Kapitel 15: Die Liebe einer Schwester

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Er würde ihr auf diese Frage keine Antwort geben, schließlich würde sie es noch früh genug aus eigener Hand erfahren.
,,Die Zeit läuft, du solltest dich lieber beeilen", war alles, was er noch zu ihr sagte.
Haruaki und sein Bruder verschwanden in der Dunkelheit und ließen Chihiro allein zurück.
Sie wusste nicht einmal, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollte.
Die Schwarzhaarige lief los, nachdem sie sich in diesem Raum umgesehen hatte und schaute sich in allen Winkeln um, bis sie etwas feuchtes und warmes an ihren Füßen bemerkte. Ein stechender Geruch stieg ihr in die Nase. Sie blickte nach unten und musste feststellen, dass anders als angenommen, kein Wasser ihre Knöchel streifte, sondern sie durch dickflüssiges Blut schritt, welches von Minute zu Minute anstieg.
Dies sollte sie nicht nur an die begrenzte Zeit erinnern, sondern sie auch bei ihrer Suche behindern.

Die Zeit würde nicht ausreichen, um das ganze Gebäude zu durchsuchen, welches ihr allmählich seltsam vertraut vorkam. Sie sah in den umliegenden Zimmern nach, in allen befand sich eine ähnliche Holzkiste, wie die, auf der der Junge gesessen hatte. Es scheint ganz so, als sollte dieser subtile Hinweis ihr die Suche erleichtern, aber ganz so einfach sollte es dann doch nicht werden.
Je weiter sie durch die Bauruine lief, desto bekannter kam ihr diese vor. Hier hatte alles mit dem Tod des kleinen Jungen begonnen, doch ob es hier auch enden wird, bleibt ungewiss.

In der Zwischenzeit hatte sich Misaki auf den Weg zu einem Bekannten gemacht. Naoki Kobayashi, der ehemalige Freund der Gerichtsmedizinerin, zu dem sie, bis zum Tod ihrer Brüder, ein recht enges Verhältnis gepflegt hatte. Ganz zum Leidwesen ihres jüngeren Bruders, der den großgewachsenen Mann nicht ausstehen konnte, da dieser Angst hatte, er könnte ihm seine Schwester wegnehmen.
Sie wollte Naoki nicht in Gefahr bringen, aber er war der Einzige, der ihr helfen könnte ihre Brüder zu retten.
Die bebrillte Frau betrat den Schrein, in welchem der Mann, mit den leicht gewellten schwarzen Haaren, gerade die nächste Zeremonie vorbereitete.

"Es ist lange her, dass wir uns zuletzt gesehen haben, aber ich wäre nicht gekommen, wenn es nicht wichtig wäre."
Bei diesen Worten blickte er auf und sah die Frau vor ihm perplex an.
,,Misaki, was ist denn mit deiner Hand passiert?", seine dunklen fast schwarzen Seelenspiegel musterten besorgt ihre bandagierte Hand, welche sie vor ihm zu verstecken versuchte.
,,Das ist eine lange Geschichte, du würdest sie mir vermutlich sowieso nicht glauben. Aber ich brauche deine Hilfe, um die Seele eines Verstorbenen zu erlösen", ihr blieb nicht viel Zeit, weshalb sie sich mit ihren Erklärungen kurz hielt.
Sie befürchtete, dass er sie für verrückt halten würde, jeder andere hätte das mit Sicherheit getan. Doch das tat er in keinster Weise. Immerhin hatte er in seiner Laufbahn, als Priester, schon das ein oder andere übernatürliche Phänomen miterlebt.
Naoki kannte die Gerichtsmedizinerin schon zu viel lange und wusste, dass dies definitiv kein Scherz war, obwohl er sich wünschte, es wäre einer.

Das Blut derer, die dem Jungen bislang zum Opfer gefallen sind, ging Chihiro bereits bis zu den Knien, als sie im Begriff war das Erdgeschoss hinter sich zu lassen. Sie hatte fast das Ende der morschen Treppe erreicht, als sie plötzlich etwas am Fuß packte und sie am Fortschreiten hinderte. Die Haut der Hand war verkohlt, ganz so, als wäre sie verbrannt. Die Schwarzhaarige hatte das Gefühl, als würde diese die Hitze der Flammen noch immer ausstrahlen. Eine weitere Hand griff nach ihr. Diese war gerötet, geschwollen und von Stichen überzogen. Beide schienen sie in die dunkelrote Flüssigkeit ziehen zu wollen. Der Griff der Beiden war eisern, so als sei die Frau das rettende Floss, welches die armen Seelen aus der endlosen Tiefe retten könnte.

Chihiro versuchte Halt am Treppengeländer zu finden, um nicht noch weiter nach unten gezogen zu werden. Ihre Fingernägel krallten sich verzweifelt in das modrige Holz, während die Hände sich an ihren Beinen hinauf arbeiteten und sie, durch das zusätzliche Gewicht der beiden Körper, immer tiefer nach unten gezogen wurde.
Doch bevor sie gänzlich in dem dickflüssigen Blut versunken war, packte sie jemand und hievte die Schwarzhaarige auf den Treppenabsatz. Dabei wurden ihre beiden Hosenbeine zerrissen.
Sie rang nach Luft und hustete etwas von dem eingeatmeten Blut heraus. Sie brauchte einen Moment, bis sich ihre verschwommene Sicht aufklarte und sie erkennen konnte, wer sie da gerettet hatte.

Haruaki, der mittlerweile wieder seine normale Gestalt angenommen hatte, war derjenige, der sie vor ihrem Tod bewahrt hat. Und das obwohl es das genaue Gegenteil seiner Aufgabe war.
Der Mann vor ihr sah genau so aus, wie ihn ihr die bebrillte Frau beschrieben hatte. Sie konnte ihm also trauen, oder? Sie war sich nicht ganz sicher, aber er hatte sie gerettet und er schien auch keine Anstalten zu machen, ihr wehzutun. Eine andere Wahl hatte sie ohnehin nicht.
Der Schwarzhaarige, mit den zugenähten Lippen, hielt ihr seine Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Zögerlich ergriff sie diese. Er half ihr auf die Beine und führte sie zu einem Raum, an dessen Tür eine blutbefleckte Leiche lehnte. Das Gesicht der Person war mit einem fleckigen Laken bedeckt, aber Chihiro erkannte ihre Schwester dennoch sofort. Die Schwarzhaarige kniete sich vor den Leichnam, strich behutsam über die bereits kalte Hand und schloss sie in eine feste Umarmung.
Auf der einen Seite wollte Chihiro sich damit von Akame verabschieden, aber gleichzeitig klammerte sie sich an ihre ältere Schwester, die für sie immer eine Art Wegweiser und Beschützer war.

Haruaki musterte die Szene mit einem melancholischen Ausdruck auf dem Gesicht, die Beiden erinnerten ihn an seine eigenen Geschwister. Misaki hatte damals genauso reagiert, als sie dem Leichnam ihres jüngeren Bruders gegenüberstand. 
Er berührte sanft ihre Schulter und holte sie somit aus ihrer Starre. Er deutete ihr, ihm in den Raum zu folgen.
Die Schwarzhaarige drückte die Ältere noch einmal fest an sich, ehe sie sich von ihr löste. Stumm liefen ihr die Tränen übers Gesicht, als sie ihre Schwester zurückließ.
Das alles wurde von dem Geist des Jungen beobachtet. Ihm passte es gar nicht, dass sein Bruder nach eigenem Ermessen handelte und sich damit gegen die Kontrolle des Jüngeren widersetzte. Das könnte für ihn wirklich zu einem Problem werden, wenn er nichts dagegen unternimmt. Aber er entschloss sich abzuwarten, damit er sehen konnte, was Haruaki vor hatte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 01 ⏰

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