▪︎Kapitel 1▪︎

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Rückblick:

Stocksteif hielt Kate die lange Peitsche in ihren Händen. Captain Blutsäbel stand neben ihr.

"Los jetzt Kate! Drei Peitschenhiebe auf Johns Rücken. Das wirst du wohl schaffen", rief er leicht verärgert.

Kate begann zu zittern.
Sie sah wie zwei Matrosen John das Hemd herunter rissen. Kate starrte ängstlich auf seinen glatten Rücken. Sie war sich nicht sicher, ob sie es über sich bringen würde die Peitsche, die sie umklammerte, an ihm zu verwenden. Aber da war dieser prüfende, eindringliche Blick ihres Vaters.
Er hatte etwas bedrohliches an sich, was ihr Angst bereitete.

Kate schloss für ein paar Sekunden die Augen und atmete einmal ein und aus. Anschließend öffnete sie die Augen wieder und legte die Peitsche nur noch in ihre rechte Hand. Dann holte sie aus und.....

Plötzlich glitt sie ihr aus der Hand.
Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Sie konnte es einfach nicht tun. Sie machte ein paar Schritte zurück. Sie wollte einen Sicherheitsabstand zu John halten, damit sie ihn nicht verletzten konnte. Fluchend hob Captain Blutsäbel die Peitsche auf und schlug drei Mal auf Johns Rücken. Bei jedem Schmerzensschrei, den John verursachte, zuckte Kate erschrocken zusammen.
Sie wurde blass, als sie mit ansehen musste wie John von ihrem Vater gequält wurde. Schließlich waren drei rote Striche auf dem vorher so makellosen Rücken abgebildet.

Es gewitterte. Das Grollen des Donners drang zu ihnen herüber. Kate legte den Kopf in den Nacken und warf einen Blick auf den Himmel über sich. Dunkle Wolken hatten die Sicht versperrt. Es dauerte nur wenige Sekunden ehe es zu regnen begann. Die Wassertropfen landeten in ihrem Gesicht und liefen ihre Wangen hinunter. Sie vermischten sich mit ihren Tränen und Kate hoffe, dass man ihr nun nicht mehr ansah, dass sie geweint hatte.

Die Bilder verschwammen und Kate kehrte langsam aus ihrer Erinnerung in die Wirklichkeit zurück.

"Schiff in Sicht!"

Sie blinzelte.
Wo war sie?
Über ihr war eine Decke aus Holz zu sehen. Rechts und links von ihr schaukelten Schiffshängematten hin und her. Da Kate ihr ganzes Leben auf diesem Schiff verbracht hatte, brauchte sie nur wenige Sekunden, um zu wissen, dass sie sich in der Matrosenkabine befand.

Vorsichtig erhob sie sich aus ihrer Hängematte. Sie war etwas wackelig auf den Beinen, aber sie konnte sich fortbewegen.
Sie überlegte kurz.

Wer hatte sie hier her gebracht? Peter?
Er war der Einzige, der ihr auf die Schnelle einfiel. Denn ihr Vater hätte sie eher geschlagen, als sie in eine Hängematte zu tragen.

Kate entdecke, die kleine Öffnung, die aufs Schiffsdeck führte und steuerte darauf zu. Sie stieg die Stufen hoch und öffnete die Lucke. Ein Windstoß ließ ihre Haare fliegen. Der Geruch von Algen und ein paar Meerestieren stieg ihr in die Nase. Sie schmeckte Salz auf ihren Lippen. Meersalz.
Ein paar Minuten lang genoss sie die erfrischende Luft und den Geruch des weiten Ozeans.

Kate kletterte vorsichtig aus der Lucke und aufs Deck hoch.
Auf einmal bemerkte sie, dass ihre Bauchschmerzen verschwunden waren.
Ihr Kopf schien ebenfalls nicht mehr zu pochen.
Komisch, überlegte sie.
Wie war das möglich?
Jemand musste sich um sie gekümmert haben.
Kate lächelte. Peter. Nur er konnte es gewesen sein.

Sie atmete zufrieden ein und aus. Sie schaute in die Ferne und erblickte nichts außer türkis farbendem Wasser. Es sah schön aus, wenn es von der Sonne bestrahlt wurde, fand Kate. Ihr Blick wanderte weiter in Richtung des Kapitänsdeck. Sie erkannte ihren Vater.

Captain Blutsäbel guckte gerade durch sein Muschelfernrohr, als Kate zu ihm schlenderte. Sie ging nah an die Rehling heran und schaute aufs Meer hinunter. Sie entdeckte über einem Bullauge Umrisse des Namensschilds des Schiffes. "The lord of the seas".
Der Herr der Meere.

Im nächsten Moment hörte sie Pit etwas rufen. Er war der Ausguck und sein Platz war immer ganz oben im Mast des Schiffes.

"Schiff in Sicht!"

Captain Blutsäbel schien es ebenfalls gehört zu haben, denn er ließ sein Fernrohr sinken und warf einen Blick zum Mastkorb, in welchem Pit hockte. Kate erblickte nicht weit von ihm entfernt die wunderschöne schwarze Piratenflagge mit dem Totenkopf darauf. Jedem anderem Mädchen hätte sie wahrscheinlich Angst eingeflößt, doch Kate beeindruckte die Flagge wenig.

Sie hielt sich schützend die Hand an die Stirn, damit die Sonne sie nicht blendete. Ihre Augen fanden wieder Pit, der aufgeregt mit den Händen herum fuchtelte.
Sie hörte ihn erneut etwas rufen.

"Schiff hart Steuerboard!
Es ist The black face!"

Schlagartig begannen Kates Beine zu zittern. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter und sie ihr Herz begann augenblicklich zu rasen. Das schwarze Gesicht.
Es war mit The lord of the seas zusammen das gefürchteste Piratenschiff.

Es war ihr Partnerschiff, aber Kate hatte trotzdem schon immer großen Respekt, möglicherweise sogar ein wenig Angst, vor diesem Schiff gehabt.
Es wirkte auf sie noch bedrohlicher als ihr eigenes. Wieso sie so empfand, konnte sie sich nicht erklären.

Ihr Vater kratzte sich an seinem dunklen Vollbart.

"Volle Fahrt nach Mallenar. Dort treffen uns mit meinem Bruder. Captain Don blood."

Donald blood, genannt Don blood, war Kates Onkel.
Er war Captain der black face. Kate kannte ihn nicht wirklich gut. Sie hatte ihn erst ein einziges Mal gesehen. Doch schon damals hatte sie sich vor ihm gefürchtet.
Das lag vielleicht unter anderem daran, dass sie den Eindruck gehabt hatte, dass ihr Vater selbst Respekt vor seinem Bruder hatte.

Kate versuchte sich in Erinnerung zu rufen wie ihr Onkel damals, bei ihrer ersten Begegnung ausgesehen hatte.
Ein besonderes Merkmal hatte sie sich eingeprägt.
Die rechte Hand von Captain Don blood war nicht mehr vorhanden. Ihr Vater hatte ihr erzählt, dass sie von einem Soldaten der englischen Kavallerie mit dem Schwert abgehakt worden war.
Seitdem trug er statt der Hand einen Enterhaken als Prothese an seinem Handgelenk.

Hastig schüttelte Kate sich angeekelt.
Dieses Bild wollte sie schnell aus ihrem Kopf verschwinden lassen. Nur leider wusste sie, dass sie es bald erneut sehen würde.
Und dieses Mal würde sie es nicht nur als ein Bild aus ihrer Erinnerung sehen, sondern als Orginal in der Realität.

PIRATENTOCHTER  Ungewisse SchatzjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt