Ayahuasca im Hallenbad

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„Du wirst früher oder später sowieso vor zwei Möglichkeiten stehen: Von einem Schatten besetzt zu werden, der deinen Körper nach und nach übernimmt oder deine Seelenkräfte zu entfesseln. Jetzt, wo du gereinigt bist, warten die Schatten nur darauf, dich als Hülle zu nutzen. Und einige Lichter sind sicherlich auch nicht abgeneigt", erklärte Imara, wobei ihr Blick kurz zu Haru huschte, der neben ihr auf dem Sprungturm saß, auf dem wir unsere Pizza aßen. Ich kniff die Augen zusammen.
„Und wer hat mir das eingebrockt? Ihr. Ihr habt mich gegen meinen Willen gereinigt!", schnaufte ich, bevor ich mir mein drittes Stück Peperonipizza in den Rachen schob, was Leon mit einem: „Die brennt bestimmt zweimal" kommentierte.
„Sie ist bereits von einem Umbra besessen, vergesst das nicht", warf Haru ein. Ich bedachte ihn mit einem scharfen Blick, doch er ignorierte es.
War klar, dass diese kleine Ratte darauf rumreiten wird, knurrte Dreckstück.
„Ja, der Schatten muss raus ihr. Aber das sollte sich automatisch ergeben, wenn sie ihre Kräfte erweckt", merkte Imara an. Sie kaute auf einem Stück Pizza mit Dönerfleisch, Sauce Hollandaise und Ananas herum. Allein bei dem Gedanken, das zu essen, überkam mich ein angeekeltes Kribbeln.
„Ich hab kein gutes Gefühl dabei. Wie können wir sicher sein, dass er dann wirklich aus ihr raus ist?", äußerte Haru seine Bedenken.
„Hab ich da vielleicht auch noch ein Wörtchen mitzureden?", mischte ich mich ein.
Imara wog den Kopf hin und her, sodass ihre Kreolen klimperten. „Natürlich. Du musst entscheiden, ob du das machen willst. Es könnte nämlich sein, dass du dabei stirbst."
Ich starrte sie an. „Also hab ich die Wahl zwischen sterben, wahnsinnig werden oder tun, was ihr sagt und vielleicht sterben, ja?"
Imara nickte mit verzogenem Mund. „So wie du es sagst, klingt es ziemlich hart", gab sie zu.
„Was, wenn ich euch nicht glaube?" Dieser Haufen kurioser Gestalten wollte mich nur ausnutzen und erzählte mir irgendwas vom Pferd, um mich auf ihre Seite zu ziehen.
Imara beugte sich vor und schaute mir eindringlich in die Augen. „Wir können dich nicht zwingen. Damit es funktioniert, musst du es auch wollen. Aber tief in deinem Inneren weißt du, dass wir nicht lügen. Du trägst bereits einen Schatten in dir. Er wird sich von dir ernähren, bis er schließlich stark genug ist, um die Kontrolle zu übernehmen. Und wenn wir ihn austreiben, werden tausend andere kommen und versuchen, Besitz von dir zu ergreifen. Und du wirst dich nur wehren können, wenn du deine Kräfte nutzen kannst."
Sie sagt die Wahrheit, oder nicht?, richtete ich mich an meinen Parasiten. Dabei kannte ich die Antwort im Grunde bereits.
Nun ... ja natürlich. Dachtest du, ich will so gern mit dir befreundet sein?, erwiderte er schamlos und ich musste auflachen. Meine drei Entführer beobachteten mich mit besorgten Mienen. Wahrscheinlich dachten sie, dass es bereits so weit war und ich den Verstand verlor.
„Ich hab' dreimal versucht, mich umzubringen. Na ja, sagen wir zweieinhalb Mal. Vielleicht wähle ich also lieber den Tod", merkte ich an.
„Warum wolltest du sterben? Wegen der Schatten? Weil du auf der Flucht warst? Weil wir dir deine Menschlichkeit genommen haben?" Imara schob sich ein weiteres Pizzastück in den Mund.
Ich presste die Lippen zusammen. Fuck, dachten die, es wäre so einfach darüber zu reden? „Alle Menschen in meiner Nähe sind in Gefahr", flüsterte ich. „Und jetzt habe ich nicht mal mehr meine Menschlichkeit. Ich spüre kein Mitgefühl mehr für Menschen, zu denen ich keine Bindung habe. Was, wenn mir bald auch meine Eltern egal sind? Was, wenn ich sie in Gefahr bringe? Wenn die Schatten..." Ich stockte und starrte auf meine magiegefesselten Hände. „Scheiße", hängte ich an, weil sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Bloß nicht vor diesen Spinnern heulen.
Imara rückte näher an mich heran. „Willst du deine Eltern und die Menschen, die dir etwas bedeuten, beschützen, Mädchen? Denn das kannst du mithilfe deiner Seelenkräfte." Ich schaute auf. Imara griff nach meinem Arm und drückte ihn sanft. „Du kannst die Schatten dann eliminieren, die diesen Menschen auflauern. Das ist die Aufgabe einer Lucera."
Mein Herzschlag beschleunigte sich. „Aber werde ich nicht ... zu einer Art Geist?"
Die Lux wog erneut den Kopf. „Schon, ja. Aber dafür gibt es ja Transmitter. Du kannst dein Leben wie zuvor weiterführen, wenn du das möchtest, solange du zum Unterricht erscheinst und dich verpflichtest, unsere Ausbildung zu absolvieren. Natürlich macht es dann nicht mehr sonderlich viel Sinn, die Uni zu beenden oder ... diesen ganzen anderen weltlichen Kram zu machen eben. Aber jeder hat ja seine komischen Hobbys, schätze ich."
„Essen müsst ihr aber auch, also braucht ihr auch Geld", gab ich zu bedenken. Imara lächelte. „Unsere menschlichen Hüllen brauchen das, wenn wir die Blutpillen genommen haben, ja. Auch für uns gelten die Gesetze der Physik, wenn wir in eurer Welt agieren. Sobald wir uns in unserer wahren Form befinden, ernähren wir uns ausschließlich von Licht."
Ich verzog den Mund. „Klingt wie diese spirituelle Sekte, diese Ultra-Veganer, die denken, sie brauchen nur Licht und Liebe zum Leben."
„Nun ja, Menschen mit Körpern würde ich das nicht empfehlen", wandte Imara ein. Abwartend sahen die drei mich an. Ich versuchte, keinem von ihnen in die Augen zu schauen.
„Keine Ahnung, ich muss darüber nachdenken", sagte ich.
„Kein Problem, verständlich", erwiderte Imara. Ein paar Tage haben wir auf jeden Fall. Haru sitzt zwar auf heißen Kohlen, weil er noch hofft, seine Ehre wiederzubekommen, aber seien wir ehrlich, das ist eh aussichtslos", witzelte sie.
„Hey!", keifte er und Leon stand auf. „Ich leg mich mal aufs Ohr", kündigte der Hüne an. „Als ich ne Zeit obdachlos war, hab ich auch in nem alten Schwimmbad gepennt. Weckt mich, wenn's Neues gibt." Er stieg über Harus ausgestrecktes Bein zur Turmleiter und steckte sich dabei eine Kippe an. Die Augen auf den Bildschirm seines Smartphones gerichtet, marschierte er in Richtung der Duschen.
„Ich geh mal nach draußen", kündigte Haru an und so saßen ich und Imara schließlich allein auf dem Turm. Aber ich hatte nicht vor, mich weiter mit ihr zu unterhalten.
Was sagst du dazu?, wandte ich mich stattdessen an Dreckstück.
Zum ersten Mal, seit er sich bei mir eingenistet hatte, blieb es kurz still. Dann antwortete er: Gern würde ich sagen, gar nichts. Aber sie haben Recht, du musst deine Kräfte erwecken. Sonst werden andere Schatten versuchen, deinen Körper für sich zu beanspruchen. Das würde meine Herrin nicht erlauben.
Obwohl er mich zuvor bereits animiert hatte, meine Seelenkräfte zu aktivieren, hatte ich diese Antwort nicht erwartet. Hast du keine Angst? Sie haben gesagt, du wirst dabei draufgehen.
Das Lachen des Schatten hallte in meinen Gedanken wider. Das lass nur meine Sorge sein. Wenn du deine Familie beschützen willst, solltest du es tun. Das ist die beste Möglichkeit.
Ich schluckte und beobachtete Imara aus dem Augenwinkel. Sie steckte sich gerade ein Kaugummi in den Mund und ein paar Kopfhörer in ihre Ohren. Was sie wohl für Musik hörte? Weder schien sie wie Leon auf ihr Handy fixiert zu sein, noch ansonsten viel zu tun, um sich ihre Freizeit zu vertreiben. Diese Frau wirkte weniger menschlich als Haru und Leon. Als stünde sie nur auf Standby.
Es war immer noch möglich, dass sowohl Dreckstück als auch die drei Lichter einen Vorteil daraus schlugen, wenn ich mich fügte und mir etwas vormachten. Immerhin schienen beide Seiten davon zu profitieren, wenn meine Kräfte sich entfalteten. Aber was ich nach wie vor nicht verstand... Was geschieht denn mit einem Schatten, wenn seine Hülle zu einem Lux wird? Zu seinem genauen Gegenteil?, fragte ich.
Normalerweise nichts Gutes, deswegen denken diese Idioten ja auch, wenn du dich verwandelst, wäre ich Geschichte. Aber das mit uns ist ein bisschen anders, Bo. Du wirst keine gewöhnliche Lux sein. Und ich bin kein gewöhnlicher Umbra.

Lux - Krieg zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt