Kapitel 110

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Natürlich war mir sofort klar, dass es nicht okay war einfach davonzustürmen. Andererseits, wenn ich schon außergewöhnliche Fähigkeiten besaß, sollte ich auch auf diese hören und darauf vertrauen. Das musste auch Sebastian einsehen, den ich auf der Stelle in meinem Kopf hörte: Ich hoffe, du bist dir im Klaren, was du da treibst. Immerhin läufst du Gefahr gesehen zu werden, wenn du einen Fehler begehst. Ich mache mir auch nur Sorgen um dich. Dennoch wusste er, dass er mich nicht anbinden konnte. Des Weiteren schaffte ich es auch schon in das Verlies zu kommen, auch wenn mir noch immer nicht klar war, wie so etwas funktionierte und Sebastian davon keine Ahnung hatte.

Ungeachtet dessen wusste ich es nicht mit Sicherheit, denn unsere Verbindung konnte definitiv viel mehr, als ich überhaupt glaubte. Langsam sollte ich doch einsehen, dass es Wunder gab. Uns zum Beispiel. Gekonnt wich ich weiterhin Büschen, Hecken und Sträuchern aus. Schnell entdeckte ich auch hin und wieder Wölfe meines Vaters, sowie andere, die mir noch nie zuvor begegneten und ich somit zu Elliott zuordnete. Dennoch blieben wir weiterhin im Untergrund, verschmolzen mit dem Schatten und waren dazu im Stande unseren Geruch zu verbergen, damit uns niemand wahrnahm.

Und auch, wenn die anderen Noah nicht riechen konnten, wusste ich instinktiv wo er sich befand, da er wie ich war. Somit folgte ich weiterhin meinem Instinkt, bis wir schließlich auf einer kleinen Lichtung ankamen. Trotz alledem betraten wir diese nicht, sondern blieben im Verborgenen. Binnen weniger Sekunden spürte ich dann schließlich eine Schnauze in meinem Rückenfell und Sebastian, der meine Nähe noch mehr wie sonst suchte. Seine große Erscheinung übertraf mich bei Weitem und die Wärme, die von ihm ausging, jagte mir einen wohligen Schauer über das Fell. Wenn ich nur daran dachte, dass er nun immer an meiner Seite stand, gefiel mir der Gedanke sehr, auch wenn noch immer die Gefahr existierte, dass jemandem von uns etwas passierte.

Nichtsdestotrotz sollte ich nicht an so etwas denken, denn das ließ mich eventuell übervorsichtig werden und anderes vergessen. Es lag in unserer Natur den anderen zu beschützen, ohne sich seelisch damit fertigzumachen, doch irgendwann alleine dastehen? Hinzukommend war die Situation mit ihm nicht wie mit Noah. Sebastian markierte mich vor nicht allzu langer Zeit. Das hieß, geschah ihm etwas, ging ich ebenso zugrunde. Zwar wusste ich nicht, ob ich gleichzeitig starb, wenn bei ihm der Tod eintrat, oder ich vor Sehnsucht kaputt ging, aber Erfahrungen wollte ich nicht unbedingt sammeln.

Ich glaube ich spinne, drang zugleich in meinen Kopf. Es war Sebastian, der mich wieder in die Realität riss und mir somit zeigte, wo wir uns eigentlich befanden. Auf der Stelle suchte ich mit meinen Augen die Umgebung vor uns ab. Wir hielten zwar noch immer unsere Deckung, doch von dieser Stelle hatten wir weitgehend die freie Fläche im Auge, ohne gesehen zu werden. Und nun sah ich es ebenso. Noah und Elliott. Mittlerweile waren sie keine Wölfe mehr, sondern standen mit ihren nackten Körpern auf der Lichtung. Ein dunkelbrauner und ein grauer Wolf befanden sich etwas weiter im Hintergrund.

Sie fletschten ihre Fänge, rissen die Mäuler soweit auf, dass man riesige Eckzähne erkannte, die einem eine Gänsehaut bescherten. Dennoch hielt Elliott sie mit einer Handbewegung auf, damit diese Tiere mit ihrer gebückten Haltung etwas Abstand nahmen; befanden sich jedoch trotzdem in unmittelbarer Nähe. Mir war auch sofort klar weswegen, denn Noah sah nicht unbedingt aus, als wolle er ein Kaffeekränzchen halten. Was soll das werden? Was hat er vor? Auf der Stelle schickte ich Sebastian meine Gedanken, aber er wusste selbst nicht was diese Aktion sollte. Immerhin hatten wir andere Probleme. Nämlich meinen Vater.

So wie es allerdings aussah interessierte das Noah überhaupt nicht. Sein angespannter Körper zeigte lediglich, dass er kurz davor stand diesen Mann vor ihm zu zerfleischen. Natürlich wusste er, dass Elliott stark war. Umso mehr kräftige Wölfe in seinem Rudel existierten, umso mehr Macht besaß er außerdem. Dennoch war klar, wer in einem Kampf gewann. Definitiv Noah. Mein Maul wurde staubtrocken. War das nun gut oder schlecht? Kurzerhand versuchte ich Sebastians Gefühle zu spüren, aber ich konnte mir von vornherein schon denken, dass er nicht diese Verbindung zu seinem Vater hatte, wie ein Sohn eigentlich haben sollte. Ganz im Gegenteil.

Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt