Es war später Nachmittag an einem angenehm lauen Herbsttag. Die meisten Achtzehnjährigen waren um diese Zeit mit ihren Freunden unterwegs, doch Rin war nicht wie die meisten in ihrem Alter. Sie ging weder auf Partys, noch mochte sie große Menschenmengen. Die Halbjapanerin ging lieber in die Bibliothek, denn sie war eine in sich gekehrte Außenseiterin, so würden zumindest andere sie beschreiben, die ihre Nase gerne in Bücher steckte. Ihr Lieblingsbuch war der Roman Kokoro von Natsume Soseki, in welchem sie gerade blätterte. Ihre Ausgabe war schon etwas abgegriffen, der Einband hatte einige kleinere Kratzer und doch hütete die blonde Oberschülerin diese wie einen Schatz.
Während sie las lauschte sie der klassischen Musik, die über ihrem Laptop lief. Ab und zu summte sie die Melodie mit und kuschelte sich dabei in die großen weißen Kissen ihres blauen Futonbettes, welches sie von ihren Eltern zum Auszug in ihrer erste eigene Wohnung geschenkt bekommen hatte. Es handelte sich hierbei zwar um eine kleine Mietwohnung, aber diese Tatsache störte sie nicht. Schon lange hatte sie sich einen Rückzugsort zum Lernen gewünscht, in welchem sie ihre Leidenschaft nach Herzenslust ausleben konnte, denn neben dem Lesen schrieb sie gerne Fantasy-Geschichten.
Nach der Oberschule wollte sie sich bei einem Verlag vorstellen, um dort vielleicht ihr erstes eigenes Buch zu veröffentlichen. Bislang hatte sie ihre Geschichten nur in ihrem Internet-Blog hochgeladen, wo sie viel positive Kritik erhielt. Dennoch fürchtete sie sich etwas vor den Meinungen der Verlage. Rin hatte Angst, dass ihr Schreibstil nicht gut genug war oder keinen Wiedererkennungswert besaß. Doch diese Angst war vollkommen unbegründet. Ihr Blog hatte mehrere tausend Leser, welche sich jeden Monat auf ein neues Kapitel ihrer Geschichten freuten.
Die Sonne war bereits untergegangen, weshalb Rin nach der Uhrzeit schaute, da sie für morgen noch eine Hausarbeit fertigstellen musste. 19:38 zeigte die Uhr von ihrem PC, sie hatte also noch Zeit. Sie strich sich eine Strähne ihrer schulterlangen lockigen Haare hinters Ohr, ehe sie die Datei mit der Arbeit öffnete. Mitten in ihren Schreibprozess vertieft merkte sie nicht, dass seit geraumer Zeit das Benachrichtigungssymbol aufleuchtete. Als sie es bemerkte, klickte sie auf die Nachricht. Die Email stammte von einem unbekannten Absender. Mit einem unbehaglichen Gefühl öffnete das Mädchen die Email.
In dieser stand: „Traust du es dich, deinen schlimmsten Ängsten entgegenzutreten?" Darunter waren ein Fenster für Ja und eines für Nein.
Rin vermutete, dass es sich bei der Nachricht um einen Streich ihrer Klassenkameraden handelte. Sie hatte schon öfters beobachtet wie ihre Mitschüler sich gegenseitig Kettenbriefe schickten oder jüngeren Schülern versuchten Angst einzujagen. Rin fand diese Aktionen unreif und ignorierte sie daher, so auch dieses Mal. Viel lieber konzentrierte sie sich auf die Fertigstellung ihrer Hausarbeit.Nachdem sie damit fertig war fuhr sie den Computer herunter. Sie ging in ihr Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen und ihre Schlafkleidung, bestehend aus einem grauen Oversize-T-Shirt und einer kurzen roten Hose, anzuziehen. Als sie zurück in ihr Schlafzimmer lief sah sie zu ihrer Verwunderung, dass ihr Laptop wieder angeschaltet war. Bei näherer Betrachtung erkannte sie, dass der Posteingang geöffnet war und eine neue Nachricht angezeigt wurde, wieder stammte sie von dem unbekannten Absender. Mit zittrigen Händen öffnete Rin die Email.
„Hast du etwa Angst?" Darunter befanden sich wie beim letzten Mal die Antwortmöglichkeiten Ja und Nein. Sie klickte auf Nein und erhielt sofort eine neue Nachricht.
,,Gut, bist du bereit dich deinen Ängsten zu stellen?" Wieder konnte sie zwischen Ja und Nein wählen. Sie klickte erneut auf Nein.
,,Schade. Dann bleibt mir keine andere Wahl, als dich zu zwingen."
Die Halbamerikanerin verlor die Geduld, für einen Streich ging ihr das eindeutig zu weit, weshalb sie eine Email an den Absender schickte. „Wer bist du?", fragte sie darin.
Dieser antwortete prompt. „Ich bin dein schlimmster Alptraum und ich ermögliche dir, dich deinen Ängsten zu stellen. Solltest du es schaffen, dann werde ich dich in Ruhe lassen, wenn du allerdings versagen solltest, dann...."
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Fear
HorrorIm Dunkeln lauern Gefahren meist tödlicher Natur. Doch was passiert, wenn kein Serienkiller, Vampir oder Zombie, sondern Du selbst Dein größter Feind wirst? Wenn sich Deine schlimmsten Ängste manifestieren, ist es meist nur noch eine Frage der Zeit...