Tief in mir wusste ich, dass ich es nicht schaffen würde. Und dann kam die Erkenntnis hinzu.
Selbst wenn, was dann? Welche Schule sollte mich nehmen? Ein dummes Mädchen, was niemand kannte, was nicht existiert? Für niemanden. Eins, das nur fürs Lesen und Lernen in dieser Bücherhalle lebte und deren einziger Austausch, wenn jemand es so benennen mochte, mit ihrem A-L war und aus dem täglichen 'Hallo' und 'Tschüss' und manchmal ein paar Worten mehr mit der Mitarbeiterin der Bücherhalle oder deren Vertretung bestand.
Ich gehörte nirgends richtig hin. Nach dieser Erkenntnis hörte ich auf, wie eine Irre zu lernen. Nicht gänzlich. Manches erlangte mein Interesse, manches nicht. Aber mein Traum – und somit auch mein Ziel – löste sich ins Nichts auf.
Er hatte die ganze Zeit recht, das war das Schlimmste für mich. Aber er war es auch, der dafür gesorgt hatte, dafür verabscheute ich ihn umso mehr.
An diesem einen Tag saß ich einfach da. In der Bücherhalle. Mein Notizblock blieb leer. Sonst füllten sich die Zettel in Windeseile, an jenem Tage nicht. Die Zeit schien nicht voranzuschreiten. Und ich war wieder an einem Punkt angelangt, an dem ich nicht wusste, was ich zu tun hatte.
Ich war wieder acht Jahre alt. Vor meinem Auge sah ich den gelbroten Schmetterling, der mich verhöhnte. Gelbrot. Gelb und auch rot. Ich hasste mittlerweile beide Farben. Mit ihnen verband ich meinen schlimmsten Tag. Meinen Fehler. Meinen Verlust.
»Hey. Ist alles in Ordnung bei dir?«
»Hm?«
»Du bist ganz blass.«
»Oh. Tut mir leid.«
»Nicht doch. Hier, ich habe dir Wasser gebracht.«
»Danke schön.«
»Heute bist du gar nicht am Schreiben.«
»Ja. Heute nicht.«
»Auch nicht am Lesen.«
»Ja auch das nicht.«
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht ausfragen.«
»Mir tut es leid.«
»Was denn?«
»Einfach so.«
»Dir muss nichts leidtun.«
»Ok.«
Das Verhalten der Mitarbeiterin zeigte mir, dass ich unachtsam war. Die Menschen konnten mir ansehen, dass etwas nicht stimmte. Das durfte es nicht. Eine der vielen Anordnungen. Ich ging zu einem der vielen Regale und schnappte mir ein Buch, schlug es auf und fing an zu lesen.
Zu meinem eigenen Glück hatte ich ein gutes Buch gewählt und so konnte ich mich in dem Werk vertiefen und mich mal wieder dem Lesegenuss hingeben. Das tat gut.
Die Mitarbeiterin ging zum Feierabend wieder ihre Runde und zeigte dabei auf ihre Armbanduhr. Dadurch wusste ich, dass ich nun zu Gehen habe. Wir hatten eine stillschweigende Abmachung. Sie fragte nicht, aber bewahrte meine Lernsachen vorne bei sich auf. Tat sie das aus Mitleid? Oder hatte ich sie zu sehr erschreckt bei unserem ersten Zusammentreffen, sodass sie es einfach tat?
So oder so, eigentlich brauchte ich meine Lernsachen nicht mehr, da mein Ziel nicht weiter existent war. Aber das konnte ich nicht offenbaren, es hätte weitere Aufmerksamkeit und somit Zweifel auf mich und meine Umstände gezogen. Daher überließ ich ihr wie üblich meinen Block und die Bücher, die ich bei mir liegen hatte.
Ich ging hinaus und blickte, wie ich es immer tat, aus Routine auf mein Handy.
'Ach du scheiße', dachte ich. Ich hatte zehn Nachrichten von A-L. Seit Langem waren dies die ersten Nachrichten, die ich von ihm bekam. Damit hatte ich nicht gerechnet. Da ich nicht reagiert hatte und es bereits zehn Stück sind, hatte ich einiges zu befürchten.
Auf der Bank im Park las ich mir zunächst die Nachrichten durch. Eine nach der anderen. Von 'Komm nach Hause' bis 'Ey, wo bist du man. Mach, dass du deinen hässlichen Arsch nach Hause bewegst', war alles dabei.
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Entpuppung
Storie brevi◦𝗖𝗼𝗺𝗶𝗻𝗴𝗢𝗳𝗔𝗴𝗲-𝗗𝗿𝗮𝗺𝗮◦ Ein Prozess zur Verwandlung: Wenn du herausfindest, was 𝘓𝘌𝘉𝘌𝘕 wirklich bedeutet, kann das verdammt anstrengend und voller Hürden sein - so wie bei ihr. Sie muss sich durch alle Stadien winden wie eine Raupe...