Mein Korea schmeckt so räudig, wie eh und je. Zumindest sagen das die anderen immer, aber vermutlich auch nur, weil keiner zugeben will, dass aus irgendeinem Grund aus Tetrapackrotwein und Billigcola irgendwie ein Gemisch entsteht, was erschreckend exakt wie Traubensaft schmeckt.
„Hau mal den Stockbrotteig her." Jule hat ihren Becher vor sich auf den Boden gestellt.
„Wie viel Vodka is'n da drin?" Etwas kritisch beäuge ich ihre ungewohnt durchsichtige Fanta, während ich mir die Rührschüssel angele und zu ihr weiter gebe.
„N bisschen viel für meine Verhältnisse." Meine beste Freundin zuckt die Schultern.
„Erst mal die zusätzliche halbe Stunde ausnutzen, hm?" Max wickelt gerade seinen Teig um den Stecken.
„Immer doch." Jule hebt ihren Becher und verzieht nach einem Schluck kurz das Gesicht. „Boa, das is schon echt räudig."
„Musst mehr trinken, dann wirds besser." Fritz tippt grinsend auf den Hals seiner Bierflasche.
Jule zeigt ihm einen Vogel. „Ich bin doch ned du." Trotzdem nimmt sie noch einen Schluck. „Ich glaub ich muss des weiter verdünnen."
„Mach." Ich gebe ihr die Flasche mit der Cola. Vor allem, weil ich genau weiß, wie wenig Jule verträgt. Gekotzt hat sie zwar noch nie, aber nach nur einem halben Becher Vodka war sie schon einmal sehr kurz davor.
„Was sind jetzt eigentlich so die Pläne für die Ferien?" Flora zieht ihr Stockbrot vom Stecken. Wortlos werfe ich ihr mein Schnitzmesser zu, dass sie das Schwarze abkratzen kann.
„Den Platz hier n bisschen schöner machen?" Nelly sieht sich etwas kritisch um. „Das Hochwasser hat immer noch Spuren übrig gelassen."
Recht hat sie. Wir haben zwar schon vieles aufgeräumt, aber nach wie vor liegen noch Bretter und Äste verstreut über unserer Lichtung.
„Du kannst ja Blumenkästen und Gardinen aufhängen, wenns dir nicht schön genug ist.", witzelt Fritz.
Nelly hat schon recht, pflichtet Hannah ihrer Schwester bei. Das Ganze Gerümpel von der alten Bretterbude muss endlich mal weg. Das können wir ja zur Not auch verheizen, wenn es trocken genug ist.
„True." Max lässt seinen Blick über die Lichtung schweifen. „Dann bauen wir uns am besten auch noch was für unser Brennholz. Unter dem Wagen ist ja jetzt nicht so viel Platz."
Ich merke sofort, wie die Blicke der anderen zu mir wandern und zucke die Schultern. „Kann ich schon machen. Wenn mir jemand hilft."
„Bin dabei." Max nickt, bevor er sein Stockbrot noch ein Stück dreht.
„Ich auch.", erwidert Jule sofort.
Während ich wie aus Gewohnheit mein Handy mit Lukas' Box verbinde, beschleicht mich ein mal mehr das Gefühl, dass Jule sich nicht gemeldet hätte, wenn Max nicht dabei wäre. Wortlos schalte ich die Drink water Playlist an. Jule ist komisch geworden, in den letzten Wochen. Vielleicht bin auch ich komisch geworden, aber immer wenn ich sie frage, ob sie Zeit und Lust hat, etwas zu machen, werde ich erst einmal mit der Frage konfrontiert, ob Max auch kommt. Langsam geht es mir auf den Geist, dass ich mir vorkomme wie eine Brücke. Aber vielleicht wird das jetzt in den Ferien ohne Berufsschule und Arbeit besser und vielleicht habe ich auch nur eine sehr selektive Wahrnehmung, was Jule angeht. Wer weiß.
„Lea, dein Stockbrot wird grad bissle arg knusprig." Nelly tippt mir auf den Oberschenkel.
Schnell drehe ich meinen Stecken. „Danke."Kai hat heut frei und isst bei Markus eine Bratwurst
Klingt es aus der Box. Jule und Nelly rechts und links von mir singen mit. Bei Jule klingt das erschreckend gut, bei Nelly erschreckend schief. Mittlerweile habe ich das Lied so oft gehört, dass ich den Text sogar im Schlaf singen könnte. Jetzt gerade hindert mich nur das Stockbrot daran, das ich mir zwischen die Zähne schiebe.
„Bisschen mehr Rosmarin hätte dran gekonnt.", sage ich zu Flora
„Das ist was Kai macht, wenn er frei hat und die Menschen stehts begeistert.", antwortet diese mir, aber sie nickt.
Jule unterbricht ihre Gesangseinlage. „Irgendwann hattet ihr mal so rotes Zeug drin, das war voll gut."
„Ja!", pflichtet Nelly ihr bei. „An dem Abend, als Fritz ins Feuer gefallen ist. Das hat voll geil geschmeckt."
„Ich bin nicht ins Feuer gefallen!", verteidigt Fritz sich, bevor er sich wieder darauf konzentriert, sein Stockbrot zu machen.
Nö, gar ned. Dein Pulli hat auch gar keine Brandlöcher seit dem. spottet Hannah.
„Ich kann mich zumindest nimmer dran erinnern.", murmelt Fritz, aber dank meiner Hundeohren verstehe ich ihn trotzdem.
„Das war übrigens Paprikagewürz.", beantworte ich Jules Frage. „Und n bisschen Knoblauch."
„Kann man eigentlich auch irgendwie Stockbrot mit Ei machen?", fragt Max.
„Och nee, ned schon wieder. Nicht du immer und dein Ei." Lukas hebt frustriert den Blick.
„Hatten wir die Diskussion nicht schon mal?", fragt Flora irritiert.
„Wir hatten auch schon die Frage, ob man Eier im Feuer, im Wasserkocher oder mit nem Feuerzeug machen kann. Langsam wirds langweilig." Ich nehme einen Schluck von meinem Korea.
„Schmeckts?", fragt Jule grinsend. Ich boxe ihr gegen die Schulter.
„Schmeckt vermutlich besser, als deine 50 50 Mische.", wirft Nelly ein.
„Drink Water!", kommt es aus der üblichen Quelle von der anderen Seite des Feuers.
„Für Jule gibts nur des Wasser. Gekotzt wird heut ned.", verteidige ich sie.
„Willst du mich abfüllen oder was?", Jules Augen blitzen angriffslustig in die Richtung von unserem Pferdekumpel.
„Ach, schau mal. Lukas hat den Pegel mit Teilverwandlungen erreicht.", grinse ich.
Lukas Hände fahren zu seinen Ohren, die zu zwei flauschigen Pferdeohren geworden sind, die nach oben aus seinem schwarzen Haarschopf herausschauen. Ehe wir es uns versehen, sind sie aber schon wieder verschwunden. Aber wie immer habe ich kurz die Gedanken aus seiner Richtung mitbekommen. Mit Gedankensprache ist es ähnlich wie mit dem normalen Reden. Die Gefühle und Gedanken erreichen einen schneller und die Hemmschwelle ist niedriger. Aber die Gefühle werden oft auch echter und stärker. Bei Lukas, und das wundert mich, ist gerade eindeutig Sehnsucht mitgeschwungen. Anscheinend nimmt es ihn doch mehr mit, dass seine Schwester jetzt weg ist, als er zugeben will.
„Fritz, schau mal nach, ob er nen Schweif hat.", grinst Nelly.
„Pft. Ich bin doch ned Lea."
Reflexartig kontrolliere ich, ob mir schon wieder ein Schwanz gewachsen ist. Noch nicht.Der Himmel fängt langsam an, orange und rot über dem Wald zu glühen und kündigt die Nacht an. Die Nacht ist aber mittlerweile unser Tag geworden. Für mich als Hund etwas befremdlich, für Jule als Vogel umso mehr, die meistens eh nach zwölf einpennt, aber wir haben uns daran gewöhnt.
„But I'm a bad liar.", singe ich leise mit, während ich mich nach hinten ins Laub sinken lasse.
„Bad liar." Jule hat sich neben mich sinken lassen und legt ihren Kopf auf meinen zur Seite ausgestreckten Arm.
„Now you know. Now you know."
Gemeinsam starren wir in das blasser werdende Abendrot, dass durch das Blätterdach schimmert und einen einen Moment lang alles vergessen lässt. Einen Moment lang kann ich einfach nichts denken und kann einfach nur hier sein. Kann den Moment einfach nur sein lassen. Kann mich fühlen wie früher, wenn wir auf den Strohballen gesessen haben und als Hunde und Vogel die Sonne so lange angestarrt haben, bis sie weg war, der festen Überzeugung von sieben, acht und neunjährigen, dass wir sie festhalten könnten, wenn wir nur doll genug starren würden. Ich kann mich fühlen wie früher, als die Welt noch einfacher war.„Wer spielt mit Schwimmen?", reißt mich Lukas' Stimme heraus.
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Wildbergen || Woodwalkers
FanfictionWildbergen. Ein kleines Dorf versteckt irgendwo im Süden Bayerns. Hier leben Wandler und nicht-Wandler beieinander, ohne sich über Geheimhaltung Sorgen machen zu müssen. Und mittendrin die beste Freundesgruppe der Welt und ich. Lea, 18 Jahre alt und...