Kapitel 15

1.5K 86 1
                                    

Nach dem Abendessen sitzen Etienne und ich am Steg, während die anderen eine Runde Tabu spielen. Ich habe mich direkt abgekapselt und Etienne ist zu nett, um mich allein zu lassen. Wir haben unsere Beine im Wasser und mein bester Freund erzählt, wie er und Mika heute gar nicht als Team funktioniert haben. „Eure Gedankenmuster müssen sich einfach noch aufeinander abstimmen", versuche ich ihn aufzumuntern, muss aber leicht lachen dabei. Er seufzt und grinst dann leicht: „Bei euch hat das ja scheinbar super funktioniert." Ich verdrehe die Augen, weil ich nicht wieder an Helena denken wollte. Etienne mustert mich und stupst dann mein Bein an: „Gib es zu, du findest sie gar nicht so scheiße." Genervt spiele ich an einem meiner Armbänder herum und erwidere: „Nach heute finde ich sie richtig scheiße." Er schmunzelt nur und wirft einen Stock in den See, an dem er bis eben herumgekratzt hat. „Ich glaube es tut dir gut, wenn dich mal jemand nervt, anstatt dir zu Füßen zu liegen", sagt er und grinst dabei schelmisch. Ich schüttele lachend den Kopf und stoße mit meiner Schulter gegen seine. Er schubst zurück und es dauert nicht lange bis wir beide im Wasser liegen und uns gegenseitig versuchen unterzuducken. Ich bin froh, Etienne zu haben, aber ich bin auch froh, wenn er aufhört über mein Liebesleben nachzudenken. Ich weiß selbst, dass ich immer nur falsche Entscheidungen in der Vergangenheit getroffen habe. Ich habe mir immer irgendwelche Mädchen gesucht, die mich bewundert haben und sie dann nach einer gemeinsamen Nacht nie wieder angerufen. Jetzt habe ich schon seit knappen zwei Jahren niemanden mehr abgeschleppt und hatte nur kurz etwas mit einem Mädchen, dass in unserem Ort Urlaub gemacht hat. Helena passt nicht in mein Beuteschema, weil sie viel intelligenter ist, aber ich brauche mir auch nicht einzureden, dass sie deswegen weniger reizvoll sei. Ein kleiner Teil von mir liebt es, diese Herausforderung anzunehmen, das spüre ich genau. Bisher überwiegt zum Glück der Teil, der mir sagt, dass es mir Probleme einbringen würde und es ein Fehler wäre. Außerdem kann ich mir noch gut einreden, dass sie eine langweilige Zicke ist, solange ich nicht genauer darüber nachdenke.

POV Helena

Ich verabschiede mich wieder als erstes am Abend, um hochzugehen, weil ich allein sein möchte. Der Tag hat mich mitgenommen und ich fühle mich beschissen. Die anderen sagen mir nett gute Nacht, nur Kyle folgt mir nach drinnen. „Hey warte mal", sagt er, doch ich ignoriere ihn und will die Treppe hoch gehen. „Helena, warte. Was ist los?", fragt er und hält mich an meinem Arm fest. Ich verdrehe die Augen und drehe mich zu ihm: „Was soll schon los sein? Mama und Papa schicken mich mit dir und deinen Freunden hierher, obwohl sie genau wissen, dass es der Horror für mich ist. Ich kann den ganzen Sommer kein Klavier spielen und muss stattdessen mit Leuten meine Zeit verbringen, die mich nicht mal leiden können." Meine Stimme wird lauter, aber es ist mir egal: „Nur weil du hier deine tolle Zeit hast, heißt es nicht, dass sie mir damit nicht alles wegnehmen, was mir lieb ist." Kyles Gesichtsausdruck wird weicher und er seufzt. Ich weiß, dass es falsch ist, ihn für die Aktion meiner Eltern anzumachen. Schließlich wollte er mich ganz sicher auch nichthier dabei haben. „Sie sind nicht so herzlos wie du denkst", sagt er und zieht mich an meiner Hand durch den Raum. Ich will mich wehren, doch er ist zu stark, sodass ich es aufgebe. Vor dem Berg aus Schrott, über dem teilweise Laken hängen, bleibt er stehen und ich runzele fragend die Stirn. „Niemand will dich deiner Leidenschaft berauben", sagt Kyle und zieht mit einem Ruck eines der Laken zur Seite. Zum Vorschein kommt mein altes Klavier, von dem ich dachte, wir hätten es weggegeben. Meine Augen weiten sich und ich spüre förmlich meine Hände kribbeln. „Du kannst es jederzeit benutzen", sagt Kyle und lächelt mich an. Gegen meinen Willen zeichnet sich auch auf meinem Gesicht ein kleines Lächeln ab, doch es verschwindet, als Etienne und Mika hereinkommen. „Krass, kann jemand spielen?", fragt Mika, als er das Klavier sieht. Kyle schaut mich fragend an, doch ich schüttele sofort den Kopf und drehe mich um, um die Treppe hochzulaufen. Ich würde gerne spielen, aber sicherlich nicht vor den anderen. Seit meine Oma tot ist, spiele ich nicht mehr vor anderen, nicht mal vor meinen Eltern. Ich weiß, dass das nicht gut sein kann im Hinblick auf meine Zukunft, aber ich bringe es einfach nicht über mich. Das Klavier ist mein Rückzugsortund den möchte ich mit niemandem teilen. Ich will die Treppe hochlaufen, doch Ashley stellt sich in meinen Weg. „Du spielst doch, oder nicht?", sagt sie und sofort erhöht sich mein Puls. Mittlerweile sind alle hereingekommen, doch zumindest scheinen sie, Ashleys Frage nicht gehört zu haben. „Manchmal", murmele ich deswegen nur und will mich an ihr vorbeizwängen, doch sie hält mich fest.

„Leute, Helena...", will sie sagen, doch kommt nicht weiter, weil ihr jemand dazwischenredet. „Schuldet mir noch etwas wegen der Olympiade", sagt Yuna und drängt sich schnell zwischen mich und Ashley. Sie legt mir ihren Arm um die Schulter und ich bin zu überrascht, um mich dagegen zu wehren. Ich folge ihr, als sie mich mit sich nach draußen zieht und damit aus der Situation rettet. Kaum sind wir vorm Haus und außer Sichtweite der anderen lässt sie mich los und streicht sich durch die Haare. Ich richte mich leicht auf und mustere sie, weil ich nicht einschätzen kann, wie sie zu mir steht. Ich weiß ganz genau, wie scheiße ich mich heute verhalten habe und dass sie jedes Recht dazu hat, sauer auf mich zu sein. Ich habe sie hängen lassen und war dann auch noch zu feige, es ihr zu erklären. Das liegt allerdings nur daran, dass ich genau weiß, dass sie es nicht verstehen wird. Ich seufze und reibe mir über meinen Arm: „Danke." Yunas Blick trifft kurz meinen und sie zuckt die Achseln. Dann lässt sie mich stehen und läuft über die Wiese herunter zum See. Kurz bleibe ich unschlüssig stehen, dann laufe ich ihr aber doch nach. Ich will es nicht so stehen lassen und die Möglichkeit zerstören, dass wir uns verstehen könnten. Noch immer schüchtert Yuna mich ein, aber heute habe ich auch gemerkt, dass sie echt nett sein kann. Ich kann mir sogar vorstellen, dass ich mich in ihrer Nähe wohlfühlen könnte.

My hardest riseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt