig in die zweite Reihe gestellt zu werden, fühlte sich trotzdem so an, als sei ich unwert. Vielleicht war das Alex' Art, mir zu zeigen, dass er nicht mich vor der Welt, sondern umgekehrt, die Welt vor mir schützen musste, weil ich so unerträglich war... damit verstärkte er nur meine Selbstzweifel. Mit derlei Gedanken nervte ich mich schon seit Jahren selbst. Ich fühlte mich als unerwünschtes Mädchen, mit unnützen Fähigkeiten. Ob es mir jemals gelingen würde, dieses Selbstbild abzulegen?

Die meiste Zeit verbrachte Sebastian zwar mit Leuten aus seiner Seminargruppe, aber wir verabredeten uns zur Semesterauftaktparty, die in der Mensa stattfand. Ein bisschen fragte ich mich, ob Alex die Mensa an diesem Tag das erste Mal von innen gesehen hatte, denn er ging nie mit mir in der Mittagspause dorthin. Irgendwann würde ich ihn vielleicht fragen, warum er nicht mitkommen wollte, aber aus irgendeinem Grund fürchtete ich mich vor seiner Antwort.

In dieser stimmungsvollen Beleuchtung erkannte aber auch ich die sonst so schnöden Speisesäle kaum wieder. Fleißige Mitglieder des Studentenrates hatten sie in Dancefloors verschiedener Musikrichtungen verwandelt, worauf wir an jeder Ecke hingewiesen wurden. „Sponsored by StuRa", stand auf den Plakaten, den Flyern, im Internet, quasi überall.

Die manchmal etwas merkwürdig anmutenden Elektrobeats in Saal 1 klagen, als hätte der DJ vorher etwas eingeworfen. Man konnte dazu zappeln als habe man einen Anfall oder einen Roboter verspeist, oder, was wir taten, einfach in Saal 2 verschwinden. Dort trafen wir auch auf einige unserer Kommilitonen, mit denen Sebastian und ich Freibier aus Plastikbechern tranken. Alex tat wahrscheinlich gut daran, diese billige Plörre gar nicht erst anzurühren, denn sie stieg schnell zu Kopf, mir zumindest.

Es war ziemlich gedrängt, klar bei der miesen Musik im anderen Saal. Ich wunderte mich deshalb nicht, als mich ein fremder Kerl anrempelte. Er entschuldige sich sofort freundlich, fragte dann aber direkt, ob ich nicht mit ihm tanzen wolle. Das schien eine spontane Frage gewesen zu sein, die mir schmeichelte.

„Zieh Leine!",

hörte ich es neben mir in einem stinkigen Ton von Alex, der sich prompt vor mich stellte. Seine breiten Schultern nahmen mir die Sicht auf den Rempler, aber ich konnte mir denken, dass er nicht besonders glücklich darüber war, direkt so angefahren zu werden. Alex ging immer voll auf Konfrontation, wenn sich mir jemand nähern wollte, dabei hatte ich doch eigentlich den Wunsch, neue Leute kennenzulernen. Es war echt nicht einfach mit ihm... hm, oder war es im Gegenteil sogar zu einfach mit ihm?

Tanzen... als ob ich das vor diesen vielen Leuten getan hätte, die mich alle anstarren konnten. Wenn, dann machte ich das alleine zu Hause. Vielleicht hätte ich mich von Alex überreden lassen, aber nur von ihm... Genau bei diesem Gedanken stupste er mich an.

Erzwungenes GlückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt