Kapitel 2

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Nur das Singen der Vögel und das Rauschen der Linder durchbricht die angenehme Stille des Waldes. Auf einer kleinen Lichtung, nah am Fluss, steht ein dunkelroter Bauwagen. Unser Bauprojekt seit Anfang des Sommers, nachdem das Hochwasser im Winter unseren alten maroden Bretterschuppen weggeschwemmt hatte. Ich vermisse die Bude schon ein wenig. Gebaut hatten wir sie, als wir gerade in die Schule gekommen waren.
Der Geruch nach Lack liegt noch in der Luft. Es ist erst eine Woche her, dass wir das ursprüngliche Grau des Wagens mit einem dunklen roten Lack überstrichen haben. Einen Moment schließe ich die Augen und lasse den Wald auf mich wirken. Das mache ich nicht selten. Viel zu oft habe ich das Gefühl, dass meine feinen Hundesinne mit der Menschenwelt überfordert sind. Aber wenn ich meine Augen schließe, dann kann sich mein Kopf immerhin einen Moment lang sammeln.
Ich höre die Vögel. Ein Specht. Im Sitzen. Ein Eichelhäher und ein Zilpzalp. Der Fluss rauscht. Wie eine Ader windet er sich durch den Wald und schenkt ihm Wasser und Leben. Von einem auf das andere Ufer sind mehrere Stücke von alten Maibäumen gelegt. Zusammengehalten von ein paar angeschraubten Brettern bilden sie eine Art Brücke.

Meine Sinne haben sich beruhigt und ich mache die Augen wieder auf. Mit einem Seufzer lehne ich das Brett an den Wagen und ziehe die dunkelblau lackierte Tür auf. Hier drin ist alles noch recht neu. Oder das, was man neu nennen mag. Links neben der Tür steht ein von mir gezimmertes Regal. bestehend aus alten Bier- und Spezikästen und nicht zusammenpassenden Brettern Holz. Im Regal hat sich jetzt schon all möglicher Kram angesammelt. Unser Ranz-UNO, bestehend aus drei verschiedenen Ausführungen aus gefühlten drei Jahrhunderten, gestopft in eine Klopferschachtel. Unsere Sammlung an Siedler-Editionen, bei der keine zur anderen passt. Eine Musikbox, die nur manchmal funktioniert. Ein Korb mit gesammelten Kronkorken. Ganz oben auf dem Regal steht das Ortseingangsschild unseres Nachbardorfes. Wir reden nicht darüber. Die haben unseres.
An der Rückwand, auf die mit Tafelfarbe ein großes Quadrat gemalt ist, steht ein altes Sofa, das wir beim alten Huber abgestaubt haben, davor unser alter Esstisch, dem wir die Beine etwas gekürzt haben. Neben dem Tisch steht schon eine Bank, die zweite muss ich jetzt noch bauen.
Ich hebe die zwei leeren dunkelbraunen Bierkästen von ihrem Stapel und werfe sie mit etwas zu viel Schwung aus der Tür, bevor ich mir meinen Akkuschrauber und meine Tauchsäge aus der Ecke ziehe und selber hinterher springe. Die Säge schneidet durch das weiche Holz wie Butter. Mit einem Stück Schleifpapier runde ich notdürftig die Ecken ab, bevor ich das Brett auf die Bierkästen schraube. Zur Sicherheit stelle ich noch einen dritten Kasten unter die Bank, bevor ich sie an ihren Platz stelle.

Zufrieden schiebe ich mir Haare wieder hinter die Ohren und begutachte mein Werk. Klar, ein Meisterstück ist es nicht, aber in erster Linie muss es ja halten. Im Vorbeigehen klopfe ich auf den kleinen Ofen, der an der Wand steht. Jetzt im Sommer ist er zwar mehr im Weg als alles andere, aber im Winter würde er Gold wert sein. Mit einem leisen Seufzer drehe ich mich noch einmal um, und nehme die halb leere Flasche Vodka vom Tisch und räume sie auf. Rechts neben der Tür steht noch ein Schrank, bei dem meine Eltern vermutlich die Kriese bekommen würden, wenn sie den Inhalt sehen würden. Auf den oberen Brettern stapeln sich zehn Schüsseln und ein paar definitiv viel zu viele Pakete Instantnudeln, auf den unteren Brettern steht unser kleiner Vorrat an Alkohol. Naja, so klein ist er inzwischen nicht mehr, aber als Wandler sind wir ohnehin sehr kosteneffiziente Konsumenten.

Zugegeben, das klingt jetzt, als wären wir die absoluten Alkoholiker. Aber die meisten unserer Treffen bestehen aus ewigen Partien Siedler, Monopoly, UNO, Arschloch oder Wizard. Jetzt im Sommer natürlich auch aus Schwimmen. Sowohl mit Karten, als auch im Fluss.
Stimmen von draußen unterbrechen meine Gedanken. Es sind die vier Mädels. Irritiert springe ich wieder aus dem Wagen. Gerade, als ich meine Tauchsäge wieder zurück in ihre Kiste quetsche, kommt ein höchst merkwürdiger Zug auf die Lichtung spaziert. Nelly, Kiki und Jule tragen ein ziemlich ranzig aussehendes kariertes Sofa, auf dem mit stolz erhobenem schwarzem Katzenkopf Hannah sitzt.
„Wo habt ihr das denn noch aufgetrieben?", frage ich grinsend.
Jule schüttelt sich die blonden Haare aus dem Gesicht. Dank ihrer zweiten Gestalt als Blaumeise haben diese an manchen Stellen bläuliche Strähnen. „Haben wir in der Scheune gefunden. Otto hat gesagt, wir dürfen des haben."
„Aber erst müssen wir's glaub n bisschen verschlagen. Sonst sterben wir noch an dem Staub." Kiki hebt einen Ast vom Boden auf.
„Ey, des is mein Stockbrotstecken. Lass des!", protestiere ich.
„Dein Pech. warum liegt der auch hier." Kiki grinst, während sie beginnt, auf das Sofa einzudreschen. Hannah bringt sich gerade noch mit einem Hechtsprung zu ihrer kleinen Schwester in Sicherheit.
„Der lag nicht mal einen Meter neben der Lagerfeuerstelle." Ich schüttele gespielt frustriert den Kopf, bevor ich Kiki helfe, Staub und Spinnenweben aus dem Sofa zu prügeln.
Wenige Minuten später hat sich die Farbe des Sofas von grau zu dunkelgrün verändert und die Sonnenstrahlen lassen den feinen Staub in der Luft leuchten. Ich muss husten.

Mit vereinten Kräften wuchten wir das Sofa in den Bauwagen und tauschen es gegen eine der Bänke. Jetzt haben wir zwei Sofas und zwei Bänke.
Hannah springt wieder auf das Sofa und tritt kurz mit den Pfoten darauf.
Passt doch, jetzt müssen wir immerhin nicht mehr alle auf einem Sofa pennen. Das Grinsen in ihrer Gedankenstimme ist unüberhörbar.
„Mach mal Platz. Ich will auch." Ich streife mir mein Tshirt über den Kopf, bevor ich mich gekonnt im Sprung verwandele und auf weichen Colliepfoten neben Hannah lande. Mit Verwandeln hat hier zum Glück kaum jemand Probleme. Vor allem für uns Wilde ist es Teil des Alltags.
He, du blöder Köter. Faucht sie. Such dir doch n eigenes Sofa!
Nö. Zufrieden rolle ich mich zusammen und lasse meinen Kopf auf ihren Katzenbauch fallen. Ein Grummeln entfährt ihr.
Kiki lässt sich neben mich fallen. „Sieht doch schon ganz gut aus. Dafür, dass wir hier noch gar nicht so lange drin sind."
„Ja, vor allem der Verschütte-Counter.", bemerkt Jule, die sich auf das andere Sofa geflätzt hat.
Mein Blick wandert zu der Tafel. In der oberen linken Ecke steht mit weißer Kreide Verschütte-Counter. Darunter befinden sich schon bedenklich viele Striche in variabler Größe und Form.
„Was können wir denn dafür, wenn Fritz nicht richtig trinken kann. Der verschüttet ja sogar nüchtern sein Spezi." Nelly schiebt Jules Beine zur Seite, um auch noch auf dem Sofa Platz zu haben.
Des sagst ausgerechnet du. Ich klopfe mit dem Schwanz auf das Sofa.
Kiki neben mir entfährt ein Prusten und auch Jule grinst. Nelly hatte es letzte Woche geschafft, beim Versuch eine Speziflasche mit einem (wohlgemerkt meinem) Meterstab zu öffnen, die Flasche einfach in der Hälfte zu teilen.

Jemand Bock auf UNO? Hannah versucht sich unter meinem Kopf herauszuwinden.
Ich will schwimmen gehen, murmele ich. Mir is schon wieder viel zu warm.
„Wir könnten dich ja rasieren.", schlägt Jule vor.
Vergiss es, knurre ich.

Aber unsere Entscheidung wird uns von dem Geräusch von Hufen auf Waldboden abgenommen.

Wildbergen || WoodwalkersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt