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Ich habe mich wie die Schuldige gefühlt, die ihre Unschuld beweisen wollte.

Caramel

«Es wäre schön, wenn du beim nächsten Mal bei Bewusstsein wärst.»

Eine Stunde zuvor
Dona*; 09:13 Uhr

«Ich flehe dich an. Stell mit mir an, was du willst, aber-» Ein humorloses Lachen ertönt in diesem schalldichten Raum und das Ende der Waffe wird nur noch mehr gegen ihre Schläfe gedrückt.

«Lass sie gehen?» Beendet er meinen Satz.
Bei seiner Stimmlage und dem belustigten Unterton, erlisch die letzte Hoffnung hier zu überleben.

Als über meine neu aufgeschlitzten Wunden am Rücken ein Eimer Salzwasser gekippt wird, presste ich meine Zähne zusammen, um keinen Schmerzensschrei von mir zu geben.
Ich muss das aushalten, damit es meiner Mutter wohl geht.
Ihr bewusstloser Körper, unter den Füßen dieses Mannes, raubt mir die letzte Energie meines Leibes.

Ich bin eine Unterworfene.
Eine Marionette.
Eine Schachfigur in einem Brettspiel, deren Elend schon von Anfang an geplant ist.
Und das, weil er sie hat.
Das einzig Bedeutende in meinem Leben.
In meinem erbärmlichen, nutzlosen Leben. Meine Mutter.

Mein Vater und mein Bruder haben mich oft genug mitgenommen zu ihrem Trainingsplatz. Sie haben mir gelehrt, wie ich hätte reagieren sollen, wenn ich in ein Notfall hineingerate.
Meine Mutter hingegen hat mir ihre Sensibilität eingeprägt und mein Eigenes hat ihre Panik und ihre Paranoia übernommen.

In dieser Situation siegte die Erziehung meiner weiblichen Erziehungsberechtigten, da sie es ist, die mich jahrelang alleine erzogen hat.
Nicht mein Bruder und nicht mein Vater.
Sie ist es, die mich in allem unterstützt und beschützt hat.

Heute wird mir gewiss klar, dass ich hätte genauso wie mein Bruder den Werdegang meines Vaters übernehmen sollen.
Dann hätte ich die Möglichkeit gehabt uns hier zu retten oder meine Mutter zumindest von all dem zu schützen.
Ich wäre nicht wie heute eine schwache und heulende Tochter, die vergeblich auf Hilfe wartet.

Als ein Schuss ertönt, reiße ich mich gewaltig aus meinen Gedanken und widme meine volle Konzentration auf das Geschehnis vor meinen verschwommenen Augen.

Ein Mann, der alles mit filmt und es live übertragen lässt.
Als mein Blick sich schwach auf meinen Entführer richtet, kann ich schemenhaft erkennen, dass er lachend seine Waffe an seinem Zeigefinger rum wirbeln ließ.

«Kane. Beeil dich, sonst stirbt eine Weitere.» Ganz plötzlich verfestigt sich sein Griff um die Pistole und ein Schuss ertönt, die an meine Mutter gerichtet ist.
Mein Bewusstsein gibt auf und meine Realisation wird von Sekunde zu Sekunde schwacher.

Mit halb geöffneten Augen nehme ich noch ein letztes Mal wahr, wie seine Hand zu seiner Gürtelschnalle wandert und er die Distanz zu dem leblosen Körper meiner Mutter schließt.

Dona;10:05 Uhr

Durch das erfrischende und eiskalte Wasser werde ich wieder zu Bewusstsein gerufen.
Als endlich die letzten Tropfen von meiner Sicht schwinden, wird das Bild vor meinen Augen klarer.
Meine Mutter liegt mit aufgerissener Kleidung in ein paar Meter Entfernung vor mir und das abgetrocknete Blut, was aus ihrer offenen Wunde auf ihrer Stirn raus fließt, verunstaltete ihr Gesicht in einer Weise, die sie für mich, als ihre Tochter, unerkennbar macht.

Meine Sensibilität und meine Empathie scheinen nie da gewesen zu sein.
Mein Inneres lässt nicht zu, dass ich weine oder schreie.
Meine Emotionen sind zu Nichte gegangen.
Ich fühle einzig und alleine die Leere, die sich in meinen Herzen befestigt hat und keiner meiner Gefühle austoben lässt.

𝐈𝐧 𝐲𝐨𝐮𝐫 𝐒𝐞𝐝𝐮𝐜𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt