▪︎Kapitel 8▪︎

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Gewidmet Wolfswandlerin

Die Gefangenen

Mit einem roten Tuch in der Hand und ihrer ganzen Kraft, schrubbte Kate den Holzboden des Schiffdecks.
Sie hatte sich als Einzige freiwillig gemeldet, dass Schiff zu putzen. Kate musste sich ablenken und ihre Wut an irgendetwas auslassen.

Es war nun schon drei Tage her, dass das englische Schiff gesunken war.
Mit ihm Peter.

Am Anfang hatte Kate tatsächlich noch Hoffnungen gehabt, dass er es möglicherweise doch noch rechtzeitig auf die Black Blood geschafft hatte. Doch nachdem ihn niemand gefunden oder gesehen hatte, stand für sie fest, dass er sich nun mit dem englischen Schiff auf dem Meeresgrund befinden musste.
Wütend warf Kate das dreckige Tuch in den Wassereimer, der nicht weit von ihr entfernt stand.

Wieso hatte sie nicht schon beim Kampf auf ihn geachtet?
Warum ist sie nicht mit ihm in die Tiefe gezogen worden?

Seit den letzten drei Tagen hatte sie schon oft überlegt sich zu erschießen oder zu erstechen.
Schließlich war sie letzten Endes Schuld an dem Tod ihres besten Freundes.
Nur wegen ihr hatte er sich der Crew der Black Blood angeschlossen und so war es Kates Schuld, dass er sich auf dem englischen Schiff befunden hatte.

Ein anderer Gedanke hielt sie allerdings davon ab, sich ihr Leben zu nehmen.
Peter würde wollen, dass sie lebte. Kate spürte eine tiefe Wunde in ihrem Herzen, die nicht so schnell verheilen würde. Erst ihr Vater und jetzt Peter. Sie musste verflucht sein.

"Kate?"
Sie schreckte hoch.
"Ja?"
"Du sollst bei den Gefangenen weiterputzen hat der Captain gesagt."
Sie drehte sich zu der Stimme um. Der dicke Matrose gegen den sie bei ihrer Ankunft auf der Black Blood gekämpft hatte, stand lässig an die Rehling gelehnt.
Sie warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu, erhob sich und nickte.
"Ok."

Sie nahm den Eimer in die Hand und ging die Treppe zu dem Gefängnis hinunter.
Der Geruch von verfaulten Fisch und Alkohol stieg ihr in die Nase.
Zudem stank es fürchterlich nach dem Schweiß der Gefangenen.
Mit großen Schritten stapfte Sie die letzten Stufen der Treppe hinunter.

Als sie unten war entdeckte sie sofort hinter Gitterstäben ein Mädchen in ihrem Alter, einen Erwachsenen Mann mit edlen Klamotten und noch zwei ältere Herren von denen Kate nicht genau wusste, wo sie sie einordnen sollte. Ohne sich um die Gefangenen zu kümmern fing sie einfach an den verfaulten Boden mit dem nassen Tuch zu schrubben. Es standen keine Wachen in dem muffigen Raum, da die Piraten sich dicker fühlten und dies zurecht.
Die Gitterstäbe waren sehr gut eingebaut worden.
Kate war allein mit den Gefangenen.

Plötzlich sprach das Mädchen sie an.
"Du, Piratin. Du siehst etwas zutraulicher aus. Bitte. Ich bin am verhungern und verdursten.
Hilfe mir und vor allem meinem Vater. Wir sind nur unterwegs nach England gewesen.
Wieso haltet ihr uns gefangen? Wir haben doch nichts getan."

Wütend und zugleich genervt von dem Gejammer schmiss Kate das Tuch in den Wassereimer.
Das Wasser spritzte in alle Richtungen.
Kate hatte gelernt unter Angst, Schmerz oder Gefangenschaft nicht zu jammern. Sonst hätte sie ihre Ehre verloren. Dies hatte ihr Vater sie jedenfalls gelehrt. Sie hatte es selbst erlebt, wurde schon oft gefoltert und hatte dabei keinen Laut von sich gegeben.
Sie hatte Angst gehabt, dass ihr Vater sie sonst noch härter bestrafen würde.

Rückblick
Kate stand zitternd im Regen. Sie wurde von zwei starken Armen festgehalten. Rechts von Jake und links von Bill, zwei Matrosen der Crew ihres Vaters.
Ihr eigener Vater, Captain Blutsäbel, hatte ihr Hemd auf dem Rücken zerrissen.
Genau bei dem ersten Peitschenhieb ihres Vaters begann ein furchtbarer Sturm.
Der Regen prasselte auf ihre Haut, was sie noch mehr frösteln ließ.
Bei jedem Peitschenhieb zuckte ihr Körper mehr und mehr zusammen.
Bei dem fünften Schlag konnte sie den Schmerz nicht mehr unterdrücken und schrie auf.
Captain Blutsäbel war darüber so verärgert, dass er noch härter zuschlug.
Kate biss die Zähne zusammen und schaffte es tatsächlich noch weitere fünf harte Schläge ihres Vaters auszuhalten.
Nach dem zehnten Schlag hörte er endlich auf und ließ die Peitsche sinken.
Sie hörte wie er stolz sagte:
"Sehr schön. Aus dir könnte mal etwas werden, Kleine."

Kate erinnerte sich noch gut daran, wie Peter sich kurz danach um ihre Wunden kümmerte.
Als er die blutigen Striemen auf ihrem Rücken gesehen hatte, hatte er sich erschrocken und war nicht in der Lage gewesen etwas zu sagen.
Was Kate nicht gewusst hatte war, dass Peter sich innerlich geschworen hatte sie nie alleine zu lassen und zu beschützen bis zum Tod.

Kate starrte das Mädchen an.
"Es wird schon einen guten Grund geben wieso ihr gefangen gehalten werdet.
Piraten lassen normalerweise nur einen Überlebenden nach einer Plünderung damit dieser die Geschichte des grausamen Piratenschiffes weiter erzählen kann.
Warum ihr noch am Leben seid versteh ich auch nicht, aber es interessiert mich auch nicht. Hört einfach auf mich voll zu jammern. Ich kann und werde euch nicht helfen.
Ich mache hier nur meine Arbeit. Und denkt niemals nur, weil ich ein Mädchen bin, dass ich zutraulicher wäre!", schrie Kate das verzweifelte Mädchen an, welches daraufhin erschrocken von den Gitterstäben zurück wich.

Kate war lauter gewesen, als sie gewollt hatte und bemerkte, dass es ungerecht von ihr gewesen war.
Diese Menschen waren nicht so aufgewachsen wie sie und konnten nicht wissen, was die Piraten mit ihnen vorhatten. Geschweige denn wie lange sie noch leben würden. Sie empfand für den Bruchteil einer Sekunde Mitleid mit dem Mädchen.
Wie es so da saß, zusammengekauert in der Ecke in ihrem schönen, roten Kleid, dass nun dunkel und teilweise schwarz vor Dreck war.
Ihre blonden Haare waren verknotet und voller Dreck, ihre himmelblauen Augen waren trüb und ihre Haut war blass wie die eines Geistes.

Kate dachte kurz darüber nach, was sie für das Mädchen tun konnte, aber auf die Schnelle fiel ihr nichts ein.

Schließlich packte sie den Eimer und sprang mit großen Schritten die Treppe zum Deck hoch.
Sie fühlte sich verloren und alleine ohne Peter.
Normalerweise hätte sie ihm alles von den Gefangenen erzählt und ihm Fragen gestellt.

Aber er war nicht da. Sie musste von nun an alleine klar kommen.
Alles, was sie wissen wollte musste sie nun selbst herausfinden.
Verzweifelt flüchtete Kate vom Deck und raste in eine leere Schiffskabine.
Sie hatte nicht darauf geachtet, wem die Kabine gehörte, was sie vielleicht hätte tun sollen.

Doch so weinte sie in der Ungewiss und Ahnunglosigkeit ihren Schmerz in der Kabine aus.

PIRATENTOCHTER  Ungewisse SchatzjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt