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Caramel

«Wie lange habe ich noch Zeit?»
Heute habe ich die Kenntnis bekommen, dass mein seelisches Elend ein Ende haben wird.
Paradox dass ich genau das anstrebe, aber unglaubliche Angst hatte, diese Wörter auszusprechen, die auf meiner Zunge lagen.

Ihre Intention, die hinter ihrer, mit meiner, verschränkten Hand, mir als Stützte zu dienen; geht zu Nichte. Als wäre es ihr Sterbenswunsch mir ihre Wärme zu geben und bei mir zu sein, kommt niemals bei mir an.
Dafür ist das Schwarze meiner Seele mit einzelnen Satzfassaden zu sehr gewachsen.

«Zwei Jahre.»
Messerscharf. Keine Verzögerung. Kein Stottern. Nicht ein einzelner Funken von Emotion widerspiegelt sich in seinen Augen wider.

Er vollführt seinen Job prächtig.
Verlorene Hoffnung, die manch einer an seiner Stelle gegeben hätte, zieht er nicht einmal in Betracht und legt mir glasklar das Rationale vor Augen.

Selbst der Betrachter dieses Geschehens repliziert mehr, als die Betroffene selbst. Ihr Druck um meine Hand wird zunehmend stärker und ihr Wasserstau zeigt langsam ihre hinter Fassaden versteckte Schwäche.

«Mrs Moor.»
Der Klang seiner Stimme versetzt mich in die Realität zurück und mir wurde zeitgleich bewusst, dass ich hier die Betroffene bin. Nicht meine Begleitung Hera und auch nicht der gynäkologische Onkologe. Ich bin hier ein Hauptcharakter einer Tragödie.
Anblick des Betrachters, wenn man es so sieht.

Für mich ist es eine Befreiung.

«Radiotherapie [...].»
Fakten sind das Einzige aus seinem Mund, die mich erreichen, aber nicht wahrgenommen werden. Dafür bin ich viel zu fasziniert von seiner direkten Art.

Ich habe auch einen Traum.
Ich will auch etwas werden.
Mein Freudenschrei, als ich an der hoch renommierten Universität angenommen wurde, um mein Zukunftsbild zu perfektionieren. Meine Trauer, als er wieder nicht kommen konnte, um mich zum Laufsteg zu begleiten, damit ich mein Zertifikat abholen konnte.
Das nächtelange Arbeiten an meinen Design's, um ihnen zu zeigen, dass sie ihre Entscheidung, mich angenommen zu haben, nicht bereuen werden.

War das alles umsonst?
Die Rethorik dieser Frage ist schon so feste definiert, dass es lächerlich ist, diese Frage zu stellen. Natürlich war es umsonst.

«Danke für die Auskunft.»
Ein innerlich zerbrechendes Kind. Ich zerbreche mit jeder Gestik, mit jeder Mimik, mit jedem Wort, das als Echo wieder gegen meine Ohren hallt.

Eine Verabschiedung bringt nichts, weil es früh genug kommen wird.
Eine Verabschiedung von all der Last und dem Leid, den ich bisher getragen habe.
Ich werde meine Freiheit bekommen. Bald.

Seelenlos betäubt die surreale Situation meine Sinne und meine einzige Wahrnehmung besteht aus einem Bild von fließenden Tränen und einer unerwiderten Umarmung von Hera.

Bewegende Lippen, zweifellose Blicke und eine hilfeschreiende Seele prägen sie.
Sie reagiert und ich bin nur ein Betrachter meiner selbst.

Es war falsch sie mitzunehmen. Aber hatte ich eine andere Wahl?
Mein Freundeskreis definiert sich einzig und alleine von zwei Existenzen.
Hera und Ayla.
Ayla, die uns damals verlassen musste.

Ihr Schleier des Mitleids und der selbst-Demütigung nimmt langsam ihr Ende und auch sie nimmt mein Ebenbild der Emotionslosigkeit an.

Nebeneinander laufen wir über die Boulevard, die meinen Alltag begleitete.
Bald bist auch du kein Teil mehr meines Leben's.
Eine Person weniger, die ihre Last auf dieser Straße teilt. Eine Person weniger, die ihre Tränen auf diese Straße fließen lässt.
Ein Nachtspaziergang weniger.

«Sag es nicht meiner Mutter.»
Meine Kehle fühlt sich leer und trocken an. Meine Gelenke zittern den Frust weg und mein schwacher Körper zeigt seine Symptome.
«Sie soll es nicht erfahren. Sonst wird sie erneut zusammenbrechen.»

Außer einem Wimmern, bringt sie nichts raus. Sie kann nicht. Eine Träne und wir würden gemeinsam mittig in der Außenwelt Arm in Arm einnicken.
Aufgeben.
Nein. Das passt nicht zu uns.

«K-Koko. Du- Deine Beine. Kannst du- Soll ich-» Ihre Unfähigkeit einen Satz zu bilden, verdeutlichte die Situation, in der wir uns - ich mich befinde.

Die unerträglichen Schmerzen schenke ich keine Beachtung und führe unseren Weg fort.
Nicht mehr weit und ich würde Zuhause sein. Bei meiner Mutter.

«Ganz langsam.», dringt eine Stimme in mein Bewusstsein ein.
Eine fremde Berührung an meinem Arm, der mich davon abhielt zu stolpern.
Eine kleine Geste, die in allerlei Hinsicht selbstverständlich ist, hat zu einer tiefen Berührung meines Inneres geführt.

«Ist alles in Ordnung mit euch?»
Der rauchige Stimmton und die wärmeschenkende Berührung distanzieren sich einige Schritte, bis Grüne auf meine feuchten, eisigen Augen treffen.

Nicht in der Lage einen Ton hervorzubringen, kommt der Druck meiner bebenden Unterlippe vor und vereinzelnd laufen mir ungewollt Wassertropfen runter.
«Verzeihung. Meine einzige Absicht war dir zu helfen. Ich wollte keine Grenzen überschreiten.»
Er rechtfertigt sich.
Eine Rechtfertigung, weil er mir geholfen hat.

Weder Hera noch ich bringen einen Laut raus. Wir können nicht.
Die Stille unseres Selbstmitleid's hat die Dominanz über unser Handeln.

Ohne einen Dank aussprechen zu können, verlässt auch er uns und lässt uns, mit unserer Last alleine.

Zwei Jahre.
Ich habe zwei Jahre zu leben.

@Caramel

@Caramel

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A/N:

Mir hat der Verlauf nicht ganz gefallen von den alten Kapiteln.
Das gefällt mir schon besser. Hehe.

𝐈𝐧 𝐲𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐞𝐝𝐮𝐜𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt