Das Feuer des Verrats

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Erst während Imara mich heilte, bemerkte ich Haru und Leon, die uns aus dem Schatten der Schwimmhalle heraus beobachteten.
„Das ist ja der Hammer!", brach es aus Leon heraus und er schleuderte vor Begeisterung seine Kippe auf den Boden. Haru hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und trat die Zigarette aus, den Blick starr auf den Asphalt geheftet.
„Du hast sie getroffen! Beim ersten Kampf! Ich glaub's nicht!" Mit ausgebreiteten Armen kam er auf uns zu. Ich wandte mich an Imara: „Was soll das heißen?" Ich überlegte parallel, ob ich ihr noch einmal eine reinhauen sollte, solange, wie sie es nicht erwartete. Andererseits wollte ich, dass sie mich heilte. Diese verdammte ... Ich ballte die Fäuste. Okay, beruhig dich. Sie hat es genossen, dich zu verprügeln, aber es war nicht grundlos, oder? Sie wollte wissen, was du kannst, richtig?
Kurz ließ ich diese Gedanken auf mich wirken, während Leon neben uns zum Stehen kam und Imara erklärte: „Das war das erste Mal, dass es jemand geschafft hat, ohne vorher in Ohnmacht zu fallen. Und erst das dritte Mal, dass es überhaupt jemand geschafft hat."
„Das letzte Mal war's Haru", ergänzte Leon.
„Ich hatte echt nicht erwartet, dass es so schnell geht." Imara hielt in ihrem Tun inne und schaute mich an. Sie hatte den Mund verzogen wie ein schmollendes Kind. „Ich hatte noch gar nicht richtig los gelegt. Mein ganzes Repertoire an Beleidigungen und schmerzhaftesten Schlägen ... ich konnte es dir gar nicht zeigen."
Okay scheiß aufs Heilen, übernahm ich den Teil meiner Gedanken, für den Dreckstück sonst verantwortlich war. Meine Faust flog in Richtung ihres Gesichts. Mit einer gut gelaunten Miene duckte sie sich und umschloss mein Handgelenk. „Ist das ein Angebot, eine zweite Runde einzulegen, kleine Lady?", säuselte sie.
Zischend riss ich mich los und presste meinen Arm gegen meine Brust, um sie ab jetzt nur noch vernichtend anzufunkeln.
Sie kicherte und machte sich wieder ans Werk. „Wir werden noch sehr viele Gelegenheiten bekommen, uns zu messen. Das verspreche ich dir. Denn ab heute wirst jeden Tag mit mir trainieren."
Die Ankündigung traf mich wie ein Schlag. „Ist das ein schlechter Witz?", knurrte ich.
„Mitnichten. Du musst schnell stärker werden", erklärte sie.
„Ah, damit meine Meinung ein Gewicht hat, ja?" Allein der Gedanke machte mich noch wütender.
Doch Imara nickte nur, ganz konzentriert darauf, die inneren Verletzungen in meiner Magengegend zu heilen.
„Das Recht des Stärkeren also? Ich wusste nicht, dass ihr so zurück geblieben seid", spuckte ich aus. „Schon mal was von Demokratie gehört?"
Imara hielt inne. „Ich habe nie behauptet, dass es mir gefällt. Aber es ist nun einmal so." Sie sah auf. „Willst du leben oder sterben?"
Ich schluckte. Das waren alles Informationen, die sie wohlweislich vor meiner Erweckung unter den Tisch hatte fallen lassen. Meine Intuition hatte mich wirklich nicht getäuscht, vor ihr, Leon und Haru abzuhauen.
„Wenn du leben willst, dann machst du das, was ich dir sage. Denn ich will ganz sicher nicht, dass du stirbst."
Vor kurzem hatte ich mich noch mit dem Gedanken anfreunden müssen, unsterblich zu sein. Und jetzt musste ich um mein Leben bangen. „Wer sind denn diese Typen, die mir jetzt schon wieder an den Kragen wollen?", erkundigte ich mich.
Imara antwortete nicht sofort, weshalb Leon einsprang: „Na der Rat der Fünf. Die fünf Oberhäupter der einflussreichsten Familien von Caelus, die unter dem König dienen." Er kratzte sich mit seinem Badelatschen am Fuß das Bein. „Du weißt schon, Harus Dad."
Bei der Nennung seines Namens reckte ich den Kopf nach ihm, nur um zu bemerken, dass Haru verschwunden war.

Nachdem Imara mich vollständig geheilt hatte, war mir nur noch nach Schlafen - mal wieder. Anscheinend konnte das ihre Magie auch nicht aufwiegen. Die innere Erschöpfung blieb und deshalb verlangten mein Körper und Geist nach dem Kampf nach Erholung.
