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Jungkook's PoV.:

Ein warmer Windstoß streichelte durch mein Gesicht. Ich brummte müde, ehe ich meine Hand hob und mir über die Nase rieb. Meine Augen ließ ich dabei geschlossen. Ich wollte nicht aufwachen und feststellen, dass ich einen weiteren trostlosen Tag im Krankenhaus verbringen musste. Doch als ich plötzlich Vogelgezwitscher hörte, wurde ich aufmerksam. Das fröhliche Piepsen erklang in unregelmäßigen Abständen von allen Seiten. Als würde ein Vogel seinem Vogelfreund etwas zurufen und dieser würde über die Entfernung hinweg antworten. Kurz darauf streichelte wieder ein warmer Windstoß durch mein Gesicht und ich hörte die Blätter in den Bäumen rauschen. Es klang so friedlich. Ganz anders, als ich es aus dem Krankenhaus kannte.

Und da fiel es mir plötzlich auf: Die Geräte um mich herum, waren verstummt.

Ein eiskalter Schauer schüttelte mich wach. Ich riss die Augen auf und stellte entsetzt fest, dass ich nicht mehr in meinem Krankenbett lag. Über mir war nicht die langweilig weiße Zimmerdecke zu sehen, sondern Bäume. Ihre langen Äste erstreckten sich in schwindelerregender Höhe über mir. Das braun ihrer Blätter tanzte unter der strahlenden Sonne auf mich herab und ich hatte große Mühe, gegen die Helligkeit anzublinzeln. In meinem Unterbewusstsein suchte ich nach der Fernbedienung für mein Bett. Allerdings bekam ich nichts weiter als Laub und Erde zu fassen. Die Erkenntnis, dass ich wirklich und wahrhaftig in einem Wald gelandet war, brach über mich herein. Ich fragte mich, wie das möglich sein konnte. Immerhin konnte ich keine drei Schritte gehen, ohne dabei zusammenzubrechen. Selbst mit einem Rollstuhl, wäre ich niemals durch das dichte Unterholz gekommen. Das bedeutete, dass mich jemand getragen hatte, oder ich...

Ich war tot. Die Bäume, die Sonne und die Vögel – ich kam mir vor wie im Paradies. Vielleicht hatten sie die Geräte ausgeschaltet, während ich schlief. Immerhin war das mein Wunsch gewesen. Aber konnten sie das einfach so tun? Noch dazu, während ich schlief? Hatten meine Eltern wirklich zugelassen, dass man mir im Schlaf meine lebenserhaltenden Geräte entzog? Ich konnte es mir kaum vorstellen. Selbst nach unserer Versöhnung, hätte meine Mutter das niemals zugelassen. Sie hätte mich noch ein letztes Mal sehen wollen, bevor ich ging. Sie hätte mir gesagt, wie sehr sie mich liebt und wie stark ich bin. Dann hätte sie mich in ihren Armen gehalten und nicht mehr losgelassen. Also vielleicht war ich gar nicht tot. Vielleicht träumte ich auch einfach nur.

Ich nahm einen tiefen Atemzug. Die frische Luft füllte meine Lungen und brachte sie fast zum Explodieren. Es roch nach Erde und Hartz. Ich blinzelte in die braunen Baumkronen hoch, neigte den Kopf zur Seite und starrte dann auf das viele Laub. Meine Finger streckten sich automatisch danach aus und als ich mit einer Hand zu griff, raschelte und knisterte es laut. Ich konnte die harten Stängel und beinahe jedes einzelne Sandkorn auf meiner Handinnenfläche spüren. Ein neuer Windstoß kämmte durch meine Haare und dieses Mal spürte ich ihn auch an meinen nackten Füßen. Als ich den Kopf hob, um an mir herab zu sehen, stellte ich fest, dass ich immer noch meinen Schlafanzug trug. Er bestand aus einer kurzen schwarzen Hose und einem Merchandise T-Shirt von Iron Man. Auf meinen Beinen hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Ich blickte zurück auf meine Hand und ließ das darin zermalmte Laub zu Boden rieseln. Dann nahm ich mir Neues. Überraschenderweise hatte ich ziemlich viel Kraft in den Fingern. Ich konnte sie so stark zusammendrücken, dass die Knochen auf meinem Handrücken weiß hervortraten und ich fragte mich insgeheim, ob ich diese Kraft auch für meine Beine aufwenden konnte.

Ich versuchte mich aufzusetzen. Hingegen meiner Erwartung, dass ich das altbekannten Stechen in meinem Rücken spüren würde, passierte nichts. Ich konnte sogar mein rechtes Bein anwinkeln. Ohne Schmerzen, ohne Widerstand. Ich winkelte auch das andere Bein an und streckte dann beide gleichzeitig wieder aus, um mit den Zehen zu wackeln. Der Schmerz war weg, als hätte es ihn nie gegeben. Als hätte ich nicht meine ganze Kindheit und Jugend immer wieder in einem Krankenhaus verbracht, um den Krebs, der sich seit meinem dritten Lebensjahr durch meinen Körper fraß, zu besiegen.

My Time // TaeKookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt