Kapitel 10

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Mit skeptischem Blick betrachtete ich mich im Spiegel. Das Oberteil des Bikinis bedeckte zum Glück relativ großzügig meine Brüste, doch dafür hatte man anscheinend bei der Hose deutlich an Stoff gespart.

Während das Nötigste verborgen wurde, war der Rest des Materials in dünne Schnüre verwandelt worden, die sich nun um mein Becken und meine Hüfte schlängelten. Normalerweise hatte ich kein Problem mit Freizügigkeit, doch ich konnte mir denken, was Malikov damit beabsichtigte.

Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare. Nachdem Enzo in mein Zimmer gekommen war und mich zur Schnecke gemacht hatte, war mir nichts anderes übrig geblieben. So langsam verlor ich auch die Kraft dafür, mich gegen ihn aufzulehnen. Ich hatte mit jedem Mal mehr Angst, dass er gewalttätig wurde und deshalb beschlossen, einfach die Klappe zu halten. Mehr, als es über mich ergehen zu lassen, konnte ich im Moment nicht tun.

Hoffentlich würde er mich in Ruhe lassen, nachdem wir Nikolaj erledigt hatten.

»Kenna, bist du fertig?« Ricardos gedämpfte Stimme ertönte hinter der Tür, nachdem er leise angeklopft hatte. »Enzo möchte los.«

Malikovs Mann war nicht nur geschickt worden, um diesen spärlichen Bikini zu überreichen, für den mich Gott wohl irgendwann noch bestrafen würde, sondern auch, um uns darüber zu Informieren, dass Nikolaj mit seinem Schiff 11 Uhr aus Porto Cervo auslaufen wollte. Da er mir gestern überdeutlich gezeigt hatte, dass er es missbilligte, wenn man gegen seinen Willen handelte, blieb mir nichts anderes übrig als mitzufahren.

Während ich mich noch ein letztes Mal im Spiegel betrachtete, sah ich, wie in mir etwas umschaltete – noch eher, als ich es fühlte. Als zöge sich eine riesige Mauer aus Eis um meinen Verstand und mein Herz. Jeder Muskel in meinem Gesicht setzte sich an seine Position, um zu einer distanzierten Miene zu gefrieren. Bereit dazu, jeden Mann zu brechen, der mir wehtun wollte.

Als das Klopfen noch einmal ertönte, riss ich mich von meinem Anblick los und spürte, wie mein ganzer Körper wieder mit einer Macht geladen war, die nur ich unter Kontrolle hatte – keiner sonst.

Ich lief zu meinem Bett, zog meine High Heels an und griff nach der weißen Tunika, die ich mir zurechtgelegt hatte. Während ich die Tür öffnete, warf ich mir den löchrigen Stoff über und sah in Ricardos verblüffte Miene. Ohne ein Wort zu sagen, schob ich mich an ihm vorbei und lief zum Heck.

Enzo wartete bereits im Wagen, der uns zu Malikovs Yacht bringen sollte. Ich ließ mich schweigend auf den Sitz der Rückbank gleiten, während sich mein Bruder zu mir nach hinten drehte. Er musterte mich zufrieden.

»Na also, geht doch ...«, sagte er und grinste.

Ich erwiderte nichts darauf. Er würde seine Abreibung schon noch bekommen, ich wusste nur noch nicht, wie ich das anstellen sollte.

Nur drei Minuten später hielt Ricardo vor unserem Ziel. Er stieg aus, öffnete die Wagentür und half mir aus dem Auto. Ich lächelte ihn dankbar an. Er war der einzige, der meinen stillen Zorn nicht zu spüren bekam, denn er war der Einzige, der mich nicht wie sein Eigentum behandelte.

Bevor wir das riesige Schiff des russischen Mafiabosses besteigen konnten, wurden wir von seinen Männern erneut auf mögliche Waffen untersucht. Ich fragte mich wirklich, wo ich ein Messer, geschweige denn eine Pistole hätte verbergen können. Die Tunika verschleierte nicht gerade den Blick auf meinen Körper und in dem knappen Höschen meines Bikinis wäre so etwas wohl ziemlich schnell ins Auge gefallen.

Nachdem ich die Prozedur über mich ergehen lassen hatte, wurde mir und meinem Bruder an Bord geholfen. Ricardo musste zu meinem Bedauern an Land bleiben – auf Malikovs Anordnung hin. Zwar gefiel mir das gar nicht, denn nun waren Enzo und ich unserem Feind völlig schutzlos ausgeliefert, doch ich hoffte darauf, dass er mich zu sehr begehrte, als mich einfach so umbringen zu wollen.

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