Fabrice entging mein Stimmungswechsel nicht, er folgte meinem Beispiel und stand auf.
"Komm, lass uns dafür an die frische Luft gehen. "
In schwerwiegender Stille gingen wir durch das große Tor und lehnten uns in der kühlen Abendluft an das hölzerne Geländer der Brücke.
"Du erinnerst dich nicht mehr an gestern, nicht wahr?"
"Ich wusste, ich hätte diesen verführerisch duftenden Punsch nicht trinken sollen-"
"Schlag keine großen Wellen, immerhin ist meine Willigkeit alkohlresistent."
Über seine Wortwahl musste ich leicht schmunzeln. Schon immer war er es von uns beiden gewesen, der einen kühlen Kopf behielt, während ich mich eher Hals über Kopf in Dinge stürzte. Oder aus dem Fenster, wie zuvor.
"Weshalb trägst du kein Windlicht bei dir?", bemerkte Fabrice da auch schon, als wäre er fähig gewesen, Gedanken zu lesen.
"Durch den Flur konnte ich das Haus nicht verlassen, die alten Dielen knarren viel zu sehr und hätten grandmère aus dem tiefsten Schlaf geholt. Somit blieb mir nur das Fenster aus meinem Kämmerchen."
"Du bist doch nicht etwa gesprungen?" Fassungslos starrte er mich an.
"Tatsächlich schon.", antwortete ich wahrheitsgemäß, als ich mir seiner Worte klar wurde.
"Woher-" Viel weiter kam ich nicht, denn sein spitzbübisches Grinsen unterbrach mich.
"Als kleiner Schelm hatte ich mir einige Gedanken gemacht, wie ich Zeit mit meiner Fleuron verbringen könnte. Eben auch für den Fall, dass du wieder für meine Streiche büßen müsstest und unter Arrest stündest."
Verblüfft sah ich ihn an.
"Es gab leider keine Rosenranken oder etwas ähnliches.. und gute Klettermöglichkeiten sah ich in dem schmalen Randstein um das Fenster nicht wirklich, weshalb du nie einen unangekündigten Besucher zu Gast hattest."
Gelassen zuckte er die Schultern.
Mit neunzehn Jahren und Gedanken, die dem Alter eines Achtjährigen entsprachen, der sich für einen Musketier hielt."Du verstehst es noch immer, mich zum Staunen zu bringen.", so viel musste ich ihm lassen.
"À propos erstaunlich, entsinnst du dich noch an Camilles Wort im Bezug auf unsere Väter?"
"Nicht ein einziges.", gestand ich.
"Er redete davon, dass mein Vater deinen erpresst habe - wenn Théodore nicht ginge, würde er nicht nur deine Mutter, sondern auch dich verlieren. Er setzte also Camille als seinen Stellvertreter für seine Abwesehenheit ein. Camille beteuerte, dein Vater sei ihm ein guter Freund gewesen und er hätte deinen Eltern geholfen, mit Florolagrafie, oder etwas dergleichem, Treffen zu arangieren."
"Florographie?"
"Genau, das sagte ich doch. Welch ein wundersames Wort-"
"Meine Mutter hatte mich als Kind die Bildsprache der Blumen gelehrt!"
"Et j’avais toujours pensé que la fleur était tout simplement belle."
Und ich hatte immer geglaubt, die Blume sähe nur schön aus.Genau hörte ich nicht hin, viel mehr ging ich die Blumen und ihre Bedeutungen durch.
"Die Kamelie ist ein Symbol der Bewunderung. Die weiße Rose wird zu Trauerbekundung und zur Verlobung verschenkt. Die rote Rose gilt als Liebeserklärung, und in gelb verschenkt man sie, um jemanden um Verzeihung zu bitten."
Vor meinem inneren Auge bildete sich eine Szenerie, in der meine Eltern die Hauptrollen belegten und ihre Zänkereien und Turteleien durch Blumen kundtaten. Ihre Treffen fanden in meiner Vorstellung während Heiraten oder Beisetzungen statt - dort, wo man sich gut verabreden könnte, viele Menschen waren und keine von Skepsis und Argwohn belegten Fragen gestellt wurden.
Camille übernahm die Rolle des Boten und ließ entweder meiner Mutter, oder meinem Vater die mit Bedacht gewählten Blumen zukommen.
Schließlich war mein Vater nicht nur ein in hohen Kreisen ein geschätzter Professor gewesen, sondern auch einer der Prinzen von Frankreich. So einfach war es da nicht, mit einem Dorffräulein ein rendez-vous zu haben.
Von der Machtposition meines Vaters wusste Fabrice jedoch nichts. Und ich setzte alles daran, dass es dabei blieb.
Deshalb blieb ich auch bei meinem Vortrag über Blumen und die geeigneten Anlässe.
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Fleur Dubois
ChickLit"Erschlagen von der Mächtigkeit meiner Gefühle, die mich durch und durch zu kontrollieren schienen, ließ ich das Gemälde los. Lautlos segelte es zu Boden und verschwamm mit Erinnerungen aus meiner Kindheit zur Zeit dessen, als meine Mutter noch hie...