Fleur Dubois VIII

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In der vorherigen Nacht hatten Fabrice und ich angeregt  diskutiert. Ob es nicht sinnfrei wäre, wenn ich verkleidet, aber immer noch als Frau, in die Bibliothek ginge, wo er doch ohnehin als Mann Zugang gehabt hätte.

"Brice, in meinem ganzen Leben hatte ich nie die Chance gehabt, hat sich nie die Gelegenheit ergeben, dass ich als Frau jemals eine Bibliothek von innen sehen könnte."

"Ich will nur nicht, dass dir etwas zustößt", hatte er darauf geantwortet.

Damit lag er nicht ganz falsch. Sollten wir erwischt werden, konnte das im Kerker enden. Dennoch ging es um meine Eltern. Ich konnte, wollte nicht locker lassen.
Die emotionale Ebene schien nicht unbedingt Anklang bei ihm zu finden, weshalb ich es mit dem praktischen Aspekt versucht hatte.

"Zudem bin ich des Lesens mächtig, weshalb mich erstens niemand für eine Frau halten würde und zweitens wir schneller fündig würden."

Ihm war anzusehen gewesen, wie er mit sich rang und diverse Szenarien durchspielte.

Um so glücklicher machte mich jetzt, dass er gestern Abend nach langem Einreden nachgegeben und meinem Plan zugestimmt hatte.
Heute noch würden Brice und ich unser Vorhaben umsetzen und die Regale nach Büchern über meine Eltern und die Krone durchforsten.

Entsprechend hibbelig war ich schon den ganzen Morgen. Das störte grandmère nicht weiter, da sie  felsenfest davon überzeugt war, dass ich gerade auf der siebten Wolke davon flog.
Zumindest musste ich mein Verhalten so nicht rechtfertigen.

Die Zeit verstrich in fliegender Eile, und nein, ich befand mich nicht auf der siebenten Wolke - während Fabrice mich in meiner Pause zur Mittagsstunde am Eingang erwartete.

Grandmère war auch darüber nicht verwundert, denn Liebende verbrachten bekanntlich jede freie Minute miteinander, wie sie stehts ihre Weisheiten kund gab. Wir waren gerade am gehen, als Camille unseren Weg kreutzte.

"Bonjour, ma dame, monsieur."
Fabrice gegenüber war er seit dem Vorfall bei der fête disantzierter, daran erinnerte ich mich. So langsam kehrte die Erinnerung wieder.
Mir hingegen schenkte er ein warmes Lächeln.

"Formules de politesse, Camille." - sei gegrüßt Camille.

"Was gedenkt ihr in der Pause zu tun?", fragte der Alte neugierig.

"Wir werden etwas unternehmen, einen kleinen Spaziergang machen.", wich Brice gekonnt aus. Um noch überzeugender und authentischer zu wirken, nahm er meine Hand und legte sie in seine Armbeuge, sodass auch für Außenstehende sichtbar war, dass wir zusammengehörten. Zumindest zusammen unterwegs waren.

"Na, dann möchte ich euch nicht weiter aufhalten."

"À plus!"

"Bis bald!"

Brice verlor keine Zeit mit Nettigkeiten und manövrierte uns zügig in eine schmale Gasse, in der wir als Kinder oft gespielt hatten.

"Zunächst müssen wir dich etwas umgestalten."

Zunächst konnte ich ihm nicht folgen, bis mir der Gedanke der Verkleidung in den Sinn kam.

Nach einer weiteren Abbiegung waren wir schon da und betraten das bäuerliche Fachwerkhaus, in dem Fabrice ein Zimmer hatte.

Die schwere Tür quietschte und ich  stellte kichernd fest, dass der Türrahmen genau so niedrig war, wie der zu meinem Kämmerchen.
Ganz vornehm ließ Brice mir den Vortritt. An sich war das Zimmer nicht außergewöhnlich und auch optisch gab es keine großen Unterschiede zu meinem. Doch die Gewissheit, dass Fabrice hier lebte, machte das Zimmer auf eine gewisse Art interessant. An diesem kleinen Holztischchen musste er sitzen, wenn er aß. Dieser Blick aus dem Fenster war jeden Morgen das erste, was er sah. Und in dieser Truhe musste er seine Kleidung und seine Wertsachen aufbewahren. Ob er sie wohl selbst beschnitzt hatte?

Fleur DuboisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt