2 - Silber in seinen Adern

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Ein paar Wochen verstrichen, in denen ich eine tolle Zeit mit Sari verbrachte. Seit der Grundschule hatte ich keine Freundin mehr wie sie. Mich ihr anzuvertrauen, speziell was meine Familie betraf, blieb trotzdem undenkbar. Nie wieder würde ich jemandem etwas über sie erzählen. Das hatte ich mir vor zwei Jahren geschworen, als mich mein Ex deswegen sitzen ließ.

Von ihm hingegen berichtete ich Sari ausführlich, denn Jungs waren ihr Lieblingsthema, direkt gefolgt von klassischer Weltliteratur. Sie las sehr viel. „Krieg und Frieden" war eines ihrer Lieblingsbücher, über das sie stundenlang philosophieren konnte. Im Gegenzug berichtete ich ihr von den Problemen anderer Leute, sprich, den Fragen, mit denen ich mich in Hilfeforen auseinandersetzte. Wer hätte gedacht, dass mein Hobby so unterhaltend sein konnte?

Meine Abschlussprüfungen hatte ich erfolgreich hinter mich gebracht und nun endlos viel Zeit, bis das Studium im Oktober losging. Obendrein war Sari in den Urlaub gefahren und ich fiel in ein Loch gefühlter Nutzlosigkeit. Ich wusste einfach nichts mit mir anzufangen.

Ich lag auf dem Bauch auf meinem mit einem Blumenmuster bezogenen Bett und starrte in Richtung meines Laptops, der auf meinem säuberlich aufgeräumten Schreibtisch stand. Mein Rechner war mein kleines Heiligtum, mein Tor zur Welt und doch so wirklichkeitsfremd. Einige User in ein paar Hilfeforen schuldeten mir noch eine Rückmeldung, andere einen Dank, 27, um genau zu sein. Ich konnte nachschauen und doch nur enttäuscht werden, oder aber trat ich mir selbst in den Hintern und bewegte selbigen mal vor die Tür, auch dann, wenn meine Freundin gerade nicht greifbar war.

Der einzige Ort, der mir in den Sinn kam, war das Vereinsgebäude. Donnerstags gab es keine Meetings oder Veranstaltungen, aber eine helfende Hand konnte man sicher immer gebrauchen, vor allem mal eine, die das Haus in Ordnung brachte. Auch zu Hause machte ich den ganzen Haushalt, schuftete wie ein Dienstmädchen, ja wirklich. Ich bekam sogar Geld fürs Kochen und Putzen. Es störte mich nicht weiter. Wenigstens wurde ich gebraucht. Ich schnappte mir also einen Eimer, schmiss ein paar Putzsachen hinein und lief die zwei Querstraßen bis zur alten SOLV Villa. Meine Laune hob sich wieder. Die Sonne kribbelte mir so angenehm auf der Haut und ich hatte wieder einen Sinn für mich gefunden. Alles prima also.

Um ins Gebäude zu gelangen, musste man zuerst durch das quietschende Eisentor und dann durch den verwilderten Garten. Vielleicht würde ich beim nächsten Mal eine Gartenschere mitbringen, um zumindest den Weg etwas freizuräumen, aber zuerst war das Haus dran. Ich betrat die Villa, wie selbstverständlich, durch ihre kunstvolle hohe Eingangstür aus Massivholz. Im Haus war vom schönen Wetter draußen kaum noch etwas spürbar, so verdreckt wie die Fenster waren. Dort würde ich anfangen. Sie ragten nur leider so weit empor, dass ich schnell an meine Grenzen stieß. Meine Arme waren einfach zu kurz, um bis an die oberen Scheiben zu gelangen. Na gut, mir blieb nichts anderes übrig, als eine Leiter zu suchen.

Im Gemeinschaftsraum Fenster zu putzen, war noch ganz angenehm gewesen, durch eine verlassene Villa zu schleichen, deren Parkett bei jedem Schritt unheilvoll quietschte, war dagegen etwas ganz anderes. Ich klopfte an allerhand Türen und probierte viele der geschwungenen Messingtürklinken aus. Viele Räume waren verschlossen, manche standen leer und andere wurden als Lager genutzt, aber Leiter fand ich keine. Nur viele sehr schöne antike Stühle, auf die ich mich garantiert nicht stellen würde.

Inzwischen glaubte ich, es sei ohnehin niemand im Haus und öffnete die letzten Türen, ohne anzuklopfen. Die Tür am Gangende belehrte mich leider eines Besseren.

In diesem schummrigen Raum empfing mich die Silhouette eines Mannes, auf dessen golden schimmerndes Haar der einzige Lichtstrahl fiel. Er saß allein auf einer Couch, die mit dem Rücken zu mir stand. Nach Frisur und Statur zu urteilen, konnte das nur Rova sein.

„Hoppsa, ich wusste nicht, dass hier jemand ist. Tut mir sehr leid, ich... hätte anklopfen sollen",

stammelte ich beschwichtigend, aber Antwort bekam ich keine. Oder doch? Hörte ich da ein leises Stöhnen?

Erzwungenes GlückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt