Kapitel 3: Ein Ende und ein Neuanfang

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Der brünette Junge öffnete den Mund, aber nicht um etwas zu sagen, sondern um Rin's größte Angst freizulassen. Zuerst sah man nur vereinzelte Insektenbeine, welche sich auf seine blassen mit blutbefleckten Lippen legten. Das Surren von Bienen war eine Warnung für das Mädchen, sie musste fliehen, denn ansonsten würde ihre Allergie ihr das Leben kosten. Die ersten Bienen flogen aus seinem Mund in ihre Richtung. Sie drehte sich von ihm weg und wollte aus dem Zimmer stürmen, doch das ließ er nicht zu. Er ließ die Tür vor ihrer Nase zuknallen. Die Taschenlampe fiel achtlos zu Boden und auch Rin fiel durch das abrupte Bremsen hin, es war aussichtslos, sie konnte nicht mehr fliehen.

Sie würde hier sterben, das war ihr in dem Moment bewusst geworden, als die erste Biene in ihren Hals stach. Ein brennender Schmerz breitete sich in ihr aus und legte alles in ihr lahm. Ihr Hals schwoll immer weiter zu, raubte ihr die Luft zum Atmen. Ihre Sicht verschwamm durch die zahlreichen Tränen, welche ihre Wangen mit der klaren, salzigen Flüssigkeit benetzten. Sie kratzte an ihrem Hals in dem verzweifelten Versuch Luft zu bekommen. Der Junge drehte sich von ihr weg, um ihren Todeskampf nicht mitansehen. Es erinnerte ihn schmerzhaft an seinen eigenen sinnlosen Kampf ums Überleben. Die Bienen stachen immer weiter auf sie ein, jede Einzelne starb danach und landete neben Rin's zuckenden Körper.
„Schade, ich hatte gehofft, etwas länger mit dir spielen zu können, aber ihr Menschen seid ja alle so zerbrechlich", sprach er mit süffisanter Miene.

Der Junge verschwand auf dem gleichen Weg, wie er gekommen war. Alle Nachrichten und sonstige Spuren seiner Tat verschwanden ebenfalls. Die Polizei wurde einige Tage später alarmiert, da Anwohner eine süßlich, stechenden Geruch aus der Wohnung wahrnahmen. Die Todesursache war ein anaphylaktischer Schock, der dazu führte, dass ihre Atemwege zuschwellten, gewesen. Rin Katahase's Tod wurde als Unfall zu den Akten gelegt, nur berücksichtigte keiner, dass der Herbst sich dem Ende neigte und der Winter vor der Tür stand, weshalb es eigentlich unmöglich war durch Bienenstiche zu sterben.

Einige Wochen später war Rin's Tod bereits aus den Nachrichten verschwunden. Ihre Eltern wollten das aber nicht hinnehmen. Immerhin hatte ihr kleiner Schatz doch immer ein Notfallset in der Wohnung, falls eine Biene sie stechen sollte. Und dieses lag noch unbenutzt im Schrank unterhalb des Waschbeckens im Badezimmer. Die örtliche Polizei weigerte sich den Fall neu aufzurollen, da die Todesursache einen Mord ausschließe, zumal man auch keine stichpunkthaltige Beweise auf ein Gewaltverbrechen habe.

Es lag bereits eine dünne Schneedecke auf den Straßen, als die junge Studentin den Laden verließ. Sie hatte gerade die letzten Sachen gekauft, die für ihr Kunstprojekt noch gefehlt hatten. Seiko hüllte sich enger in den Mantel ein, bevor sie die Straßenseite wechselte. Sie mochte solche Wintertage, da die mit Schnee bedeckte Landschaft sich an diesen Tagen besonders gut als Fotomotiv eigneten. Doch viel lieber mochte sie den Sommer, wenn die Blumen ein farbenfrohes Meer bildeten und der Vogelgesang ihre Fantasie anregte.
Bei ihrer Wohnung, welche sie sich mit einer gleichaltrigen Soziologiestudentin teilte, angekommen öffnete sie die Tür.

Drinnen zog sie sich ihren grauen Mantel und ihre Schuhe aus und ging sofort in den ungenutzten Raum am Ende des Flures, welchen sie als Atelier nutzte. Dort packte sie die, gerade gekauften, Utensilien sorgfältig auf den großen Tisch vor ihr. Zu den Materialien gehörte unteranderem eine Angelschnur, weiße Federn und Blondierung. Diese brauchte sie, um ihr Kunstprojekt fertigzustellen. Das Thema ihres Projektes war Liebe und da Seiko schon immer etwas anders war, wenn es um die Interpretation einer Aufgabe ging, hatte sie sich für einen Engel entschieden, der seine Unsterblichkeit für seine Liebe aufgab.

Zuerst begann die Brünette damit die schwarze Perücke einzufärben, aber nur den unteren Teil, da sie einen Farbeffekt von dunkel zu hell erreichen möchte. Damit wollte sie das Ende der Reinheit zeigen, dass der Engel nun zu einem Menschen wird. Während der Einwirkzeit befestigte sie einzelne Federn an der Angelschnur, welche sie zuvor in drei gleichlange Stücke geschnitten hatte, diese brachte sie auf der Rückseite der Flügel an. Nach einer Weile wusch sie die Farbe aus und föhnte die Echthaarperücke trocken. Danach setzte sie die Perücke auf den Kopf der Schaufensterpuppe. Sie betrachtete stolz ihr Werk, ehe sie ihre Kamera holte und ihr Kunstprojekt fotografierte.

Sie würde die Bilder morgen am Computer in der Schulbibliothek bearbeiten, da sie keinen eigenen PC besaß. Jetzt wollte sie nur noch Aufräumen und Essen für sich machen, da ihre Mitbewohnerin mit Freunden weg war, um für eine Klausur zu lernen. Daher würde sie erst spät nach Hause kommen. Seiko war fast fertig damit Ordnung zu schaffen, als ihr Handy plötzlich vibrierte. Sie vermutete zuerst, ihre Mutter habe ihr geschrieben, weshalb sie nachschaute.

„Traust du es dich, deinen schlimmsten Ängsten entgegenzutreten?", stand in der Nachricht. Darunter waren ein Fenster für Ja und eines für Nein. Zuerst war Seiko verwundert darüber, woher die fremde Person ihre E-Mail Adresse hatte. Sie wurde aber schon bald von ihrer Neugier übermannt. Die junge Frau dachte sich nichts dabei, weshalb sie unbekümmert auf Ja klickte und wartete, was als nächstes geschehen würde.
„Nun beginnt dein persönliches Spiel mit der Angst, Seiko Shimizu, es gibt nun kein Zurück mehr. Viel Glück."
Stand in der Nachricht, welche der Unbekannte ihr zu schickte. Gänsehaut breitete sich an ihrem gesamten Körper aus, als sie die Zeile las. Ihr Handy schaltete sich ab und startete kurz darauf neu. Seiko entsperrte es und sah nach, ob die Nachrichten noch da waren, doch das waren sie nicht.
Das gerade war schon komisch, vor allem woher kennt diese Person meinen Namen, fragte sie sich.

Aber da nichts weiter geschah widmete sie sich wieder ihrer Aufgabe. Als sie damit fertig war, wollte sie in die Küche, bis es auf einmal nach Rauch roch. Ihr lief der Angstschweiß den Rücken hinunter, denn seit Jahren litt sie schon unter einer Pyrophobie, der Angst vor Feuer. Sie lief in die Richtung aus der der Geruch kam und tatsächlich brannte es. Die Vorhänge im Wohnzimmer brannten lichterloh. Und als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, betrat ein großer Mann das Wohnzimmer. Er trug eine Schweinekopf-Maske, welche sein komplettes Gesicht verdeckte und mit Blut beschmiert war. In der Hand hielt er einen Brandbeschleuniger und in der Anderen eine Axt, an der eine dunkelrote Flüssigkeit klebte.

Er ging mit langsamen Schritten auf sie zu. Seiko verließ das Zimmer fluchtartig, sie rannte zur Haustür. Kurz bevor sie diese erreichte, breiteten sich auch hier Flammen aus. Die junge Frau wich zurück und machte sich auf den Weg in ihr Atelier. Sie schloss die Tür hinter sich und nahm ihr Handy. Seiko wählte den Notruf, am anderen Ende der Leitung war ein Knacken zu hören. Kurz darauf wurde der Anruf angenommen, doch es herrschte Stille. Nur ihr eigener Atem war zu hören.

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