Ich war froh, etwas Zeit für mich zu haben, denn Imara und Haru blieben vorne in der Schwimmhalle, um die nächsten Schritte zu planen.
Gerade, als ich meine verschwitzten Klamotten ausgezogen hatte, ertönte eine Stimme in meinem Kopf.
Hallo Bo.
Dreckstück!, freute ich mich. Reicht der Abstand etwa schon aus? Ist das nicht gefährlich?
Ich denke, ich werde immer besser darin, meine Präsenz zu verstecken. Aber das könnte sich bald wieder ändern. Wir müssen reden, erwiderte er ungewöhnlich ernst, sodass ich ein mulmiges Gefühl bekam.
Sie haben dir erzählt, wenn du eine Lucera wirst und deine Kräfte nutzt, kannst du deine Familie beschützen und die Menschen, die dir wichtig sind, begann er. Allein bei der Erwähnung meiner Familie wurde mir eng ums Herz.
Red weiter, forderte ich ihn auf. Von meiner Freude war nichts mehr übrig. Nebenbei griff ich mir einen frischen Hoodie, denn so langsam wurde mir kalt nur in Unterhose.
Aber das kannst du nur, solange du bei ihnen bist, fuhr er fort.
Für einen Moment verstand ich nicht, was er mir sagen wollte. Dann klingelte es. Aber ich soll mit den Lux nach Caelus reisen. Und mitnehmen kann ich Yuzei und Mama auch nicht, weil Menschen dort keinen Zutritt haben, schlussfolgerte ich aus seinen Andeutungen.
Exakt. Du kannst nicht beeinflussen, was die Schatten machen, wenn du dich in Caelus aufhältst, bestätigte Dreckstück.
Ich schüttelte den Kopf. Dann werden sie meine Familie eben bewachen, ganz einfach. Sie werden alles tun, was ich verlange. Immerhin wollen sie mich unbedingt.
Bo. Sie müssen gar nichts tun. Wenn du ihnen quer kommst, töten sie dich einfach. Und selbst wenn sie dir wirklich entgegenkommen und einen niederen Lucera in der Nähe deiner Eltern stationieren, wird das nur kurz Abhilfe schaffen.
In meiner Brust bildete sich ein Knoten. Ein Knäuel aus Ungläubigkeit und Wut. War das wahr? War ich derartig verarscht worden?
Die Lux bereiten sich auf einen Krieg gegen die Umbra vor. Sie werden jeden Mann und jede Frau brauchen. Und dann werden die Schatten zuschlagen. Nicht, weil sie deine Familie so schmackhaft finden. Sondern, weil bald jeder von ihnen wissen wird, wer du bist. Sie alles tun, um dir zu schaden. Du bist sowohl für Lux als auch für uns eine Chance aber auch eine große Gefahr, erklärte er.
Ich presste die Zähnen aufeinander. Okay, ich haue ab. Du hast Recht!
Schon war ich wieder aufgesprungen.
Halt! Warte, Bo!, rief er durch meinen Kopf.
Ich hielt inne und war überzeugt zu spüren, wie er erleichtert aufatmete - oder was auch immer man in so einem Moment tat, wenn man keinen eigenen Körper besaß.
Du musst nach Caelus reisen. Die Lux können deine Familie nicht schützen und du kannst es auch nicht, wenn du nicht stärker wirst.
Verdammte Scheiße!, antwortete ich. Gerade hieß es noch, das bringt mir eh nichts. Du verarschst mich doch genauso wie die! Du erzählst mir irgendwas, damit ich das mache, was du willst!
Dreckstück versuchte mich zu beschwichtigen: Bitte lass es mich erklären! Natürlich will ich dich für meine Zwecke nutzen. Ich habe nie etwas anderes behauptet. Ich war immer ehrlich zu dir. Und genau deshalb bin ich es jetzt auch.
Ach ja?, fragte ich. Und warum erzählst du mir erst jetzt davon, dass mir eine Ausbildung zur Lucera überhaupt nichts bringt, um meine Familie zu schützen? Du wusstest es doch schon die ganze Zeit, nicht wahr?
Der konnte mich nicht mehr verarschen. „Ich hätte dich aus meinem Körper schmeißen sollen, als ich die Gelegenheit hatte", fluchte ich im Flüsterton.
Ja, ich wusste es die ganze Zeit und habe gewartet, weil ich deine Lichtkräfte brauche. Ich wusste, du würdest sie sonst nicht entfesseln.
Weißt du was, ich schmeiß dich jetzt raus!, entschied ich und schloss die Augen. Ich musste ihn nur auskotzen, während ich in mein Unterbewusstsein abtauchte, alles ganz easy.
Bitte erwarte nicht von mir, den Samariter zu spielen. Ich bin immer noch ein Schatten, erinnerte Dreckstück.
Ich schnaubte. Klar, aber du bist dann nichts weiter als ein Parasit für mich. Die Abmachung war, dass wir beide was von unserer Symbiose haben. Die Abmachung war, dass du meiner Familie und mir nie schadest.
Genau aus diesem Grund rede ich doch gerade mit dir!, versuchte er mich zu besänftigen. Ich halte meine Versprechen!
Langsam verschränkte ich die Arme vor der Brust und schlug die Augen wieder auf. Letzte Chance, warnte ich.
Einige Lux und Umbra höherer Stufen, also Lucera und Obscuritas, haben spezielle Fähigkeiten. Recht verbreitet ist der Schatten- beziehungsweise Lichtruf. Damit kann man niedere Lux und Umbra beschwören und ihnen Anweisungen geben.
Komm zum Punkt. Mein Geduldsfaden drohte, endgültig zu reißen.
Ein Lux kann niemals einem Schatten Anweisungen erteilen und umgekehrt. Es ist schlicht nicht möglich, weil sie das genaue Gegenteil sind. Aber ein hoher Schatten kann niederen Schatten Befehle erteilen. Zufälligerweise ist das eine der Fähigkeiten meiner Herrin. Er machte eine kurze Pause. Um genau zu sein, kann meine Herrin in ihrer vollkommenen Form jedem niederen Schatten und den meisten Obscuritas auftragen, was sie zu tun und zu lassen haben. Sie könnte etwa deine Familie als unantastbar markieren. Kein Schatten würde ihnen je wieder zu nahekommen. Und selbst in ihrer unvollkommenen Form könnte sie deine Familie durch einige Schatten schützen. Wenn sie angreifende Schatten töten, können sie ihre Energie aufnehmen und wachsen weiter, werden also stärker. Diesen Vorteil hätten die Lichtkrieger nicht.
Ich kniff die Augen zusammen und versuchte zu erfassen, was er mir sagen wollte. Und warum können die Lux dann nicht einfach genau das Gleiche nur mit ihren Lichtern machen, wenn sie die Fähigkeit auch besitzen?
Könnten sie. Erstens würden die aber dann nicht bei jedem Kampf stärker werden. Die angreifenden Schatten werden es aber definitiv, also sollte das auch für die Beschützer deiner Familie gelten, findest du nicht? Meine Antwort wartete er erst gar nicht ab. Zweitens werden die Lux dir diesen Gefallen nicht tun. Sie werden möglichst viele Ressourcen für den Krieg nutzen.
Seufzend schüttelte ich den Kopf. Du hältst mich echt für schön blöd, oder? Warum sollte denn für die Umbra was anderes gelten? Weil die für ihre Barmherzigkeit bekannt sind?, spottete ich.
Doch zu meiner Überraschung konnte ich ein Triumphgefühl in mir vernehmen, das eindeutig nicht von mir, sondern von meinem Parasiten stammte. Weil die Lux, mit denen du dich angefreundet hast, einen Krieg gegen die Umbra führen wollen. Der Umbra, mit dem du dich angefreundet hast, will aber keinen Krieg gegen die Lux führen.
Ich verzog den Mund. Was willst du mir damit schon wieder sagen? Hör doch mal auf, in Rätseln zu sprechen!
Meine Herrin und ich führen ebenfalls einen Krieg gegen die Umbra. Genauer, gegen einen von ihnen. Unglücklicherweise hat er eine ganze Armee, die ihm den Rücken deckt - er ist ebenfalls in der Lage, den Schattenruf zu verwenden.
Jetzt kam ich gar nicht mehr mit. Moment, du bist ein Verräter?, zählte ich eins und eins zusammen.
Wir sind keine Verräter! Er ist es! Diese kleine Ratte Cupiditas! Er hat sich den Thron mit einer List erschlichen statt mit wahrer Macht!
Moment mal, unterbrach ich seinen wutschnaubenden Monolog. Wer zum Teufel ist das? Thron ...?
Ich bekam ein besonders ungutes Gefühl.
Auch Dreckstück schien jetzt kleinlaut. Durch seine Impertinenz und ganz viel Zufall handelt es sich unglücklicherweise um den Schattenkönig. Und meine Herrin und ich werden ihn vom Thron stoßen. Mit deiner Hilfe.

Lux - Krieg zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt