~05.01.22~
Tägliche Randinfo:
"Fälschlicherweise reagieren wir auf die Frage „Wer bin ich?" oft mit der Antwort auf die Frage „Wer war ich?", indem wir darüber sprechen, was wir alles erreicht, gemacht und empfunden haben. Natürlich hat unsere Vergangenheit uns geprägt. Aber wir sollten aufpassen, dass sie unserer Gegenwart nicht im Weg steht: Bleib so, wie du bist! Be yourself! Stick to your roots! Heißt das, ich muss das sein, was ich früher war? Muss ich dort bleiben, wo ich herkomme? Darf ich mich nicht verändern?
Wer sich nicht über die Vergangenheit definiert, sondern die Frage „Wer werde ich?" und „Wer will ich werden?" in den Vordergrund stellt, macht sich bewusst, dass er sich verändern kann, und erkennt dadurch die große Freiheit, die uns die Natur schenkt. Diese Erkenntnis legt den Baustein dafür, dass man gar keine Ausreden mehr braucht. Die Angst hinter der guten Ausrede versiegt, wenn man akzeptiert hat, dass die Veränderung, und ja, auch die damit einhergehende Unsicherheit, Kernbestandteile unseres Lebens sind. "
Quelle: https://granfondo-cycling.com/de/falsches-selbstbild/
Ein paar Infos zum Selbstbild:
Definition: Vorstellung, die jemand von sich selbst hat oder macht
Dimensionen des Selbstbildes:
kognitive Elemente: Vorstellungen von eigenen Eigenschaften
emotional-affektive Elemente: Selbstliebe und Antrieb
wertende Elemente: Selbsteinschätzung und Einstellung zur eigenen Persönlichkeit
Das Selbstkonzept fasst das Selbst- und Idealbild (wie jemand gerne wäre) zusammen.
"Die Übereinstimmung von Selbstbild und Wunschbild sowie die von Selbstbild und Fremdbild sind wesentliche Voraussetzungen für die Leistungsfähigkeit, die psychische Gesundheit und einem angemessenen Umgang mit Dritten."
"Das Selbstbild einer Person kann von ihrer (mehr oder weniger realistischen) Vorstellung darüber beeinflusst werden, wie sie von anderen wahrgenommen wird (Fremdbild). Umgekehrt wird das Bild, das Fremde von einer Person haben, von deren Selbstbild bzw. Selbstkonzept beeinflusst."
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstbild
Meine Antwort:
Gestern hatte ich eine sehr lange "Unterhaltung" mit einem "Freund" von mir. Er ist Professor an einer Uni und wir stehen schon seit ca 6 Jahren in Kontakt, demzufolge kennt er mich schon sehr gut, auch wenn der Austausch ausschließlich schriftlich erfolgt.
Wir "streiten" uns oft. Ich weiß nicht mal, ob ich ihn als Freund bezeichnen kann, Herausforderung wäre eine treffendere Bezeichnung. Jedenfalls meinte er gestern zu mir, dass die Wünsche beziehungsweise Unsicherheiten, die ich ihm beschrieb, gar nicht wirklich meine Wünsche wären, sondern dass ich ein Selbstbild von mir aufbauen oder aufrechterhalten wolle, bei dem diese Wünsche präsent sind.
Im Speziellen ging es darum, dass ich mir eben unsicher bin, ob ich die Beziehungsform, die ich so aktuell habe, wirklich möchte. Ich habe schon länger das Gefühl, endlich wieder single sein zu wollen, was meiner Meinung nach nicht wirklich daran liegt, dass in meiner Beziehung etwas nicht stimmt. Es war eher der Gedanke für mich erschreckend, nie wieder in meinem Leben single sein zu können, wenn ich es nicht jetzt tue. Ich meine: Wenn nicht jetzt, wann ist dann der Zeitpunkt? Irgendwann habe ich vielleicht eine Familie, Kinder. Dann ist bestimmt nicht der Zeitpunkt dafür, wieder single zu sein.
Ich dachte also: Am günstigsten wäre jetzt. Wir leben nur ein Mal, gehen nur ein Mal durch jedes Alter durch - was ist so schlimm daran, wenn ich jetzt wieder single sein will?
Ich habe die Macht über mein Leben, muss mit den Konsequenzen meiner Handlungen leben - aber auch mit den Konsequenzen dessen, was ich eben nicht tue.
Was spricht also dagegen, Schluss zu machen? Wieder single zu sein? - Naja, eben dass meine Beziehung gut läuft. Alles ist gut. Bis auf dieser Wunsch, wenigstens für eine kurze Zeit in meinem Leben wieder gänzlich auf meinen eigenen Beinen zu stehen und "frei" zu sein.
So wandern die Gedanken seit Wochen durch meinen Kopf - und die teilte ich eben diesem Prof mit. Und er meinte, ich wolle nur das Selbstbild von mir haben, single zu sein oder single sein zu wollen, aber in Realität trotzdem in der Beziehung bleiben, in der ich bin. Er meinte, ich habe zu große Angst, um auszubrechen. Deshalb halte ich bloß dieses Selbstbild aufrecht, diese Gedanken über mich selbst - aber sie bieben eben auch Gedanken und daraus folgten keine Handlungen.
Ich hatte sogar das Gefühl, dass er ein wenig sauer oder ungeduldig war, kann mich aber auch getäuscht haben. Ich zitiere jetzt ein bisschen, was er geschrieben hat:
"Es entspricht nicht dem, was du von deinen Handlungen berichtest, sondern dem, was du erzählst, wie du dich wahrnehmen willst." Das war sein Kommentar zu meiner Lebensmotivkonstellation von Reiss, die ich herausgearbeitet habe.
"Du bist in einem Gleichgewicht, dass du nicht verlassen kannst, weil es für dich nichts gibt, was es wert wäre, das zu verlassen."
Er: "Warum fragst du nicht jemanden, der dir einfach Recht gibt?" - Ich: "Weil ich das nicht will, wenn ich nicht Recht habe."
"Du willst genau das, was du hast. Und das Selbstbild von "ich könnte und würde, wenn ja, wenn die Welt anders wäre". Ist sie aber nicht."
Er: "Du willst das Selbstbild, nicht die Tat." Ich: "Aber warum will ich dieses Selbstbild?" Er: "Weil es toll klingt? Weil es in deiner persönlichen Welt als gut und wünschenswert gilt? Es ist letztlich gleich. Entscheidend ist, was du nicht willst: So handeln. [Das ist] ausgefeilter, unterkannter Selbstbetrug und ex post facto Maulheldentum."
"Du bist eben nicht risikobereit. Genau so wenig wie er. Nur er steht dazu und gibt dir den Kontrast zur Selbstdarstellung."
Vieles davon hat mich sehr getroffen und ich musste mich echt zusammenreißen, nicht zusammenzubrechen. Ich habe es fast bereut, dass ich immer Ehrlichkeit will, auch wenn sie weh tut und verletzt.
Und jetzt bin ich mir unsicher, was ich wirklich bin und was nur mein Selbstbild ist. Er hat mir quasi ein Fremdbild geliefert, das nicht mit dem übereinstimmt, was ich über mich dachte: Er hat mir quasi gesagt, dass das Bild, was ich mir von mir selbst aufgebaut habe, zu einem großen Anteil tatsächlich nicht dem entspricht, was ich wirklich bin.
Das zieht mir den Boden unter den Füßen weg.
"Die Übereinstimmung von Selbstbild und Wunschbild sowie die von Selbstbild und Fremdbild sind wesentliche Voraussetzungen für die Leistungsfähigkeit, die psychische Gesundheit und einem angemessenen Umgang mit Dritten." - Wikipedia
Es nimmt mir quasi die Voraussetzung für Leistungsfähigkeit, psychische Gesundheit und den Umgang mit Dritten. Ich frage mich, ob er das absichtlich macht oder sich dessen überhaupt bewusst ist. Jedenfalls möchte ich ihn nicht beschuldigen, denn ich habe ja die Wahrheit wissen wollen - seine Wahrheit zumindest.
Für mich bleibt die Frage - wenn das, was er mir sagte, stimmt - warum möchte ich dann dieses Selbstbild? Und warum möchte ich es nur als Selbstbild und nicht Realität?
Um psychisch stabil zu bleiben, konzentriere ich mich aber eher auf die Frage, was ich werden will anstatt die Frage, was ich bin oder vor allem war. Das Verflixte daran ist allerdings, dass einem die Vergangenheit Anhaltspunkte liefert, was man werden will. Und dann muss man ja doch wieder in ihr wühlen.
DU LIEST GERADE
Selbstreflexion - jeden Tag eine Frage [2022]
De TodoJeden Tag eine neue Frage für dich, die du in den Kommentaren beantworten kannst - Selbstreflexion zu vielen verschiedenen Themen.