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Caramel

«Hera?»
Als ich endlich meinen Schwarzschopf erblicke, lasse ich meinen Vater stehen und renne die Schritte zu ihr, weil ihr Verschwinden eine enorme Leere hinterlassen hat. Auch wenn es nur für einen Tag war.

«Oh Gott Caramel! Endlich habe ich dich.» Sofort umschließt sie mich in ihre Arme und schließlich kann ich die Zuneigung, die ich brauche und weder von meinem lang ersehnten Vater noch von meinem Bruder bekam, bekommen.

«Koko t-tut dir irgendwas weh? Du bist extrem blass und oh Gott dein- Du- Deine Haut. Deine Lippen. Du hast deine Chemotherapie verpasst! Weißt du wie selbstlos das ist!» Sie nimmt meinen Kopf unter ihr Kinn und umarmt mich.

«Ich kann mich nicht an viel erinnern Hera. Ich glaube, dass ich einen Unfall hatte. Das erklärt auch meine Kopfwunde.» Kaum die Wörter ausgesprochen, fasst sie an meinen Kopf und schon spüre ich den eindringenden Schmerz und feuchte Tränen auf meiner Kopfhaut.

«Es ist alles meine Schuld. Ich musste auf dich aufpassen. Ich- Du hast doch... Scheiße. Ich habe mir den Kopf zerrissen Caramel. Ich dachte- Ich dachte... Verdammt ich habe gedacht, dass dir etwas anderes passiert ist!»

Erneut nimmt ihre Haltung eine schwache ein und ihr Druck um meinen Körper nimmt zu. «Als ich dich angerufen habe, ging eine andere Person ran und meinte du seist nicht mehr ansprechbar. Wenn ich diesen Bastard finde, dann fi-»

Ich huste absichtlich etwas lauter, weil mein Vater immer noch hinter uns standhaft am Beobachten ist und ich nicht will, dass er ein falsches Bild von ihr hat. Ihr Sprachgebrauch ist nicht sehr formell, aber als Person ist sie perfekt.

«Hera mein Dad beobachtet uns. Hinter mir.» Ich hatte wirklich nicht eine weitere Sekunde Zeit, da stand sie schon vor mir und hatte ihre Hand fest um meine umgriffen.
Sie beschützt mich.
Beschützt mich vor ihm.

Sie gibt ihm die Schuld an unserer mentalen Lage. Seit meine Mutter und ich nicht mehr durch eine Männerfigur unterstützt wurden, waren wir gezwungen diese Rolle zu übernehmen. Es war schwer.

Anmachsprüche an meine Mutter, Bedrängungen von alkoholisierten Menschen und Lästereien der Nachbarn.
Hera hasst diesen Mann.
Meinen Vater.

Aus diesem Grund steht sie vor mir und lässt mich nicht selbst handeln. «Was sucht er hier? [...] Koko wir gehen.» Sie umschließt ihre Hand enger mit meiner und greift mit der anderen freien Hand nach ihrem Koffer, den sie mit sich schleppt.
Jedoch löse ich mich leicht von ihr.

«Hera. Er ist mein Vater. Du weißt, dass er nicht in Verantwortung gezogen werden kann, weil es seine Aufgabe ist anderen Menschen zu helfen.» Energisch lässt sie ihren Koffer auf die Straße fallen und sieht extrem angespannt nach hinten zu meinem Vater.

«Es ist mir scheiß egal, was er sonst noch macht! Von mir aus kann er Waisenkinder adoptieren und ihnen ein Zuhause geben, aber er hat verdammt nochmal eine Familie Caramel!» Sie wedelt aggressiv mit den Armen umher und fasst fester um meinen Arm.

«Er hat hier eine scheiß Verantwortung, die er nicht getragen hat. Er hätte sich das vorher überlegen sollen, bevor er deine Mutter geliebt und dich erzeugt hat! Er hat sich danach verpisst und deiner Mutter die ganze Last übertragen. Weiß dein scheiß Erzeuger überhaupt, dass du unheilbar krank bist!» Je mehr sie sagt, desto mehr füllen sich meine Augen.
Ich weiß, dass sie mich nicht verletzen will, aber genau das tut sie gerade.

Sie hat recht.
Mehr als das.
Aber er ist mein Vater, den ich über Jahre vermisst habe.
Ich kann es nicht riskieren, die Zeit, die ich ihn sehe für Streitereien zu nutzen.
Ich kann es nicht.
Dafür sehe ich ihn viel zu wenig.

𝐈𝐧 𝐲𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐞𝐝𝐮𝐜𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt