Kapitel 6

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„Das ist aber ziemlich weit hergeholt." Sophie sah Kathi skeptisch an und die seufzte.

„Vielleicht. Aber es könnte ja auch sein. Ich mein, wenn du plötzlich eine fremde Katze vor dir im Haus siehst, würdest du dich doch auch erschrecken, oder?"

„Schon. Ach, ich weiß nicht."

„Na ja, Frau Hansen könnte aber auch einfach so gestürzt sein. Sie macht nie Licht im Flur, wenn sie nachts mal aufsteht. Da könnte auch Hundespielzeug gelegen haben. Sie lässt das oft herumliegen." Lucan zuckte mit den Schultern. „Wenigstens hat sie sich nur den Knöchel verstaucht und den Arm angeknackst."

„Und selbst, wenn die Katze sich irgendwie ins Haus geschlichen hat, hat sie ja weder Herrn Becker noch Frau Hansen absichtlich erschrocken."

„Das sag ich ja auch nicht." Kathi brummte. „Ich find es halt nur komisch. Die läuft seit einer Weile hier herum und fast immer nur bei Nebel."

„Die stört sich eben nicht an schlechtem Wetter." Sophie grinste. „Ich weiß, du magst Gruselgeschichten, aber an der Katze ist nichts Gruseliges." Da ihr Bus hielt, wechselte Kathi lieber das Thema. Sie hatte ja ohnehin nur ein seltsames Gefühl, was die Katze anging, und das musste nichts bedeuten.

Der Schultag flog wieder an ihr vorbei, sie ächzte bloß bei der Masse an Hausaufgaben, die sie am Ende jeder Stunde bekamen. Das würde wieder einige Stunden fressen. Zum Glück konnten sie einiges auf mehrere Tage verteilen.

Nachmittags trafen sie sich bei Kathi, um gemeinsam ihre Hausaufgaben zu machen. Ihre Mutter hatte gefüllte Auberginen gemacht, über die sie sich heißhungrig hermachten, bevor sie sich an ihre Schulsachen setzten.

Wie immer sah Kathi hin und wieder aus dem Fenster, wenn sie bei manchen Dingen nicht weiterkam. Dabei fiel ihr auf, dass wieder Nebel aufzog, und sie verzog das Gesicht. Herbst war wirklich nicht ihre Jahreszeit, nicht mit solchem Dauernebel. Aber die letzten Jahre war der Nebel gar nicht so schlimm gewesen, erinnerte sie sich. Als sie dies laut aussprach, sahen Sophie und Lucan sie verwirrt an.

„Kann schon sein", stimmte Lucan schulterzuckend zu. „Und? Wetter ist ja nichts, was irgendwo festgeschrieben ist. Der Sommer war auch ziemlich nass und kühl und letztes Jahr sind wir vor Hitze fast eingegangen."

„Ja, schon. Ach, der Nebel nervt mich einfach." Sie wollte nicht noch einmal auf die Katze zu sprechen kommen. Nicht, bevor sie nicht mehr anzubieten hatte als ein seltsames Gefühl. Wie sie das anstellen sollte, wusste sie jedoch nicht. Sie konnte ja nicht die ganze Zeit die Katze verfolgen.

Andererseits ging sie gerne spazieren. Warum nicht öfter rausgehen in den nächsten Tagen und dabei darauf achten, ob sie die Katze sah? Wenn sie wieder in eines der Häuser ging und dem Bewohner etwas geschah ...

Kathi seufzte lautlos auf. Ihre Idee war albern. Die Katze konnte sich überall aufhalten. Außerdem war sie eben nur das – eine Katze. Sie war kein Vorbote des Unheils oder dergleichen. Und erst recht sorgte sie nicht absichtlich für Unfälle bei ihren Nachbarn. Dass sie die Katze bei den Beckers hatte reingehen sehen, konnte auch einfach bedeuten, dass es ihre Katze war. Und sie hatte keinerlei Beweis, dass die Katze bei Frau Hansen im Haus war. Da war Lucans Verdacht wahrscheinlicher: Frau Hansen war über Hundespielzeug gestolpert.

Später am Abend machten Lucan und Sophie sich auf den Heimweg und als sie gegangen waren, beschloss Kathi, noch einen kurzen Spaziergang zu machen. Sie hätte auch mit den beiden losgehen können, hatte ihnen aber die Zeit allein lassen wollen. Ihr war in der Pause aufgefallen, dass Sophie sich, anders als sonst, nicht neben sie, sondern neben Lucan gesetzt hatte. Das musste gefördert werden.

Ein kalter Wind umfing sie, als sie das Haus verließ. Nebel gab es keinen. Noch. Sie fürchtete, dass sich das auch wieder ändern würde.

Mit tief in die Taschen vergrabenen Händen machte Kathi sich auf den Weg in Richtung des Waldes. Den würde sie zwar bei der Dunkelheit nicht betreten, aber sie mochte die Strecke.

In den Häusern brannte Licht, vermutlich saßen die Bewohner vor dem Fernseher oder lasen etwas. Als sie in Lucans Straße einbog, wanderte ihr Blick unwillkürlich die Straße entlang. Das Haus der Beckers war dunkel. Ihr Wohnzimmer ging nach hinten, wenn Frau Becker noch dort saß, würde sie das Licht ohnehin nicht sehen. Vielleicht schlief sie aber auch bereits.

Schneller als erwartet erreichte sie das Ende der Straße, die hier in den Feldweg überging, der zum Wald führte und Abzweigungen zu den Höfen hatte, die hier lagen. Auch auf einem der Höfe brannte noch Licht, genau wie im Wald. Kathi stutzte.

Doch, da war eindeutig Licht im Wald. Vielleicht war jemand mit seinem Hund draußen oder es war noch ein Jogger unterwegs. Doch das Licht bewegte sich nicht. Wer da auch war, machte wohl gerade eine Pause.

Eine Windböe ließ sie schaudern und Kathi drehte sich um, um nach Hause zu gehen. Es war spät, sie würde heute auf ihre Serie verzichten müssen. Aber die letzte Folge war schon gar nicht so spannend gewesen, da konnten die nächsten Folgen auch auf das Wochenende warten.

Nebel kam auf und Kathi fluchte leise. Dunkelheit und Nebel, eine wundervolle Kombination. Allerdings nicht für sie. Wenigstens hatte sie es nicht weit.

Etwas huschte unweit von ihr über die Straße und hielt kurz an einem Zaun inne. Die weiße Katze. Kathi zögerte, dann beschleunigte sie ihre Schritte. Sie war neugierig, was das heutige Ziel der Katze war. Doch trotz ihres hellen Fells war die Katze nicht mehr auszumachen, als Kathi die Stelle erreichte, an der sie gerade noch gestanden hatte.

Es war Rebeckas Haus, stellte Kathi fest. Die beste Freundin ihrer Mutter teilte es sich mit Sarina, einer freiberuflichen Malerin, die ihr Atelier im Dachgeschoss hatte. Dort brannte auch noch Licht, vermutlich arbeitete Sarina noch. Oder sie hatte, wie so oft, vergessen, das Licht auszuschalten.

Nein, da trat Sarina gerade an eines der Fenster und öffnete es. Kathi sah sich noch einmal um, konnte die Katze aber nirgendwo sehen. Die konnte aber inzwischen auch überall sein.

„Schlag dir die Katze einfach aus dem Kopf", murmelte Kathi zu sich selbst und machte sich auf den Heimweg. Sie wollte in ihrem Zimmer sein, bevor der Nebel eine richtig dichte Suppe wurde.

NebelkatzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt